Eine Kölner Joggerin sammelte über 100.000 Unterschriften für härtere Strafen gegen Voyeur-Fotografen. Doch Rechtsexperten erklären: Das Problem liegt nicht im Gesetz - und nennen Alternativen für Betroffene.
Voyeurismus-Debatte um Kölner JoggerinWarum heimliche Fotos oft straffrei bleiben

Rund 100.000 Menschen haben inzwischen die Petition der Kölnerin Yanni Gentsch unterschrieben.
Copyright: Federico Gambarini/dpa
Der Fall einer Kölner Joggerin, die einen mutmaßlichen Voyeur-Fotografen bei laufender Handy-Video-Aufnahme zur Rede stellte, schlug bereits vor Monaten hohe Wellen. Der Video-Clip von Joggerin Yanni Gentsch (30) ging damals in den Sozialen Medien viral mit etwa 14 Millionen Aufrufen und löste Fassungslosigkeit bei vielen Nutzern aus. Gentsch wollte es nicht dabei belassen und ging zur Polizei. Zu einer Anzeige kam es jedoch nicht, die Beamten erklärten ihr, dass in diesem Fall kein Tatbestand für eine strafrechtliche Verfolgung des mutmaßlichen Voyeurs vorliege.
Am Montag hat Gentsch eine Petition NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) übergeben. Ziel der Petition mit dem Titel „#EgalWo“ ist es, Voyeur-Aufnahmen grundsätzlich strafbar zu machen (siehe unten "Der Fall Yanni Gentsch"). Bereits mehr als 100.000 Menschen unterstützen ihr Vorhaben. Grundaussage der Petition: Aktuell sei es in Deutschland nur strafbar, wenn bei voyeuristischen Aufnahmen nackte Haut oder Aufnahmen unter der Kleidung gezeigt werden. Geregelt ist das in §184k StGB.
Fall Gentsch: Juristische Bewertung zweier Fachanwälte
Die Rundschau hat bei zwei Experten für Persönlichkeitsrechte nachgefragt, wie sie den genannten Fall juristisch bewerten und ob sie in diesem Zusammenhang eine Lücke im Strafrecht sehen. Daniel Kötz, Fachanwalt für Urheber- und Medien(straf)recht in Düsseldorf, bestätigt, dass die aktuelle Regelung des §184k StGB nur Fälle schütze, in denen unverhüllte Intimbereiche (weibliche Brust, Scham, Po) fotografiert oder wenn Aufnahmen der Unterwäsche oder zum Beispiel unter dem Rock gemacht werden (auch unter den englischen Begriffen „Upskirting“ und „Downblousing“ bekannt). Im Fall Gentsch hatte der mutmaßliche Voyeur zwar ihren Po fotografiert, sie habe aber eine Jogginghose angehabt. Hier greife der §184k StGB nicht mehr.
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Zustimmung zu dieser juristischen Bewertung bekommt Kötz von seinem Kollegen Rechtsanwalt Holger-Christoph Rohne, Vorsitzender der Taskforce „Anwalt für Opferrechte“ des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Sowohl Kötz als auch Rohne bestreiten, dass es eine Strafbarkeitslücke in diesem Fall gibt. „Das setzt doch voraus, dass der Gesetzgeber etwas übersehen hätte. Dies liegt aber nicht vor, wenn eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dahinter steht“, führt Rohne aus und fügt hinzu: Vielmehr habe sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, Aufnahmen unter Strafe zu stellen, deren Bildmotive ohne Weiteres sichtbar sind.
Strafrecht kann nicht alle Fehlverhalten abbilden
Kötz merkt dazu an, dass es zum öffentlichen Leben im 21. Jahrhundert gehöre, ständig und überall fotografiert werden zu können. Und eine Beweisführung, wann eine Aufnahme mit voyeuristischen Absichten oder nicht gemacht wurde, objektiv fast unmöglich sei. Bei einem von Frau Gentsch geforderten neuen Straftatbestand wäre unter Umständen jeder verdächtig, der eine andere Person fotografiere. Zudem gebe es den 2004 eingeführten §201a StGB, der die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und der Persönlichkeitsrechte durch Bildaufnahmen regele. In den Fällen, dass Voyeur-Fotografien widerrechtlich genutzt oder verbreitet werden, schütze der §33 Kunsturhebergesetz (KUG) die Opfer mit Strafandrohung von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen.
Kötz wirft einen kurzen Blick auf weitere mögliche relevante Straftaten: Wenn Täter ihrem Opfer widerrechtlich nachstellen, greift der bestehende §238 StGB – auch bekannt als Stalking-Paragraf. Der Straftatbestand verlangt jedoch in der Regel eine wiederholte Nachstellung. Auch der Fall der Nötigung gemäß §240 StGB könnte in Fällen wie dem, den Yanni Gentsch erlebt hat, greifen. Jedoch müsste hier bewiesenermaßen die Androhung mit einem empfindlichen Übel vorliegen.
Beide Anwälte merken an, dass das Strafrecht grundsätzlich im Rechtsstaat einer liberalen Gesellschaft nicht alle beanstandenswerten, sprich sozial unangemessenen Verhaltensweisen abbilden könne. „Das ist nicht die Aufgabe des Strafgesetzbuches“, so Kötz. Das StGB bilde vielmehr die äußerste Grenze der Taten ab, bei denen der Staat zu Strafen gezwungen werden müsse. Unterhalb dieser Grenzen greifen niederschwelligere Sanktionen oder vor allem zivilrechtliche Klagemöglichkeiten, fügt Rohne an.
„Sanktionen des Strafrechts sind das letzte Mittel“
Die Anwälte haben zwar uneingeschränkt Verständnis für die Petitionsführende Yanni Gentsch, weisen jedoch darauf hin, dass, auch wenn das Geschehen in diesem Fall zwar derzeit straflos sei, die Betroffene aber nicht rechtlos sei. „Ihr stehen verschiedene zivilrechtliche Mittel zur Verfügung, wie etwa der Anspruch auf Löschung, Unterlassung und im konkreten Fall möglicherweise sogar ein Notwehrrecht – was die Wegnahme des Mobilgerätes einschließen kann“, so Rohne. Zudem sei es wichtig, mit den zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Mitteln auf die Einhaltung der Grenzen und des mehrheitlich gewollten sozialen Verhaltens hinzuwirken. „Sanktionen über das Strafrecht sind das letzte Mittel.“ Wenn man all diese Fälle strafrechtlich regeln wollte, würde das zudem die bereits heute allgegenwärtige Überlastung der Justiz weiter verschärfen.
Kötz geht noch einen Schritt weiter: „Strafrecht darf nur dann eingreifen, wenn es ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsstaates dafür gibt, genau dieses Verhalten unter Strafe zu stellen. Ungehöriges Verhalten – was im Fall Gentsch zweifellos vorlag – gehört nicht dazu.“