„Es ist so bitter“Austrittswelle geht jetzt an die Substanz der Katholischen Kirche

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Ein Mann verlässt eine Katholische Kirche. (Symbolbild)

Köln – Er kann sich gut dran erinnern, als so vieles noch selbstverständlich war: volle Kirchen, viele Taufen, scharenweise Messdiener. 1979 wurde Karl-Josef Windt im Dom zum Priester geweiht. Das waren noch Zeiten. Und heute? Da haben sich die Zeiten geändert.

„380“, sagt Windt, und es ist deutlich zu hören, wie sehr es ihn schmerzt. Mit einem Stoßseufzer ergänzt er: „So viele wie noch nie.“ Und wäre es „nur“ die nackte Zahl, der Schmerz würde nicht so tief ins Herz reichen. „Aber es sind so viele dabei, die ich persönlich kenne.“ Und dabei ist sein Seelsorgebereich in Rodenkirchen, Sürth und Weiß noch nicht einmal am stärksten betroffen.

Woanders in Köln sind die Zahlen noch höher. 19.340 katholische und evangelische Christen haben 2021 ihre Kirche in der Domstadt verlassen, sind ausgetreten. Absoluter Rekord. Das Amtsgericht, bei dem der Austritt erklärt werden muss, differenziert die Zahl nicht, aber die Statistik der vergangenen Jahre legt nahe, mehr als 70 Prozent davon sind katholischer Konfession. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Schon jetzt sind am Amtsgericht alle verfügbaren Termine bis März vergeben. „Das ist so bitter, das tut so weh“, sagt Windt.

Alles zum Thema römisch-katholische Kirche

Stadtdechant Robert Kleine: „Es geht um Vertrauens- und Glaubenskrise“

Robert Kleine kann das gut nachempfinden. Klar, Austritte habe es immer gegeben, sagt der Stadtdechant. Kritisch war stets die Altersgruppe, in der erstmals die Kirchensteuer zu Buche schlägt. Doch um Geld geht es schon lange nicht mehr. „Es geht um die Vertrauens- und Glaubenskrise“, weiß Kleine. Und die wirkt tief hinein in die Kirche. „In den inneren Zirkel“, sagt der Stadtdechant.

Unter den Namen der Ausgetretenen entdecke er viele, die er kenne: als Chormitglieder, als Messdiener, als Gemeindemitglieder. „Das sind Menschen, die Mitten im Glauben stehen.“ Aber in Gesprächen und Briefen hätten sie ihm verdeutlich, dass sie keinen anderen Weg mehr sehen, ihr Entsetzen auszudrücken. Über den Missbrauchsskandal, über die Vertuschungen. Und auch wenn der Stadtdechant es nicht ausdrücklich sagt, so schwingt es doch mit: Wegen des Kardinals.

„Alles, wofür ich Priester geworden bin, wird dadurch verdunkelt“, sagt Kleine. Dass so viele gehen, er kann es kaum verhindern. Und weil Wiedereintritt viel schwerer sei als Austritt, fürchte er, die meisten sind für immer weg. So bleibt ihm nur, ihnen fast schon flehentlich nachzurufen: „Haltet an eurem Glauben fest.“

Austritte aus Katholischer Kirche: „Die Zahl hat dann doch geschockt“

Als oberster Priester der Kölner Priester schaut Kleine von oben auf die Austrittswelle. Als Pastoralreferentin im Sendungsraum Innenstadt steht Lisa Brentano mitten drin in den Wogen. Ernüchtert hätten sie und ihre Kollegen bereits auf die alljährlichen Austrittszahlen geschaut, fast schon mit Gewohnheit. „Doch die hohe Zahl für 2021 hat dann doch geschockt“, sagt die 34-Jährige. „Wollen wir den Trend endlich wenden, müssen wir uns jetzt auf die Hinterbeine stellen – aber das sehe ich noch nicht.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Und wenn sie dann mal auf den Hinterbeinen steht, wohin soll sie springen, die Kirche? „Ich hoffe, wir erkennen dann genug Freiräume, um es anders zu machen, um verhärtete Strukturen aufzubrechen, denn diese Strukturen funktionieren nicht mehr“, so Brentano.

Das Aufbrechen alter Strukturen – das will nun Gregor Stiels, Vorsitzender des Katholikenausschusses, vorantreiben. „Wir müssen uns an der Basis gemeinsam überlegen, wie wir auf diese Zahl reagieren können.“ Das könne nicht nur eine Bistumsleitung allein, dafür brauche es alle aktiven katholischen Christen, ist der Vorsitzende der Laienorganisation überzeugt.

Rundschau abonnieren