Interview mit Joe BauschVon den seelischen Nöten der Polizisten

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Engen Kontakt zu Straftätern hatte Joe Bausch während seiner 32 Jahre als Gefängnisarzt.

  • Als Gerichtsmediziner im Kölner Tatort kennen ihn viele.
  • Doch Schauspieler und Ex-Gefängnisarzt Joe Bausch (67) engagiert sich auch privat.
  • Im Gespräch mit Diana Haß erzählt er, warum er sich für Polizisten einsetzt.

Köln – Sie sind seit rund drei Jahren Schirmherr der Polizeiseelsorge NRW. Warum? Das ergab sich, weil mich ein evangelischer Geistlicher aus dem LKA in Düsseldorf gefragt hat. Aber ich überlege mir schon, für was ich den Kopf hinhalte. Es muss auch was mit mir zu tun haben. So wie bei der Schirmherrschaft für die Neuroblastom-Stiftung. Was ich bei der Polizei gesehen habe, hat mich überzeugt. Ich habe mir auch gedacht: Meine beiden Tatort-Kollegen sind schon Ehrenkommissare von Köln, dann mache ich mal was anderes. (lacht)

Was genau hat Sie bei Ihrer Entscheidung überzeugt?

Beispielsweise war ich im LKA und habe da die jungen Männer und Frauen getroffen, die zuständig sind, wenn irgendwo ein Koffer steht, in dem eine Bombe sein kann. Ich habe mich mit denen auch in Einzelgesprächen unterhalten. Es hat mich interessiert, wie man das aushält. Oder ich habe die Kollegen kennengelernt, die sich jetzt diese Videos mit Kinderpornografie angucken. Ich kenne ja die andere Seite, die Straftäter. Aber ich habe gefragt, wie man damit umgeht.

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Wie gehen die Polizisten damit um?

Die meisten sind Familienväter. Und da gab es halt diesen Wahnsinnssatz, den der Leiter der Gruppe gesagt hat: Was wir da sehen, das ist schlimmer als Mord, weil diese Opfer überleben. Die müssen zeitlebens mit diesem Trauma leben. Das waren gestandene Leute, mit denen ich geredet habe. Der Leiter sagte: Ich bin Großvater, wenn ich nach Hause gegangen bin, und habe ein schreiendes Kind gehört, dann habe ich so eine Gänsehaut gekriegt. Das musste erst mal verarbeitet werden.

Wie kann man das auf Dauer aushalten?

Da braucht man ‘ne Haltung für. Da muss man ein Selbstverständnis haben, dass man etwas macht, das richtig und wichtig ist. Sonst hält man das nicht aus. Das ist zwar für einen selbst furchtbar, weil man den ganzen Tag mit beiden Händen im Blut und Elend wühlt. Aber es ist enorm wichtig.

Wo waren Sie noch?

Ich habe mir noch eine Polizeidienststelle in der Düsseldorfer Altstadt angeschaut. Das ist so ein Hotspot, wo Randale ist, wo geklaut wird und so weiter und wo die Jungs da auf sehr engem Raum ihren Job machen und du siehst, woran es an allen Ecken und Enden fehlt. Und dafür machen die wirklich eine verdammt gute Arbeit und sind immer noch gut drauf bei all dem.

Glauben Sie, das ist der Öffentlichkeit klar?

Nicht wirklich. Respektlosigkeit nimmt ja immer mehr zu. Gegenüber einer ganzen Reihe von Berufsgruppen. Das fing bei den Lehrern an. Auf dem Ärztetag in Erfurt vor zwei Jahren haben 25 Prozent der Ärzte zum ersten Mal öffentlich gesagt, sie werden bedroht, beschimpft und beleidigt. Man kennt es von Gerichtsvollziehern. Es fängt jetzt auch bei Journalisten an, dass sie aufs Maul kriegen. In Frankreich, der Busfahrer, der zu Tode geprügelt wurde … Ich habe das Gefühl, das ist ein Symptom der Verrohung der Gesellschaft.

Wie reagieren Polizisten auf Sie?

Dadurch, dass ich im Vollzug gearbeitet habe und die Verbrecher kenne, weiß ich, wovon die Polizisten reden. Da nehmen sie mich schon anders wahr. Und auch durch die Tatorte habe ich ja viel mit Polizisten zu tun. Da gibt es welche, die seit langem als Komparsen dabei sind und mit denen spreche ich natürlich auch.

Wenn ich da an der Leiche sitze und gucke, dann sind auch viele echte Polizisten um mich rum und mit denen kommt man natürlich in Drehpausen ins Gespräch und ich höre denen zu. Und seitdem die mitgekriegt haben, dass ich mich für die Polizeiseelsorge engagiere, erfahre ich auch mehr. Da kriege ich auch die Frustration mit.

Warum sind die Polizisten frustriert?

Weil sie sich zum Teil schon alleine gelassen vorkommen in dieser Gesellschaft. Stell dir mal vor, du gehst in den Job und denkst: Mit diesem Job genieße ich Anerkennung und Respekt und tue was für die Gesellschaft- Und dann gehst du hinaus auf die Straße und erfährst genau das Gegenteil. 80 Prozent der Polizisten sind schon mal angegriffen worden. Und das zehrt natürlich an ganz, ganz vielen.

Kennen Sie ähnliche Übergriffe aus der Zeit als Gefängnisarzt?

Ich war auch in Situationen, in denen ich bedroht und beleidigt wurde. Aber da war immer klar: Der andere sitzt auf jeden Fall am kürzeren Hebel. Ich war also in einer komfortableren Situation. Aber gleichwohl kann ich natürlich nachvollziehen, warum viele der Polizisten so frustriert sind. Wenn man sich ansieht, wo heute die Latte für die Beleidigungen von Polizisten liegt, die auch ein Gericht noch durchgehen lässt, dann ist das unglaublich. Und ich komme aus einer Generation, die hat die Polizei nicht gemocht.

Nämlich?

Ich bin 53 geboren. Ich habe die Polizei Anfang der 70er erlebt in Köln als ich da studiert habe. Die haben uns die Schildergasse als Demonstranten hochgetrieben irgendwo in den Kaufhof hinein. Da war die Polizei das Feindbild. Wenn mir damals jemand gesagt hätte: Du wirst dich mal für die Belange der Polizei einsetzten, hätte ich gefragt, welche Drogen und Medikamente die noch erfinden wollen, damit ich mir das vorstellen kann. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Deshalb ist es ist es ja umso bemerkenswerter, dass ich mich da jetzt einsetze. Ich bin ja nicht als Messdiener geboren und immer ganz gottesfürchtig aufgewachsen.

Allerdings: Sie waren Messdiener …

Natürlich war ich Messdiener. Jeder, der einigermaßen bei Verstand war in meinem Dorf, war Messdiener. Dem konnte man sich nicht verschließen. Heute bin ich in keiner Konfession mehr aber ich weiß um die Wichtigkeit einer spirituellen Heimat, zu wissen, wo man hingehört und dass man mit seinen Werten, Sorgen, Einschätzungen und seinem Schmerz nicht alleine ist. Darum geht‘s ja letztendlich.

Seelsorge, das ist schon etwas anderes als die Arbeit eines Polizeipsychologen?

Ja. Der Gang zu einem Polizeipsychologen ist immer schwieriger als die beiläufige Begegnung mit einem Seelsorger, der einfach vor Ort ist. Mit dem kann man reden, es kommt nicht in die Akten. Das fällt halt unter Beichtgeheimnis oder Schweigepflicht, wie man das auch bei Ärzten kennt. Man kann darüber reden, was einem gerade auf der Seele brennt. Und das finde ich eine wunderbare Konstruktion.

Ganz niederschwellig. Das tut der Seele gut. Deshalb finde ich das so schön. Das ist ein vertrauensvolles Verhältnis. Und das muss man auch aushalten können. Mein Wahlspruch ist ja: Man muss das Leben aushalten können. Wenn man sich entschieden hat, den Job zu machen, muss man gucken, dass man es aushalten kann. Dafür braucht man auch Menschen, die einem helfen, wenn es mal nicht alleine auszuhalten ist.

Können Polizisten gut ihre Nöte eingestehen?

Ich habe mich mit Wissenschaftlern, die zu Gewalt an Polizisten forschen, unterhalten, die haben erzählt, dass es nach wie vor schambesetzt ist für Polizisten, ihre seelischen Nöte öffentlich einzugestehen. Sie fürchten, dass sie als Weichei gelten. Es ist tabuisiert. Es tut gut, sich auszusprechen und etwas nicht mit nach Hause zu nehmen.

Zur Person

Joe Bausch, eigentlich Herman Josef Bausch-Hölterhoff, ist Arzt, Autor, Schauspieler und Hörbuchsprecher. Er wurde  am 19. April 1953 im Westerwald geboren. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter. Bekannt ist Bausch unter anderem als Gerichtsmediziner im Kölner Tatort. Erstmals stand er dort im Jahr 1997 vor der Kamera.  In der JVA Werl arbeitete Bausch von 1986 bis zu seiner Pensionierung als Anstaltsarzt.

Das Bundesverdienstkreuz des Bundespräsidenten erhielt er im Jahr 2013 für seine zahlreichen ehrenamtlichen Engagements. (dha)

Wie wichtig ist die Sinnfrage für Polizisten?

Sehr. Wenn sie nur noch rausgehen, um zu funktionieren, dann sind sie durch. Wenn man sieht, wie viel Input an Energie man in etwas stecken muss und sich Elend geben muss, wie beispielsweise bei der Kinderpornografie, dann hilft nur noch Sinn. Ein Polizist findet Sinn in seiner Arbeit. Aber das bedeutet nicht, dass die Motivation, mit der man gestartet ist, auch 30 Jahre anhält.

Was brauchen Polizisten?

Spüren, dass anerkannt wird, was sie machen und sie ernst genommen werden. Da hat auch die Aufstockung durch NRW-Innenminister Reul geholfen. Ich wollte auch wegen des unsäglichen Artikels in der taz über die Polizei sprechen. (Anmerkung: Dort wurde die Polizei mit Müll gleichgesetzt.) Klar müssen wir auch kritisch sein. Aber in der Basis ist das in Ordnung, was die machen. Und das wird Gottlob von den meisten noch anerkannt. Die machen den Job für die meisten von uns, für einen wehrhafte Demokratie. Die Polizei macht den Job an der Front.

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Was wünschen Sie sich?

Zivilcourage. Damit wir die Straßen nicht den anderen überlassen. Wenn wir Not haben, schreien wir nach der Polizei, aber normalerweise empfinden wir die Polizei als Belästigung. Wir alle, die in der Öffentlichkeit unterwegs sind, können zeigen, dass wir hinter denen stehen.

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