Gerade Seniorinnen und Senioren werden oft Opfer von professionellen Taschendieben.
Mit verdeckten Fahndern unterwegsDas sind die Tricks der Taschendiebe in Köln

Auch auf der Domplatte sind die zivilen Fahnder des Kriminalkommissariats 73 regelmäßig unterwegs.
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Dass sie ein leichtes Opfer sein könnte, sieht Yannick B. schon von weitem. Die weißhaarige Seniorin ist auf dem Weg zum Obst- und Gemüsestand und etwas wackelig auf den Beinen. Ihre Handtasche schiebt sie vor sich auf dem Rollator. Kurz bleibt Yannick B. im Marktgetümmel stehen und beobachtet die Situation. Nur wenige Tage zuvor folgten genau hier auf dem Wochenmarkt in Chorweiler drei Täterinnen einem Mann mit einem Rollator, lenkten ihn ab und zogen ihm die Geldbörse aus der Tasche. Mehrere Hundert Euro waren weg.
An diesem Morgen scheinen keine verdächtigen Personen in der Nähe zu sein. „Ein Taschendiebstahlfahnder blickt immer 50 Meter weiter“, sagt Yannick B., als er am Käsestand vorbei schon die nächsten Passanten im Blick hat. Mit T-Shirt, kurzer Hose, Rucksack und Kappe bewegt er sich unerkannt über den Pariser Platz, ein Jutebeutel hängt über seiner Schulter als wäre er gerade zum Einkaufen hier. Als Polizist wird er nicht erkannt. Was jedoch niemand sieht: Den fast unsichtbaren Knopf im Ohr und einen passenden Empfänger in der Hosentasche.
Ich muss versuchen, die Menschen in Bruchteilen von einer Sekunde zu scannen und einzuordnen. Ist ihr Verhalten schlüssig oder sticht das raus?
Yannick B. arbeitet seit 15 Jahren als Fahnder für das Kriminalkommissariat 73, das sich in Köln um Taschendiebstähle kümmert. Fast die Hälfte aller Taschendiebstähle passieren in der Innenstadt, doch auch in Stadtteilen wie Chorweiler sind die Polizisten in Zivil unterwegs. Die Zahl des Teams ist variabel. Auf dem Pariser Platz und im angrenzenden City Center sind es an diesem Vormittag fünf Kolleginnen und Kollegen, alle per Funk verbunden. Während sie sich von der U-Bahnstation zum Marktplatz und durch das Einkaufszentrum bewegen, observieren sie scheinbar beiläufig die Menschen um sie herum. Wer verhält sich auffällig? Yannick B. hat zwischen den Marktständen eine Frau mit langem Rock entdeckt, deren Blicke nicht nur zu den Auslagen der Stände, sondern auch immer wieder zu den Handtaschen von Passanten wandern. Als sie den Markt verlässt, übernimmt ein Kollege, der sich im Einkaufszentrum aufhält. Auch die Sparkasse haben die Fahnder im Blick - denn dort erspähen auch die Taschendiebe ihre Opfer.
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Roland Dingfeld, Leiter des KK73
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„Als Fahnder schaue ich mir die Menschen an. Das ist mein Job. Wie ein Drogenspürhund“, erklärt Yannick B.. „Ich muss versuchen, die Menschen in Bruchteilen von einer Sekunde zu ‚scannen‘ und einzuordnen. Ist ihr Verhalten schlüssig oder sticht das raus?“ Jemand, der nach Opfern Ausschau halte, der schaue sich nicht den Dom oder die Waren im Supermarkt an, der bestelle nichts im Café oder steige aus der U-Bahn wieder aus. „Der guckt nach Handtaschen, der schaut nach Tatgelegenheiten, folgt Opfern auf der Rolltreppe, der sucht Menschenmengen oder enge Örtlichkeiten.“ Manchmal sei es auch nur ein lang herunterhängender Schal oder ein suchender Blick, der ihn aufmerksam werden lasse. Täglich bis zu 20.000 Schritte sind für einen Fahnder nicht ungewöhnlich, er und seine Kollegen bewegen sich unentdeckt in der Menge, immer dort, wo viele Menschen zusammenkommen. Zuletzt sogar in einer Kooperation auf dem Münchener Oktoberfest.
Jeder dritte Geschädigte ist im Seniorenalter
Die Tricks der Profis kennt Yannick B. alle: Anrempeln beim Einstieg in die U-Bahn, Ablenkung durch einen groß aufgefalteten Stadtplan, Anspritzen mit Make-up oder anderen Flüssigkeiten, Antanzen. Die Liste ist lang. Es gibt Diebe, die Schneiden die Henkel von Handtaschen durch, oder tauschen sogar ganze Rucksäcke aus. Opfer von Taschendieben werden oft Touristen, in der Altstadt oder im Gedränge vor dem Dom. „Noch häufiger werden aber die über 70- oder 80-Jährigen bestohlen, insbesondere die offensichtlich gebrechlichen oder beeinträchtigten Menschen“, berichtet Yannick B., der gerade das moralisch verwerflich findet.
„Etwa jeder dritte Geschädigte vom Taschendiebstahl ist im Seniorenalter“, bestätigt auch der Leiter des KK73, Roland Dingfeld. Im Nachgang versuchen er und sein Team immer noch einmal mit den Opfern zu sprechen. „Uns fällt dabei auf: Viele der Geschädigten fangen nach der Tat an, abzubauen. Sie gehen nicht mehr raus, trauen sich nicht mehr unter Menschen. Es geht also nicht nur um den finanziellen Schaden, sondern in manchen Fällen auch um erhebliche psychische Auswirkungen.“
Fast 90 Prozent der Täter haben eine ausländische Herkunft
Den Gelegenheits-Taschendieb gibt es so gut wie nicht mehr, sagt Roland Dingfeld. Fast alle sind Profis. „Taschendiebstahl ist ein Gewerbe“, so der Kriminalhauptkommissar. Ein Großteil der Täterinnen oder Täter sind Reisende. „Aktuell haben wir viele Taschendiebe aus Südamerika“, so Dingfeld. Nach seinen Informationen reisen die Täter oft über Barcelona, von wo es in Richtung Paris, Köln oder München gehe. Andere Täter kommen aus Marokko und Algerien. Fast 90 Prozent der Taschendiebe haben eine ausländische Herkunft, zeigen Zahlen aus dem Jahr 2024. Hilfreich ist es daher, dass auch Fahnder aus dem Team Arabisch, Romanes und Französisch sprechen.
Zwei der Fahnder sind außerdem sogenannte „Super Recognizer“, also Menschen, die sich überdurchschnittlich gut Gesichter einprägen und diese wiedererkennen können. Zwei Prozent der Bevölkerung haben diese spezielle Begabung. Yannick B. geht vor jedem Dienst die Fahndungsbilder auf seinem Handy durch, manche erkennt er aber auch so. „Viele habe ich bereits öfter festgenommen“, sagt er. Es sind alte Bekannte, die auch nach einer Verurteilung wieder in ihren alten „Job“ zurückkehren. Manchmal werden die Kenntnisse der Taschendiebe auch von einer an die nächste Generation weitergegeben.
Wertsachen im Brustbeutel transportieren
Sich gegen Taschendiebe zu schützen, sei wichtig, wenn auch nicht immer einfach, sagt der Fahnder der Polizei. Sogar Kollegen seien bereits von Taschendieben bestohlen worden. „Da ist niemand wirklich sicher“, sagt Yannick B., wichtig sei es jedoch, aufmerksam zu bleiben. „Am besten behalten Sie ihre Tasche immer im Blick – und Wertsachen sicher verstaut, zum Beispiel im Brustbeutel“, empfiehlt Roland Dingfeld. „Und nicht so viel Geld am Geldautomaten abheben. Gerade das ist der Ort, wo Diebe ihre Opfer bereits ausspähen.“
Immer noch beliebt sei etwa der Jacken-Trick, vor allem in Cafés und Restaurants in der Innenstadt. Dabei hängt der Täter oder die Täterin eine Jacke über die Stuhllehne und rückt rückwärts an den Stuhl des Opfers heran. „Dann greifen sie durch die Ärmel der Jacke nach hinten und entwenden Handys oder Geldbörsen“, erklärt der Fahnder, dessen Blick so geschärft ist, dass ihm dieser Trick auch schon beim Essengehen mit seiner Familie in der eigenen Freizeit aufgefallen ist. Ebenfalls auffällig: Eine Rolle Alufolie im Rucksack. Professionelle Handydiebe wickeln diese in die Folie ein, um eine Ortung zu verhindern.
Die Profis reisen extra zu Musikfestivals an, bei denen dann Smartphones im großen Stil gestohlen werden. Andere haben sich auf Messen spezialisiert. Auch hier werden Yannick B. und seine Kollegen eingesetzt - dann nicht in Straßenkleidung, sondern im Anzug, um wie andere Messebesucher zu wirken. Dort sind dann nur Profis unterwegs, so der Fahnder, der das als besonders herausfordernd empfindet. „Formuliert man das anschaulich, ist das quasi die ‚Champions League‘-Klasse unter den Profi-Dieben.“
Kölner Aufklärungsquote liegt deutlich über dem Landesschnitt
Wenn es um Straftaten geht, wird Diebstahl oft eher milde bestraft. Von einem Kavaliersdelikt sei man jedoch weit entfernt, so Yannick B.. „Jemand dringt in die persönliche Schutzzone ein, zieht zum Beispiel die Geldbörse aus der Gesäßtasche, das ist noch mal deutlich näher, als zum Beispiel ein Internetbetrug.“ Die Aufklärungsquote von Taschendiebstählen liegt landesweit bei 6,4 Prozent, in Köln kletterte sie in den vergangenen Jahren sogar auf bis zu 10 Prozent. Das liegt daran, dass das KK73 die landesweit einzige Dienststelle ist, die sich ausschließlich um das Thema Taschendiebstahl kümmern kann: mit mehreren Kräften verdeckt auf der Straße, in der Auswertung sowie in der Sachbearbeitung. „Ausschlaggebend ist sicher auch unsere Auswertung, die sich darum kümmert, zu erkennen, wo wir am nächsten Tag observieren, um zielgerichtet zu arbeiten“, erklärt Dingfeld. Fahndungsbilder aus dem Einzelhandel werden stetig verglichen, auch mit Bildern der Videoüberwachung. „Wir versuchen landesweit, bundesweit und international Zusammenhänge zu erkennen. Unser Ziel ist es, den Tätern Serien nachzuweisen und sie so in Haft zu bringen.“
Yannick B. hat sich nach einer Zeit in einer Hundertschaft ganz bewusst für den Einsatz als ziviler Fahnder entschieden. „Die Menschen sind dankbar für das, was wir tun.“ Etwa als er einem Mann eine komplette in der Bahn gestohlene Kletterausrüstung wiedergeben konnte. Oder einer fast 90-Jährigen ein Kuvert mit 2500 Euro, das ihr gerade im Supermarkt aus der Tasche genommen worden war. „Ich gehe wirklich sehr oft mit einem guten Gefühl nach Hause.“
Zur Statistik
3599 Fälle von Taschendiebstahl gab es 2024 in der Kölner Innenstadt. Ein besonderer Hotspot ist dabei das Areal rund um den Hauptbahnhof, hier wurden alleine mehr als 500 Diebstähle verübt. Rund 500 waren es im vergangenen Jahr auch in Chorweiler, weitaus mehr als im Vorjahr: Die Statistik verzeichnet hier ein Plus von sieben Prozent.
Die Zahl der Taschendiebstähle ist nach dem Ende der Pandemie laut der polizeilichen Kriminalstatistik wieder stark angestiegen. Im Pandemiejahr 2021 wurden in der Direktion Köln und Leverkusen „nur“4703 Fälle statistisch erfasst. 2022 waren es 7374. Im Jahr 2023 stieg die Zahl auf 7964 und im vergangenen Jahr noch einmal auf 8002. Vor etwa zehn Jahren war Taschendiebstahl ein noch größeres Problem: Im Jahr 2015 wurden 13.350 Delikte in Köln und Leverkusen gezählt.