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Interview

Henriette Reker über das Attentat vor zehn Jahren
„Ich war froh, dass ich noch da war“

3 min
Kölns noch amtierende Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Kölns noch amtierende Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Am Morgen des 17. Oktober 2015 stach Frank S. an einem Marktstand in Braunsfeld auf Henriette Reker ein. Die OB erinnert sich an die Tat und die Zeit danach.

Frau Reker, zehn Jahre danach, was löst das Attentat heute in Ihnen aus?

Es spielt für mich im Alltag keine Rolle. Ich glaube, das liegt auch daran, dass alles gut ausgegangen ist. In der Situation war es so, dass ich selber wusste, ich bin nicht bewusstlos, also bin ich auch nicht wehrlos.

Sie haben sich zunächst selbst geholfen. Wie?

Ich habe mich in eine stabile Seitenlage gebracht und die Blutung mit dem Finger gestillt, sie also kompressiert. Der Attentäter hat damit keine Macht über mich gehabt, und ich glaube, das hat mir dabei geholfen. Ich habe mal bei der Berufsgenossenschaft gearbeitet, da ging es auch um Arbeitsunfälle. Und da fielen oft etwa Schreiner, die einen Dachstuhl bauten, in die Baugrube und wurden verletzt.

Was haben Sie nach der Tat mitbekommen von dem Geschehen? Der Attentäter hat auch andere verletzt.

Ich habe mich nur um mich gekümmert und gar nichts mitbekommen. Pascal Siemens (damals Kampagnenleiter der Grünen/Anm. d. Red.) habe ich gesehen und mich um ihn gesorgt. Dann habe ich die Rettungswagen mit geöffneten Türen wahrgenommen und wie er da blutüberströmt hinging. Er kann noch gehen, dachte ich. Da war ich beruhigt.

Hatten Sie Angst um ihr Leben?

Nein, ich hatte Angst, dass ich nicht mehr durch die Badezimmertür passe, wenn ich im Rollstuhl lande. Das ist so ein Gedanke, der einem durch den Kopf schießt in so einem Moment. Man wundert sich hinterher selbst.

Sie haben schon gespürt, es kann jetzt was Schlimmes passiert sein? Oder: Das hier könnte mein Leben für immer verändern?

Ja, das war so. Es ist so ein archaischer Akt, jemandem mit dem Messer anzugreifen. Die Klinge war 30 Zentimeter lang. Da fragt man sich, wie man die überhaupt jemandem in den Hals rammen kann. Mein Glück war, dass die Klinge steril war.

Wie war das, als Sie in der Klinik erfahren haben, Sie sind gewählt worden?

Mein Mann hat es mir damals gesagt. Es war zunächst nicht so wichtig. Ich war froh, dass ich noch da war.

Sie haben früh gesagt, das Attentat soll nicht ihr Leben bestimmen. Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe einfach meine Arbeit gemacht. Schwierig war, dass ich so viel abgenommen hatte und nicht schlucken konnte. Aber ich hatte dann eine großartige Logopädin. Und dann musste ich diese hoch diätischen Getränke zu mir nehmen. Das war auch ein Problem. Mir schmeckte nur Cappuccino, aber der war eisgekühlt. Das sind dann die praktischen Probleme. Und heute habe ich einen Kleiderschrank voller Anzüge in Größe 36. Die passen mir alle nicht. Ein Luxusproblem, ich werde demnächst mal ausräumen.

Sie haben danach Personenschutz gehabt. Haben Sie sich sicher gefühlt?

Ja. Irgendwann habe ich gesagt, ich brauche sie nicht mehr. Die waren immer dabei, auch im Karneval. Der eine ist Mal als Clown gegangen, der andere als Sheriff. Gelegentlich treffe ich sie noch, wenn man so lange so eng zusammengearbeitet hat, dann entwickelt sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Sie haben den Attentäter im Prozess erlebt, Sie waren ihm sehr wieder sehr nah. Wie schmerzvoll war das?

Es war bedrohlich, weil er während meiner Zeugenaussage hinter mir saß. Das hat über eine Stunde gedauert, ich weiß es gar nicht mehr genau. Aber ich konnte ihn nicht sehen, und ich wollte mich auch nicht zu ihm umdrehen. Mit dem Attentat selbst habe ich mich nicht mehr beschäftigt.

Hass und Hetze im Netz haben zugenommen. Sind Kommunalpolitiker heute noch mehr gefährdet?

Ja. Ich denke, dass der Schritt von Hass im Internet zu einer Tat nicht mehr so weit ist. Wenn man im Dialog steht, dann ist die Gefahr weniger groß, als wenn nur ein Internetbeitrag oder anonyme Briefe geschrieben werden. Oder eben auch Morddrohungen. Die habe ich immer bekommen, bis zuletzt.

Sie haben damals Rosen verteilt auf dem Wochenmarkt. Mögen Sie die heute noch?

Aber ja, die Rosen können doch nichts dafür.