Die erste Frau im höchsten Amt der Stadt musste in zehn Jahren viele Krisen bewältigen und konnte wichtige Baustellen nicht vollenden.
Zum Ende ihres AmtsDie Getriebene - Was bleibt von Oberbürgermeisterin Henriette Reker

„Gut für Köln“: Mit diesem Slogan warb Henriette Reker vor fünf Jahren für ihre Wiederwahl. Übergroß ließ sie sich auf eine Hauswand an der Severinstraße malen.
Copyright: Thomas Banneyer
Im Sturm stand sie von Anfang an. Oberbürgermeisterin Henriette Reker war gerade erst sechs Wochen im Amt, genesen von dem fast tödlichen Angriff auf ihre Person, da musste sie erklären, was nicht zu erklären war. Warum unzählige Männer, vorwiegend aus nordafrikanischen Ländern, in der Silvesternacht 2015 ungehindert Jagd auf Frauen machen konnten. Warum die Polizei am Hauptbahnhof komplett überfordert war. Es war ein Geschehen, das die Flüchtlingsdebatte im ganzen Land veränderte. Es war die Nacht, in der das „Wir schaffen das“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel wie eine Zumutung klang. Die Bürger waren erschüttert. Henriette Reker wusste von nichts in dieser Nacht.
Sechs Tage später musste sie Auskunft geben, sie ging auf Distanz zum Polizeichef und sie empfahl, Frauen sollten besser eine Armlänge Abstand halten. Es war der Satz, den sie bis zum Ende ihrer Amtszeit nicht wieder loswerden sollte. Was etwas ungerecht ist, denn sie hatte während einer Pressekonferenz auf die späte und allgemeine Frage einer Journalistin geantwortet, wie sich Frauen generell schützen könnten. Reker sagte, dass man generell Menschen, zu denen man kein Vertrauensverhältnis habe, nicht zu nahe an sich herankommen lassen solle. So steht es in einer städtischen Broschüre, es ist eine einfache Regel. An diesem Tag klang es wie Hohn auf die Frauen. Es war unbedarft, es blieb nicht ihre einzige unglückliche Äußerung. Später sprach sie mal davon, dass manche städtische Angestellte nur noch zur Arbeit kämen, um ihr Schmerzensgeld abzuholen.
Geschichte geschrieben hat die heute 68-Jährige in mehrfacher Hinsicht. Sie ist die erste Frau im höchsten Amt der Stadt. Und sie gelangte unter dramatischen Umständen auf den Chefsessel ins Rathaus. Am Tag vor der Kommunalwahl, am 17. Oktober 2015, wurde die damalige Sozialdezernentin auf einem Marktstand in Braunsfeld niedergestochen. Der Rechtsextremist Frank S. verletzte sie mit einem Messer so schwer am Hals, dass sie fast starb. „Der Vorgang wurde nicht ernst genug genommen“, sagte Reker in diesen Tagen rückblickend im Rundschau-Interview. Knapp vier Jahre später musste der hessische Regierungspräsident Walter Lübcke sterben, er wurde wegen seines Engagements für Flüchtlinge erschossen.
Alles zum Thema Henriette Reker
- „Und dann war die Hölle los“ Augenzeugen berichten zehn Jahre nach dem Messer-Attentat auf Reker
- Henriette Reker über das Attentat vor zehn Jahren „Ich war froh, dass ich noch da war“
- „Endlich schweigen die Waffen“ Henriette Reker hofft auch auf Frieden zwischen Kölnern
- Im Rathaus So wurden ausländische Studierende in Köln empfangen - „Bestellt Kölsch, kein Bier“
- Kölns scheidende OB Reker „Ich sehe die Demokratie gefährdet“
- Gefährlicher Giftstoff Quecksilber auf Museumsbaustelle in Köln gefunden
- Kölner Geschichte Neue Skulptur ehrt Versöhnung von Adenauer und de Gaulle
Der Kölner Kultur wollte sie zu mehr Strahlkraft verhelfen
Henriette Reker lag am Tag, als sie gewählt wurde, im künstlichen Koma. Sie siegte im ersten Wahlgang. Viel gesprochen hat sie später nicht über das Attentat, ihre Verletzung hat sie nie instrumentalisiert. Zur ersten Pressekonferenz nach der Wahl 2015 trug sie ein seidenes Halstuch. Sie wollte an diesem Tag ihren Dienst antreten, um der Schriftstellerin Herta Müller am Abend den Heinrich-Böll-Preis der Stadt überreichen zu können. Müller sagte am Abend: „Erst gehen die Worte spazieren, dann die Messer.“
Reker wählte das Museum Ludwig für ihren ersten Auftritt als OB, weil sie der Kultur in Köln zu mehr Strahlkraft verhelfen wollte. Das war eines ihrer Vorhaben. Noch vor fünf Jahren warb sie mit freiem Eintritt in den städtischen Museen im Falle ihrer Wiederwahl.
Die Wiederwahl gelang. Im Jahr 2025 ist festzuhalten: Das Römisch-Germanische Museum ist seit sieben Jahren geschlossen, der Zeitpunkt der Wiedereröffnung ungewiss. Ein Teil der Bestände ist im Interim zu sehen, was auch für das Kölnische Stadtmuseum gilt. Wo das Haus eine Heimat finden soll, ist unbekannt. Das Projekt „Historische Mitte“am Roncalliplatz ist geplatzt. Das Jüdische Museum wird frühestens 2028 fertig. Eine neue Tanzkompanie bekommt Köln trotz langer Vorplanung nicht, und, ach, ja, Oper und Schauspiel sind auch nach mehr als 13 Jahren der Sanierung noch nicht in Betrieb, es gibt immerhin einen Termin. An ihrem letzten Arbeitstag will Reker den Grundstein legen für den Anbau des Museums Wallraf. Es hat 25 Jahre Planungszeit dafür gebraucht.
Man könnte also sagen: Eine größere Strahlkraft hat die Kölner Kultur eher nicht bekommen. Eintritt kosten die Museen noch immer.
Eine Amtszeit geprägt von Krisen
Nun wäre es ungerecht, diese Misere der Oberbürgermeisterin anzulasten. Vor allem ihre zweite Amtszeit war geprägt von Krisen, wie sie die Stadt nach dem Krieg nicht erlebt hat. Allen voran Corona. Reker musste den Kölnerinnen und Kölnern verbieten, auf die Straße zu gehen, gemeinsam Zeit zu verbringen. Sie hat oft betont, wie sehr sie das gequält habe und sie hat mal angedeutet, dass sie nicht ein zweites Mal zur Wahl angetreten wäre, wenn sie diese Herausforderungen geahnt hätte. Konnte sie nicht.
Die Schulden aus der Zeit des Shutdowns lasten bis heute auf dem städtischen Haushalt. Das Krisenmanagement des Gesundheitsamtes fand bundesweit Beachtung. Reker sagt, die Stadt habe diese Krise gut gemeistert. Dann kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der Rosenmontagszug wurde zur größten Friedenskundgebung in der Stadtgeschichte umfunktioniert. Und es kamen die Flüchtlinge. Es fehlten Wohnungen, und es mangelte immer mehr an Schulplätzen. Schon in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn nahm Köln 5000 Flüchtlinge auf. „Wir stehen unverbrüchlich hinter der Ukraine“, sagte Reker auf einer Kundgebung am Dom. Es verging zu dieser Zeit kaum ein Tag ohne Hilfstransport von Köln in die Ukraine.
Verlässlichkeit war Henriette Reker immer ein zentrales Anliegen. Ein Wort ist ein Wort und das gilt. In den großen Krisen konnte sie das am besten unter Beweis stellen. Die Kraftanstrengungen im Krisenstab während der Corona-Zeit, das Engagement für die Flüchtlinge, das waren große Leistungen – und wahrscheinlich ist das bis heute nicht hinreichend gewürdigt.
Soll man eine Stadt dafür feiern, dass sie eine Pflichtaufgabe fast erfüllt?
Es gehört zur Tragik ihrer Amtszeit, dass die Verlässlichkeit in Köln allzu oft abhanden gekommen ist. Dass Baukosten explodierten, dass die Sanierung etwa der Mülheimer Brücke anfangs 118 Millionen Euro kosten sollte, aber nun bei 498 Millionen liegt (ein Neubau wäre wohl günstiger gewesen). Dass Schulbauten erst immer teurer und dann nicht fertig wurden. Teilweise müssen Eltern noch immer dabei zuschauen, ob ihr Kind bei der Schulplatz-Lotterie auf der Gewinnerseite steht oder eine Niete zieht. Es ist viel besser geworden, sagt die Chefin der Stadtverwaltung. Aber soll man eine Stadt dafür feiern, dass sie eine Pflichtaufgabe fast erfüllt?
Reker hat oft beklagt, dass sie das Erbe einer maroden Infrastruktur übernommen habe. Dass sie nichts dafür könne, dass die Brücken den heutigen Anforderungen nicht mehr Stand halten. Nicht nur da wirkt sie wie unter Dauerdruck. Wie eine, der die Gestaltungsfreiheit genommen wurde, die den Problemen hinterherläuft, die nur noch Schlimmeres verhindern kann. Das wurde nirgendwo so sinnbildlich wie in dem Theaterstück „Grmpf“ über die Opernsanierung. Auf der Bühne windet sich die OB wie von Alpträumen geplagt auf einem Sofa und muss doch jeder Kostensteigerung zustimmen. Reker, die Getriebene.
Die Liberalen zogen ihre Unterstützung zurück
Als parteilose Kandidatin ist die frühere Sozialdezernentin angetreten, auch das war ein Novum. Im ersten Wahlkampf unterstützten sie CDU, Grüne und FDP. Die Liberalen gingen später auf Distanz. Ihre eigene politische Rolle reduzierte sie gerne auf den Satz, sie habe im Stadtrat ja nur eine Stimme. Aber sollte sie als Oberbürgermeisterin nicht mehr Durchsetzungskraft haben? Hat sie genug für ihre Ziele gekämpft? Ihr Nachfolger im Amt, Torsten Burmester (SPD), hat schon einen Tag nach seiner Wahl im Rundschau-Interview den Finger in die Wunde gelegt: „Ich finde, die Vorstellungen eines OB müssen auf jeden Fall deutlich werden. Man muss die Stadtratspolitik besser planen. Dazu gehört, im Vorfeld die Fraktionen einzubinden. Ich glaube, das hat bisher nicht in dem Maße stattgefunden, wie es notwendig ist.“
Es hat Jahre gedauert, bis der Stadtrat einen Beschluss für einen Tunnel zur Ost-West-Achse gefasst hat. Eines der zentralen Zukunftsthemen wurde fast unwürdig zerredet, auch wenn die Mehrheiten mehrfach greifbar waren. Wiederholt hat die OB angekündigt, dass sie den Konflikt um die Gleueler Wiese entschärfen will. Es ist ihr bis heute nicht gelungen. Mitten im Prozess hat sie eine Kehrtwende vollzogen und dem 1. FC Köln einen Ausbau seiner Trainingsplätze andernorts empfohlen. Das wurde auf Seiten des Clubs wie ein Vertrauensbruch empfunden.
Mit der Verwaltungsreform hat sie eines der vermeintlich unpopulärsten Themen zu einem zentralen erhoben. Sie hinterlasse heute eine deutlich digitalere Verwaltung, sagt Reker. Das stimmt, aber für den Bürger ist der Fortschritt nicht immer ersichtlich. Der große Wurf jedenfalls ist ihr nicht gelungen. 35 Millionen Euro sollte die Reform einsparen. Der Rechnungsprüfungsausschuss der Stadt kam zu dem Schluss, es seien nur 2,7 Millionen Euro gespart worden – bei erheblichen Kosten.
Sie sei Oberbürgermeisterin geworden, hat Henriette Reker gesagt, weil sie ihr Köln und die Menschen liebe. Niemand wird das bezweifeln.
In all den Krisen hat Henriette Reker den Rücken immer gerade gemacht. Sie konnte einstecken, wahrlich, dazu zählen auch die unzähligen Beleidigungen, die im Netz auf sie einprasselten. Tag für Tag. Sie habe sich ein dickes Fell zugelegt, sagt sie. Und sie hat sich nicht versteckt und andere vorgeschoben, wenn es unangenehm wurde. Als der Zeitplan auf der Bühnenbaustelle 2024 erneut über den Haufen geworfen werden musste, sagte sie: „Ich trage als Oberbürgermeisterin letztlich die Verantwortung.“ Das hätte man gerne auch von anderen gehört.
Reker war immer nah bei den Menschen. Sie liebt den Karneval und hat das oft und gerne gezeigt, sie hat all die gestärkt, die etwas einbringen von sich für die Stadt. Sie selbst wird es künftig als Vorsitzende des Fördervereins für die romanischen Kirchen tun. Sie sei Oberbürgermeisterin geworden, hat Henriette Reker gesagt, weil sie ihr Köln und die Menschen liebe. Niemand wird das bezweifeln.