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Kölns scheidende OB Reker„Ich sehe die Demokratie gefährdet“

6 min
In der Piazzetta des Historischen Rathauses: Henriette Reker (68)

In der Piazzetta des Historischen Rathauses: Henriette Reker (68)

Abschied aus dem Rathaus: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker spricht im Rundschau-Interview über zehn Jahre im Amt, einen großen Fehler und was sie wieder lernen muss.

Der letzte Arbeitstag steht vor der Tür: Am 21. Oktober scheidet Henriette Reker nach zehn Jahren aus dem Amt der Kölner Oberbürgermeisterin. Ein Gespräch über noch zu erledigende Aufgaben, neue Perspektiven und vertane Chancen.

Fällt der Druck, den das Amt der Oberbürgermeisterin sicherlich mit sich bringt, nun langsam von Ihnen ab?

Ich hatte mir vorgestellt, dass die letzten Wochen im Amt nicht mehr so anspruchsvoll sein werden. Aber das erlebe ich nun doch anders. Ich bin noch sehr eingespannt, weil noch viele Vorgänge zu Ende gebracht und noch viele Entscheidungen gefällt werden müssen.

Was steht denn noch alles auf Ihrer Liste?

Ich werde beispielsweise auf der Expo Real in München um Investoren werben und den Grundstein für den Erweiterungsbau des Wallraf-Richartz-Museum/Fondation Corboud legen.

In welchem Zustand übergeben Sie die Stadtverwaltung?

Platz genommen in der Piazzetta des Kölner Rathauses: Auch in diesem Saal hat Henriette Reker Spuren hinterlassen. Ein freundliches Entree war ihr wichtig.

Platz genommen in der Piazzetta des Kölner Rathauses: Auch in diesem Saal hat Henriette Reker Spuren hinterlassen. Ein freundliches Entree war ihr wichtig.

Ich bin davon überzeugt, dass ich meinem Nachfolger eine deutlich modernere, leistungsfähigere, serviceorientiertere, digitalere Verwaltung übergebe, als ich sie selbst vorgefunden habe. Das war auch eine meiner Motivationen, als ich das Amt übernommen habe. Als ehemalige Dezernentin in der Stadtverwaltung wusste ich sehr wohl, dass sich einiges verändern muss und dass dabei der Veränderungswille nicht so groß ist, wie es wünschenswert wäre. Das Arbeiten in Strukturen hatte sich verhärtet.

Bedauern Sie, einige dieser Veränderungsprozesse, die unfertig geblieben sind, nicht mehr weiterführen zu können?

Ja. Ich bin mit dem Klinikverbund an die Grenzen dessen, was innerhalb meiner Amtszeiten zu erreichen war, gestoßen. Wenngleich es mir gelungen ist, immerhin das Zukunftsmodell eines Campus der Kliniken Köln in Merheim durchzusetzen. Ich war immer davon überzeugt: Es ist für Köln und ganz NRW ein großer Wurf, hier ein Gesundheitszentrum des Westens aufzubauen.

Warum hat es nicht geklappt?

Weil wir immer noch in Sondierungsverhandlungen mit dem Land stecken. Aber ich gebe die Hoffnung auf eine Umsetzung auch nach mittlerweile über zehn Jahren Debatte und Verhandlungen nicht auf.

Die Stadt steht vor einem Finanzloch von mehreren hundert Millionen Euro. Gibt es die Chance, sich aus dieser Lage selbst zu befreien?

Rein theoretisch könnten wir durch die Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes mehr Einnahmen erzielen. Aber wir sind von Städten mit niedrigeren Hebesätzen umgeben, teilweise mit erheblich niedrigeren Hebesätzen wie Leverkusen und Monheim. Sogar Düsseldorf hat einen niedrigeren Hebesatz. Und damit ist das sicher nicht zielführend.

Also müssen die Ausgaben gedrosselt werden?

Das wird eine der dringendsten Aufgaben des nächsten Stadtrates sein. Es müssen Prioritäten gesetzt werden.

Eine Prioritätenliste über die geplanten Großvorhaben aufzustellen, ist dem bisherigen Stadtrat schon nicht gelungen. Und es gibt noch weitere Themen, die seit Jahren schwelen, wie die Expansionspläne des 1. FC Köln und die damit zusammenhängende Debatte um die Gleueler Wiese. Darüber wird nun seit elf Jahren diskutiert. Wie frustrierend ist das für Sie, und haben Sie dabei vielleicht auch selbst etwas falsch gemacht?

Ich habe immer als Mediatorin zwischen dem 1. FC Köln und der Verwaltung agiert. Es sind ja verschiedene Lösungsvorschläge formuliert worden. Einige lassen sich wegen der finanziellen Möglichkeiten des Vereins nicht realisieren. Andere sind aufgrund der sportlichen Infrastruktur schwer zu verwirklichen. Aber es ist eine Lösung möglich - wenn es auch nicht die sein wird, die der FC priorisiert.

Ein weiteres Projekt, das auf Vollendung wartet, ist die Sanierung der Bühnen mit ihrer markantesten Baustelle am Offenbachplatz. Nun haben Sie wenigstens noch den Eröffnungstermin nennen können. War Ihnen das wichtig?

Ja. Ich kann die Bühnen leider nicht mehr in meiner Amtszeit eröffnen, aber sie werden bis zum Ende des Jahres baulich fertiggestellt und der Spielbetrieb wird am 24. September 2026 am Offenbachplatz starten.

Wenn Sie auf Ihre zehnjährige Amtszeit zurückschauen: Welche war die schwerste Phase?

Heute würde ich sagen, die Corona-Pandemie. Ich habe kürzlich noch einen Fernsehbeitrag von mir aus dieser Zeit gesehen. Dort stehe ich vor den Kameras und Mikrofonen und sage: Es wird nicht gesungen, es wird nicht getanzt, es wird nicht gefeiert … Fürchterlich, ganz fürchterlich. Es war nötig, und wir sind in Köln gut durch diese Krise gekommen, aber dieses Auftreten ist ja eigentlich nicht meine Art.

Nicht nur auf die Corona-Pandemie bezogen: Gibt es Entscheidungen, die Sie heute so nicht mehr fällen würden, vielleicht sogar bereuen?

Da sind wir wieder bei den Bühnen: In den ersten 14 Tagen im Amt habe ich nachrechnen lassen, was für die Sanierung schon ausgegeben wurde und welche finanziellen Verpflichtungen noch auf uns zu kommen. Ich habe mich damals nicht getraut, den Vorschlag zu machen, die Sanierung zu stoppen und die Bühnen an andere Stelle als Neubau zu errichten. Das würde ich heute anders machen. Auch würde ich aus heutiger Sicht viel früher dafür appellieren, Plätze wie den Ebertplatz umzugestalten. Aber als Oberbürgermeisterin kann ich eben meistens auch nur vorschlagen und appellieren. Entscheiden muss der Stadtrat. Dabei ist es in Köln ein althergebrachtes Problem: Politik macht Verwaltung und Verwaltung macht Politik. Darum dauert manches hier auch so unglaublich lange.

Ist Köln eine unregierbare Stadt?

Wie definieren Sie regierbar? Die Vorstellung, dass eine direkt gewählte Hauptverwaltungsbeamtin hier regiert, ist natürlich falsch. Die Oberbürgermeisterin oder der Oberbürgermeister steuert die Prozesse in der Verwaltung, sie oder er macht Vorschläge und hat ansonsten eine Stimme von 91 im Stadtrat, obwohl sie die demokratisch am meisten legitimierte Person der Stadt ist.

Macht Sie das als Oberbürgermeisterin nicht zu klein? Können Sie nicht wenigstens mahnend eingreifen, wenn beispielsweise von einem Dezernat Verkehrsversuche durchgeführt werden, die in den betroffenen Vierteln zu Polarisierung führen und Köln bundesweit negative Aufmerksamkeit verschaffen?

Glauben Sie wirklich, dass hätte ich nicht getan? Aber ich habe eben kein Kabinett, sondern Beigeordnete, die mir eben nicht unter-, sondern beigeordnet sind und eigenverantwortlich ihre Bereiche bearbeiten und verantworten.

Vielleicht liegt aber auch nicht bei allen Problemen die Wurzel des Übels in der Verwaltung? Bei dem Thema Sauberkeit kann manchmal der Eindruck entstehen, die Kölnerinnen und Kölner fühlen sich wohl in ihrem Dreck. Wenn man sich beispielsweise nach warmen Wochenenden die Grüngürtel anschaut.

Das liegt vielleicht auch an einem gewissen Hang der Kölnerinnen und Kölner zum Laissez-faire. Dahinter steht der Gedanke: Es wird schon jemand wegräumen. Nehmen Sie den Treppenaufgang zum Roten Haus neben dem Rathaus. Dort werden immer Aufkleber um die Geländer geklebt. Das macht mich völlig verrückt. Manchmal knibbele ich im Vorbeigehen die Aufkleber ab. Und dann kommen schon mal Menschen dazu, die sagen: „Sie machen die weg? Dann mache ich mit.“ Ich spreche auch Menschen an, die ich zufällig dabei beobachte, dass sie Müll auf die Straße werfen. Wir geben mittlerweile 14 Millionen Euro im Jahr für Reinigungsleistungen der Abfallwirtschaftsbetriebe aus. Klar, man kann immer noch mehr machen, noch mehr Geld in die Sauberkeit stecken – aber ich finde, das muss Grenzen haben.

Sie haben als Oberbürgermeisterin diese Stadt teilweise verändert, teilweise geprägt. Hat das Amt auch Sie geprägt und verändert?

Geprägt eher nicht, aber verändert schon. Dieses Amt hat meine Tagesstruktur bestimmt. Daneben gab es eigentlich nur noch ein paar Stunden Schlaf und etwas zu essen. Ich kann nicht mehr kochen. Ich musste wieder Autofahren lernen. Ich versuche gerade, Freundschaften wiederzubeleben.

Sie wurden zumeist in den sozialen Medien auf knappe Aussagen reduziert, wie beispielsweise die „Armlänge Abstand“. Fühlten Sie sich oft missverstanden?

Nein, ich habe lernen müssen, dass die Informationslage nicht mehr bei allen Menschen so ist, dass die Zusammenhänge gesehen werden.

Haben Sie ein dickes Fell bekommen?

Ja, das muss man sich als OB zulegen. Mir hat wahrscheinlich geholfen, dass ich seit dem Attentat 2015 auf mich weiß, was wirklich schlimm ist.

Hat die Gesellschaft aus dem Attentat gegen Sie ausreichend Lehren gezogen?

Losgelöst von meiner Person haben wir als Gesellschaft das Attentat – den Vorgang an sich – nicht ernst genug genommen. Wir haben damals nicht die Entwicklung erkannt, die von der Schriftstellerin Herta Müller an meinem ersten Arbeitstag in die Mahnung gefasst wurde: „Erst gehen die Parolen spazieren und dann die Messer.“

Da musste erst Walter Lübcke ermordet werden, bis man die gesellschaftliche Entwicklung dahinter, das Erstarken des Rechtsradikalismus, erkannte. Nun werden wir andauernd mit dieser Entwicklung konfrontiert und hätten schon viel eher darauf kommen können und müssen.

Machen Sie sich Sorgen um die Demokratie?

Ich sehe die Demokratie gefährdet. Wir müssen uns alle klarmachen, welch ein Vorteil es ist, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben. Um das zu sichern, müssen wir dafür sorgen, dass sich niemand abgehängt fühlt. Wir müssen die politische Bildung fördern, im frühsten Alter schon. Und wir müssen den Menschen ehrlich sagen, welche Leistungen wir als Kommune noch erbringen können und was nicht mehr geht. Ich habe schon vor zwei Jahren im Stadtrat gesagt: Wir werden uns nicht mehr alles leisten können. Applaus habe ich nicht dafür bekommen. Aber das muss man aushalten.

Auch wenn Sie nun Ihren Weg zurück ins Privatleben nehmen, Sie werden auch künftig jemand sein, der viele Menschen, Organisationen und Strukturen in dieser Stadt kennt und der sicherlich auch nach Rat gefragt werden wird.

Ich werde tatsächlich jetzt schon nach Rat gefragt. Viele scheinen mich als Mediatorin wahrzunehmen. Meine Zukunft formt sich gerade. (Henriette Reker wurde nach diesem Gespräch einstimmig zu Vorsitzenden des Fördervereins Romanische Kirchen Köln gewählt; Anm.d.Red.)

Interview: Raimund Neuß, Jens Meifert und Ingo Schmitz