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Zentral oder Dezentral?Kölns Drogenpolitik steht am Scheideweg

5 min
Das Elend der Drogensüchtigen auf dem Neumarkt schreit eigentlich nach einer Lösung. Aber die ist noch nicht in Sicht.

Das Elend der Drogensüchtigen auf dem Neumarkt schreit eigentlich nach einer Lösung. Aber die ist noch nicht in Sicht.

Zentraler oder dezentraler Standort für neue Drogenhilfe? Die Debatte um den richtigen Umgang mit der Drogenszene am Neumarkt spaltet Politik und Anwohner. Ein neuer Antrag heizt die Diskussion weiter an.

Zentral oder dezentral? Das ist die bestimmende Frage in der aktuellen Debatte über den richtigen Umgang mit der ausufernden Drogenszene am Neumarkt. Neue Hilfseinrichtungen müssen her, da sind sich scheinbar alle einig. Ob sie sich jedoch nah am Neumarkt – und damit auch nah an der aktuellen Szene – oder ausschließlich fernab des Platzes befinden sollen, daran scheiden sich die Geister.

Das zeigte sich am Montag auch im Hauptausschuss. In der Sitzung wurde ein Antrag – gestellt von SPD, Grünen, Klimafreunden, Linken und Volt – beschlossen, der die Stadt damit beauftragt, einen alternativen Standort zum Drogenkonsumraum in der Lungengasse zu finden. Die neue Einrichtung soll wieder in der Nähe des Neumarkts liegen. „Prioritär“ sollte die Ex-Kaufhof-Zentrale in der Leonhard-Tietz-Straße als Standort geprüft werden. Der Vermieter lehnt diese Art der Nutzung laut Stadtentwicklungsdezernent Andree Haack jedoch ab.

Kontroverse um Dezentralisierung der Drogenszene

Walter Schuch, Vorsitzender der Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt, ist unzufrieden mit dem Ergebnis des Hauptausschusses. Schuch plädiert für dezentrale Hilfseinrichtungen für Drogenabhängige, eine Verdrängung der Drogenszene und eine überparteiliche Lösungsfindung. Dabei kritisiert er besonders den Gesundheitsdezernenten: „Aus unserer Sicht haben die Grünen die Realität völlig ausgeblendet.“ Rau hätte bereits 2016 einen Ratsbeschluss umsetzen müssen, so Schuch, bei dem dezentrale Drogenkonsumräume zur Entlastung des Neumarkts hätten eingerichtet werden sollen. „Stattdessen hat er mit dem gescheiterten Drogenkonsumraum in der Lungengasse die Lage nur noch verschärft“, sagt Schuch. Er bezieht sich auf den sogenannten „Pull-Faktor“: Die Konsumräume würden dafür sorgen, dass sich mehr drogenabhängige Menschen auf dem Neumarkt aufhalten. „Herr Rau hat alle Interventionen und Verbesserungsvorschläge, die wir aus der Sicht unserer Bürgerinitiative gemacht haben, völlig ignoriert.“

Vorschläge für neue Suchthilfezentren und das Zürcher Modell

Der Gesundheitsdezernent stellte im Hauptausschuss ein ausführliches Arbeitspapier vor, das die Entscheidungsfindung für ein passendes Suchthilfekonzept unterstützen soll. Darin schlägt das Dezernat vor, drei „Suchthilfezentren“ einzurichten, die eine „Weiterentwicklung der vorhandenen oder geplanten Drogenkonsumräume“ darstellen. Neben dem Raum in der Lungengasse gibt es einen am Hauptbahnhof, ein weiterer ist in Kalk im Aufbau und soll laut Rau im Januar 2026 öffnen. Die Suchthilfezentren sollen zudem Merkmale des „Zürcher Modells“ beinhalten. Dazu gehört auch, dass der „Mikrohandel“ mit Drogen unter Abhängigen in den Einrichtungen bestenfalls toleriert werden soll, damit diese möglichst lange dort bleiben.

Die Bürgerinitiative habe eine Kombination aus Drogenkonsumraum und Substitutionsambulanz vorgeschlagen, um die Drogenszene zu dezentralisieren, erklärt Schuch. „Das Zürcher Modell wird ja im Moment wie die Lösung dargestellt. Es hat mit Sicherheit eine ganze Reihe von positiven Ansätzen“, sagt Schuch. Aber: Die Realität dürfe nicht ausgeblendet werden. Die sichtbare Drogenszene in Zürich sei deutlich kleiner gewesen als in Köln, und drogenabhängige Menschen wurden in ihre Heimat verwiesen, um das System dementsprechend anzupassen. „Eine Weiterentwicklung dieses Modells ist aber absolut zu empfehlen. Zudem steht die Frage im Raum, wie man die vergangenen acht Jahre aufarbeitet.“

Verdrängungspolitik und dessen Auswirkungen auf Anwohner

Schuch spricht sich klar für eine „Verdrängungspolitik“ gegenüber der Drogenszene aus. Die Anwohnenden am Neumarkt, vor allem ältere Menschen, hätten Angst davor, ihre Wohnungen zu verlassen. „Die Leute schauen aus dem Fenster, bevor sie rausgehen“, erzählt Schuch. „Vor diesem Hintergrund ist es unerträglich für uns, wenn es heißt, dass man die Szene nicht verdrängen möchte.“ Schuch selbst spricht aus Erfahrung: Er ist der Geschäftsführer vom Sanitätshaus Stortz und erlebt regelmäßig, wie Drogenabhängige sich in seinem überdachten Ladeneingang aufhalten. Unter der „Verdrängung“ und dem Aufbau dezentraler Hilfseinrichtung könne man etwas Positives sehen: „Wir können die Menschen von meinem Ladeneingang in eine Struktur verdrängen, die ihnen ein besseres Umfeld und Hilfe anbietet.“

Auch im Stadtrat sorgt das Ergebnis der Ausschuss-Sitzung für Diskussionsstoff. Die CDU-Fraktion lehnt den Inhalt des beschlossenen Antrags klar ab. „Die Chance, die Drogenszene am Neumarkt durch die Verlagerung des Drogenkonsumraums und mehr polizeiliche Repression endlich zu zerschlagen, wurde gestern im Hauptausschuss vertan“, teilt Vorsitzender Bernd Petelkau mit. Durch einen Standort, der so nah am Neumarkt liegt wie die Leonhard-Tietz-Straße, bleibe „die Szene mitten im Herzen unserer Stadt erhalten“. Niklas Kienitz, Geschäftsführer der CDU-Fraktion, gibt zu bedenken, dass der Kölner Polizeipräsident Johannes Hermanns sich gegen ein weiteres Hilfsangebot am Neumarkt ausgesprochen hatte.

Forderungen und finanzielle Herausforderungen für neue Suchthilfezentren

SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Joisten verweist auf Versäumnisse in der Vergangenheit. „CDU und Grüne einschließlich des Sozialdezernenten stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer gescheiterten Drogenpolitik der vergangenen zehn Jahre“, sagt er und spricht sich für schnelle Lösungen aus. Die SPD wolle, dass das „Grobkonzept“ des Dezernats „in dieser Ratsperiode bis Mitte September beschlossen und noch in diesem Jahr umgesetzt wird.“ Die Stadt müsse mit „Hochdruck“ einen geeigneten Standort prüfen, der Entlastung für die Menschen am Neumarkt schafft. „Selbstverständlich ist, dass die Stadt für eine ausreichende Finanzierung sorgt.“ Rund 17 Millionen Euro sollen die Zentren laut Dezernat pro Jahr kosten – was den Haushaltsplan der Stadt für diesen Bereich um 14 Millionen pro Jahr übersteigt. Joisten spricht sich außerdem für das „Zürcher Modell“ als Vorbild aus. „Dort wird Prävention, ein modernes Hilfe- und Therapiezentrum für Drogenkranke in zentraler Lage kombiniert mit Repression und Schutz des Umfelds.“

Als Reaktion auf den Unmut der Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt teilt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Mechthild Böll mit, dass die Fraktion die Sorgen von Betroffenen „sehr ernst“ nehme und „jederzeit dialogbereit“ sei. Der Beschluss habe die Stadt zusätzlich damit beauftragt, dass sie in den nächsten Monaten ein „umsetzbares Interim als Anlaufstelle für Crack-Konsumenten in Neumarktnähe erarbeiten soll“, um eine schnelle Lösung zu finden. „Mittel- und langfristig hilft aber nur ein durchdachtes Konzept mit einem an Köln angepassten Zürcher Modell“, sagt Böll. „Vollmundige Ankündigungen mit brachialer Rhetorik zu Verdrängungsfantasien lösen die Probleme nicht – die Szene kehrt zurück und/oder sie verlagert sich unkontrolliert.“