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777 Jahre Kölner Dom
Der dritte Turm ist Kölns heimlicher Mittelpunkt

4 min
Der Vierungsturm am Kölner Dom

Der Vierungsturm am Kölner Dom

Nicht die berühmten Domspitzen, sondern der kleine Vierungsturm mit dem „Stern von Bethlehem“ war einst der geografische Nullpunkt des Rheinlands. Bis heute birgt der 109 Meter hohe „dritte Turm“ des Doms erstaunliche Geheimnisse.

Der Kölner Dom ist der Mittelpunkt und das Zentrum Kölns. Oder aus Sicht des zur Bescheidenheit neigenden Kölners: der Welt. Wo aber liegt der exakte Vermessungspunkt, von dem alle geographischen Berechnungen im Zusammenhang mit Köln ausgehen? Der Blick muss für die Antwort weggeleitet werden von den beiden großen Türmen des Doms, hin zu dem „kleinen“ Vierungsturm östlich von ihnen, der von dem „Stern von Bethlehem“ geziert wird.

Die Bedeutung des Vierungsturms im 19. Jahrhundert

Der Vierungsturm in der Mitte des Bauwerks wurde 1860 errichtet und in den 1960er Jahren umgestaltet – er ist der dritte Turm des Doms. Die Vierung einer Kirche ist die Stelle, wo das Haupt- und das Querschiff sich treffen. Tatsächlich war die Spitze des Vierungsturm mit dem 1,80 Meter großen „Stern von Bethlehem“ lange Zeit der genaue geographische Mittelpunkt Kölns. „1803 haben die Franzosen den kleineren Vorgängerturm zur Vermessung des Rheinlandes genutzt. Die Preußen haben diese Daten anschließend übernommen und den Turm zum Nullpunkt des Rheinlandes einschließlich der Regierungsbezirke Düsseldorf und der Provinz Westfalen erklärt.

Satelliten verschieben den Nullpunkt

Heute ist der Vierungsturm durch die Satellitentechnik für die Landesvermessung nicht mehr ganz so bedeutend. Der GPS-Referenzpunkt der Stadt liegt heute tatsächlich auf der Schäl Sick“, erklärt Michael Bastgen, Technischer Leiter der Kölner Dombauhütte. Dabei ist der Vierungsturm so etwas wie die Verlängerung des Mittelpunktes: Der Fixpunkt in der Domgrabung entspricht exakt der Lage des Sterns auf der Spitze des Vierungsturms. „Er markiert den Nullpunkt des lokalen Vermessungssystems des Domes, das zu Zwecken der archäologischen Ausgrabung seit der Nachkriegszeit festgelegt worden ist“, erklärt Bastgen weiter. Unter anderem die Kilometerangaben auf Autobahnschildern, die nach Köln weisen, richten sich nach diesem Nullpunkt. Und zwischen dem Stern auf der Spitze des Vierungsturms und dem „Nullpunkt“ in den Grabungen unter dem Dom liegt „auf halber Höhe“ der Schrein der Heiligen Drei Könige. Mehr Bedeutung kann auf einer Vertikalen eigentlich nicht zusammenkommen. Zumindest nicht aus Kölner Sicht.

Einzigartiger Ausblick über Köln

Auf dem 109 Meter hohen Vierungsturms befindet sich auf etwa 70 Metern Höhe eine Aussichtsplattform. Wer mit dem wackeligen Bauaufzug hochfährt und anschließend eine enge Wendeltreppe hinaufklettert, gerät in schwindelerregende Höhen, erhält jedoch einen atemberaubenden Rundumblick über Köln, den es auf der Aussichtsplattform des Südturms so nicht gibt. Zudem kommt man hier den beiden Haupttürmen des Doms so nah, wie selten. Beim Blick auf die Türme steht der Betrachter vor einer Platte mit der Inschrift: „Tr. Pt. der europäischen Gradmessung 1867 Baeyer“. Diese erinnert an das Wirken des Landvermessers Johann Jacob Baeyer (1794 – 1885), der 1867 die europäische Gradmessung begründete. Man befindet sich also hier nicht nur in der – fast genauen – Mitte Kölns, sondern auf einem historischen Fleck Europas.

Zudem ist der kleine Bruder der großen Türme ein ganz besonderes Hybrid-Bauwerk, welches regelmäßig erneuert wurde, jedoch auch einiges an Kritik erlebte. Die moderne Silhouette des Vierungsturms ist mit dem Art déco in Verbindung gebracht worden – dies passe nicht zum gotischen Bauwerk, so der öffentliche Tenor. So bezeichnete Philippe Villeneuve, Chef-Architekt beim Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame, den Kölner Vierungsturm als Fremdkörper und verglich ihn mit einer Warze.

Historische Bauweise aus Eisen

Sulpiz Boisserée, einer der Initiatoren zur Vollendung des Doms, sah Anfang des 19. Jahrhunderts einen Turm aus Stein als Ideallösung vor. Unter Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner entstand jedoch ein Turm aus Eisen. Nachdem die Kölnische Maschinenbau AG in Bayenthal die Ausschreibung gewonnen hatte, wurde diese mit dem Bau des Turmes beauftragt, welcher lediglich von Oktober 1859 bis September 1860 dauerte. Der Hauptteil des Turmes sowie die Turmspitze bestehen aus acht Stützen aus starken, genieteten Walzblechen.

Die beeindruckende neugotische Verzierung des Turms wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt – die Eisenkonstruktion selbst blieb erhalten. Zwischen 1961 und 1973 erhielt der Turm eine neue Verkleidung aus Blei. Seitdem wachen acht monumentale Engel, geschaffen von Bildhauer Erlefried Hoppe, über die Stadt. Sie zieren die Pfeiler des Freigeschosses. Jeder einzelne von ihnen ist 4,10 m hoch und wiegt 2,25 Tonnen.

Funktionen des Vierungsturms heute

Die Spitze des Vierungsturmes krönen eine kupferne Kreuzblume sowie der goldene Stern von Bethlehem. Und ebenso wie im „großen Bruder“, dem Südturm, befindet sich auch im Vierungsturm ein Geläut, welches aus vier kleineren Glocken besteht.

Der Vierungsturm ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich – jedoch sieht die Feuerwehr regelmäßig oben nach dem Rechten: „Der Vierungsturm des Kölner Doms ist ein wichtiger Punkt für die Feuerwehr, da dort ein Funkverstärker für eine zuverlässige Kommunikation der Einsatzkräfte im gesamten Dom installiert ist. Die Feuerwehr führt regelmäßig Begehungen und Übungen am Dom durch und arbeitet eng mit der Dombauhütte zusammen, um den Brandschutz zu gewährleisten“, erläutert Michael Bastgen. Der Vierungsturm sei zum Glück aus Eisen – im Gegensatz zum sogenannten Vierungsturm der Pariser Notre-Dame, der beim Brand 2019 einstürzte und wie das gesamte Dach aus Holz gefertigt war. Somit fühlt man sich unter dem Stern von Bethlehem sicher – dank preußischer Akribie und kölscher Baukunst.