Kölner Kripo-Chef im InterviewEin klarer Kopf und professionelle Distanz

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Kripo-Chef Klaus-Stephan Becker.

  • Der erste Polizeieinsatz für Klaus-Stephan Becker war eine Kneipenschlägerei.
  • Nun geht der Kölner als Kripochef in den Ruhestand. Eine Bilanz
  • Klaus-Stephan Becker (62) leitete sechs Jahre die Kripo. Thorsten Moeck sprach mit ihm über harte Einsätze, Erfolge und das Abschalten.

Köln – Sie sind als Kripochef Tag für Tag mit dem Bösen dieser Stadt konfrontiert worden.

Becker: Stimmt, es gibt keine Kriminalitätsform, die es in Köln nicht gibt. Wir bearbeiten alles, von der Sachbeschädigung bis zum Serienmord. Die unmittelbare Fallbearbeitung machen die Kollegen in den Kommissariaten, aber ich lese viel und war in den gravierenden Fällen involviert. Wichtig ist es, einen klaren Kopf zu behalten und eine professionelle Distanz zu wahren.

Aber nicht immer einfach, vor allem beim riesigen Komplex der Kinderpornografie.

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Ja, da wird es schwierig. Ich habe mir auch mal die Videos angeschaut, mit denen die Kolleginnen und Kollegen jeden Tag konfrontiert sind, das lässt niemanden kalt. Ich habe einen riesigen Respekt vor dieser Arbeit, eine sehr belastende Tätigkeit.

Und, wie bekommen Sie den Kopf frei?

Wie sich das gehört, bin ich in einem Fitnessstudio angemeldet. Ich spiele gelegentlich Golf und fahre sehr gerne Mountainbike im Königsforst. Wenn ich mal 90 Minuten in die Pedale getreten habe, geht es wieder.

Zur Person

Klaus-Stephan Becker (62) hat 1980 als Kriminalkommissar-Anwärter bei der Kölner Polizei seinen Dienst angetreten. Unter anderem leitete er die Abteilung gegen Organisierte Kriminalität, seit 2015 ist er Kripochef. Zwischenzeitlich arbeitete er drei Jahre lang beim Landeskriminalamt (LKA). In den Ruhestand geht er als Leitender Kriminaldirektor. (tho)

Kripochef zu sein bedeutet ja meist, zu wenig Personal für zu viele Aufgaben zu haben.

Das ist in Köln leider auch so. Wir kämpfen aber dafür, mit dem zur Verfügung stehenden Personal die Aufgaben bewältigen zu können. Wir brauchen dringend zusätzliches Personal, das gilt für andere Bereiche der Polizei aber auch. Zum Glück will das Land durch erhöhte Einstellungszahlen die Lücke schließen.

Sie meinen die Cyberkriminalität? Die Polizei musste die virtuelle Welt der Kriminalität auch erst erschließen.

Gerade beim Betrug im Internet gehen die Fallzahlen in die Höhe. Da braucht man qualifiziertes Personal mit Affinität zu IT-Themen. Da kommt viel Arbeit auf uns zu.

Sie setzen inzwischen auf Quereinsteiger. Computerfreaks mit Sinn für Gerechtigkeit.

Gerade bei den nachrückenden Generationen ist die IT-Affinität deutlich höher. Ältere Kolleginnen und Kollegen sind da schwerer zu begeistern. Wir stellen aber auch auf Angestelltenbasis IT-Spezialisten ein, die ein spannendes Arbeitsfeld finden.

Welche großen Einsätze sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Die erfolgreichen. Oft war es ein Ritt auf der Rasierklinge, um erfolgreich zu sein. Ich durfte die Ermittlungsgruppe zum Loveparade-Unglück in Duisburg leiten. Anfangs war ich nicht begeistert, das war eine Mammutaufgabe, für die es keine Blaupause gab. Wir mussten erstmal ein Konzept entwickeln, wie wir die Ermittlungen strukturieren.

Und sonst? Die Erfolge?

Wir hatten eine Besondere Aufbauorganisation zur Bekämpfung der Rockerkriminalität. Da hatten wir zwischenzeitlich große Probleme. Bandidos und Hells Angels haben sich hier auf offener Straße bekriegt und beschossen. Unser Konzept wirkt bis zum heutigen Tag nach. Man muss sehr aufpassen und darf die Dinge nicht laufen lassen, sonst bekommt man sie nicht mehr eingefangen. Auch im Bereich Kinderpornografie haben wir in den Ermittlungen neue Standards geschaffen.

Was von Köln als größter Behörde des Landes auch erwartet wird?

Aufgrund der schieren Größe der Behörde sind wir in manchen Dingen gezwungenermaßen auch Vorreiter. So haben wir zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch ein eigenes, zusätzliches Kommissariat gegründet. Das war Neuland. Das machen andere Behörden nach.

Was auch daran liegt, dass intensive Ermittlungen zu immer mehr Entdeckungen geführt haben. Hat Sie das Ausmaß überrascht?

Es wurde immer geahnt, dass das Dunkelfeld in diesem Bereich sehr groß ist. Auch weil es ein Tabuthema ist und sexuelle Gewalt gegen Kinder oftmals im familiären Kontext zu finden ist. Die schiere Dimension hat mich überrascht. Aber was mich betroffen macht, ist die unglaubliche Gnadenlosigkeit und herzlose Brutalität, mit der schon kleinste Kinder missbraucht werden. Das war für mich unvorstellbar.

Das Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 hat Ihnen viel Arbeit bereitet. Der Täter Anis Amri war vorab vom LKA in Nordrhein-Westfalen beobachtet worden – ihr Aufgabenbereich. Und der tragischste Fall?

Wir waren uns damals schon recht früh sicher: wenn jemand entschlossen ist, einen Anschlag zu begehen, dann ist es Anis Amri. Deswegen haben wir die Ermittlungen intensiv und unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten geführt. Dabei haben wir glaube ich sehr viel richtig gemacht. Das haben auch die Untersuchungsausschüsse in Berlin und Düsseldorf bestätigt. Er konnte den Anschlag begehen, weil er die Schwächen des föderalen Systems ausgenutzt hat. Bei den Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gab es Schwierigkeiten. Wenn Anis Amri in Nordrhein-Westfalen geblieben wäre, hätte es keinen Anschlag gegeben, das wage ich zu behaupten. Aber er ist nach Berlin gegangen und dort unter dem Radar gelaufen. Wir haben es vorher nicht geschafft, ihn in Haft zu bekommen. Das ist für uns als Ermittler, aber natürlich vor allem für die Angehörigen der Opfer sehr bitter.

Warum sind Sie Polizist geworden?

Das war mir quasi in die Wiege gelegt. Mein Vater war Schutzbereichsleiter bei der Kölner Polizei. Somit habe ich Polizeiarbeit von Kindesbeinen an mitbekommen. Später habe ich aber noch Betriebswirtschaft studiert und im Bereich Wirtschaftskriminalität gearbeitet. Ich habe nur eine Bewerbung in meinem Leben geschrieben.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für die Kölner Polizei?

Als Metropolregion sind wir in Köln unter anderem eine Rauschgiftdrehscheibe. Es gibt im Bereich der Organisierten Kriminalität entsprechende Strukturen. Clan-Kriminalität ist auch in Nordrhein-Westfalen ein Thema. Türsteher-Szene, Waffenhandel, Prostitution - da lässt sich eine Menge Geld verdienen. Wir müssen achtsam sein, um Entwicklungen früh wahrzunehmen. Wir müssen schauen, was beispielsweise auf den Ringen weiter passiert.

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Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz, an die erste Blaulichtfahrt?

Ja, sehr genau sogar. Das war eine Kneipenschlägerei im Blue Shell auf der Luxemburger Straße. Da war ich 20 Jahre alt und wusste nicht, wie mir geschah. Zum Glück hatte ich gestandene Kollegen dabei. Da flogen die Fäuste.

Deshalb haben Sie sich im Fitness-Studio angemeldet?

Es schadet nicht, über eine gewisse Grundfitness zu verfügen. Es nötigt mir wirklich Respekt ab, wenn ich sehe, was sich die Kolleginnen und Kollegen auf der Straße heute anhören müssen.  

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