Kölner Zoo gibt über 2000 Tiere jährlich weiterWenn Tiger und Co. auf Reisen gehen

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Säugetiere, Vögel und Reptilien brauchen zu ihren Verhaltensweisen und ihrer Größe passende Transportboxen.Kurator Bernd Marcordes muss „an alles denken und lernt immer Neues dazu“. Marcordes sitz in blauer Jeans und schwarzem Sweater inmitten von ganz unterschiedlichen Transportkisten.

Säugetiere, Vögel und Reptilien brauchen zu ihren Verhaltensweisen und ihrer Größe passende Transportboxen. Kurator Bernd Marcordes muss „an alles denken und lernt immer Neues dazu“.

Mit Zoos in ganz Europa tauscht der Kölner Zoo Tiere aus. Warum das mit Großbritannien kaum noch funktioniert und worauf man alles achten muss, wenn Tiere reisen, erzählt Kurator Bernd Marcordes. 

Uscha hat gemerkt, dass heute etwas anders ist.  Mit ihrem nach hinten gereckten Arm schlägt das gelbbraune Gibbonweibchen die fallende Klappe der Kiste hoch, zwängt sich blitzschnell nach draußen. Eine Sekunde zu spät hat die Tierpflegerin den Verschluss der Transportbox umgelegt. „Bei einem so vorsichtigen Tier den richtigen Moment zu erwischen, das ist eine echte Herausforderung“, sagt Bernd Marcordes.

Er muss es wissen. Seit 16 Jahren verantwortet Marcordes alle Tiertransporte des Kölner Zoos. Und das sind verblüffend viele: 2304 Säugetiere, Reptilien, Amphiben, Fische und Vögel sind im Jahr 2022 in 244 Transporten zu anderen Zoos oder zu Orten gereist, an denen sie ausgewildert wurden (siehe Infobox).

Während das Gibbonmännchen Gabroen schon in seiner Transportbox sitzt, läuft im Team Marcordes Plan B an. Gibbon fangen in fünf Metern Höhe. „Wenn man so hoch auf einer Leiter steht und ein Affe auf einen zufliegt, muss man sehr vorsichtig sein“, sagt er. Deshalb sei jeder im Team freiwillig dabei. Geplant war das so nicht. Damit am Reisetag alles glattgeht, hatte die Pflegerin ihre beiden Gibbons über Wochen in den Transportkisten gefüttert. „Doch weil Uscha krank geworden ist, mussten wir sie leider aus der Vorbereitungsroutine nehmen.“

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Mit geduldigem Kistentraining und viel Vorlauf werden viele Zootiere auf einen Transport vorbereitet – vom knapp meterlangen Philippinenkrokodil bis zum Elefantenbullen. Neugierige Tiere akzeptieren die Kiste nach wenigen Tagen, andere brauchen länger, bis sie entspannt dort fressen. Das scheue 30-jährige Gibbonweibchen ließ sich schließlich schneller als erwartet fangen. Und ging auf die Reise. Die führte in einen wissenschaftlich geführten Zoo in Rumänien, der das Menschenaffenpärchen in einem Areal mit Außengehege halten will. „Anfangs werden die beiden schon sehr verunsichert sein. Aber wenn das Fahrzeug dann ruckelt und das Licht herunter gedimmt ist, werden sie ruhiger“, sagt Marcordes. „Niemand sperrt Menschenaffen gerne in eine Transportbox. Aber wir können ihnen hier kein Außengelände bieten. Beide können 60 Jahre alt werden können, der Umzug lohnt sich sehr für sie.“ Auch die in Köln geborenen Elefantenbullen gehen auf Reisen, denn der Elefantenpark kann neben den Zuchtbullen und der Kuhherde mit Nachwuchs nicht auch noch eine Jungbullenherde halten; darauf haben sich andere Zoos spezialisiert.

Nachwuchs bei bedrohten Arten – das ist ein Erfolg für jeden Zoo. Auch wenn nicht jedes Jungtier bleiben kann. Um die genetische Vielfalt der Populationen zu erhalten, tauschen Zoos in Erhaltungszuchtprogrammen Tiere aus. Damit sich viele beteiligen können, kosten die Tiere nichts; der aufnehmende Zoo zahlt nur den Transport. Besonders dringend brauchen vom Aussterben bedrohte Arten wie die Philippinenkrokodile diesen Austausch. Weil es in ihrem Lebensraum nur noch 100 Exemplare gibt, wurden die in Köln nachgezogenen Jungtiere Hulky und Dodong per Flieger zu der vom Zoo unterstützten Naturschutzstation auf den Philippinen geschickt.

Seit dem Brexit sind Tiertransporte nach England extrem kompliziert, teuer und sehr langwierig.
Bernd Marcordes

Weit gereist sind im vergangenen Herbst auch die fünf Kölner Moschusochsen. Drei Tage hat die Fahrt ins kühle Skandinavien gedauert. „Die absolute Obergrenze. Und eine Sache des Vertrauens in ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten für uns arbeitet“, sagt Marcordes. Zwischendurch ausladen könne man die Tiere nicht, „weil sie dann nicht wieder in die Transportbox gehen“. Die per Kamera überwachten Tiere brauchen Fahrtpausen, müssen regelmäßig mit Futter und Wasser versorgen werden. Ihr Areal wurde Teil des neuen Freigeländes Spitzmaulnashorn Taco. Ein weibliches Tier soll dazukommen, der Zoo hofft auf Nachwuchs der hochbedrohten Art. 

Wer Tiertransporte verantwortet, müsse an alles denken und vieles selbst herausfinden, so Marcordes. „Sie müssen so kurz und so schonend wie möglich sein. Deshalb lasse ich mir von jedem Anbieter den Ablaufplan schicken. Langwierige Sammeltransporte kommen nicht infrage.“ Vor jedem internationalen Transport muss der Amtstierarzt sein „ok“ geben. Beruhigungsmittel bekommen die Tiere nicht, die einzige Ausnahme sei manchmal die „rosa Brille“ für Elefanten. Ein Medikament, dass die begleitende Tierärztin gibt, wenn ein mehrere Tonnen schwerer Bulle unruhig wird und sich nicht besänftigen lässt. Auch Giraffentransporte seien eine Herausforderung, so Marcordes. Denn die Tiere können so groß sein, dass ihre Transporte nicht unter Brücken durchkommen. Die Strecken müssen exakt geplant und das Dach des Anhängers manchmal für eine Brückendurchfahrt leicht abgesenkt werden.

Ein kaum zu überwindendes Hindernis sei dagegen der Brexit. „Seit seiner Einführung ist der bürokratische Aufwand für Tiertransporte nach England extrem gestiegen, sie sind teuer und dauern lange“, sagt Marcordes (siehe Infokasten).  Seinen ersten Nach-Brexit-Transport, einen Lemur, habe er deshalb erst im April dieses Jahres gemacht. Ganz langsam verbessere sich die Situation an der Grenze.

Amurtiger Sergan bekommt bald eine neue Gefährtin

Routine hat der Kurator dagegen bei anderen Transporten: Krokodile fliegen in beheizten Transportbereichen, Seelöwen in gekühlten, Vögel benötigen gepolsterte Kisten, falls sie einmal auffliegen. „Am einfachsten sind Raubtiere“, sagt Marcordes schmunzelnd. Sie sind gelenkig und verletzen sich in den Kisten nicht. Wenn sie erstmal drin sind. Das gilt auch für die mächtigen Amurtiger. Weil die Chemie zwischen Weibchen Akina und Tiger Sergan nicht stimmt, gibt es bei der gefährdeten Art keinen Nachwuchs. Deshalb tauschen zwei Zoos ihre Tigerinnen. Schon in wenigen Wochen geht Akina auf Reisen, und Serkan bekommt eine neue Gefährtin – aus Nürnberg.


Zoo kann viele Nachzuchten abgeben 

2111 Wirbeltiere hat der Zoo 2022 auf Reisen geschickt; zu den 58 Säugetieren zählten auch vier Asiatische Elefanten und fünf Moschusochsen. 1324 Fische wurden an andere Zoos abgegeben, darunter auch viele Nachzuchten gefährdeter Arten. Auch 364 Vögel, 146 Reptilien und 219 Amphibien hat Bernd Marcordes mit den zuständigen Kuratoren reisefertig gemacht.

Mit Hunden amerikanischer Soldaten hat der Luftfrachtanbieter Gradlyn 1968 angefangen, heute beschickt er regelmäßig die knapp 4000 Quadratmeter große „animal lounge“ der Lufthansa am Frankfurter Flughafen und transportiert vom Insekt bis zum Nashorn alles – auch viele Tiere des Kölner Zoos. Als Tierpfleger in Quarantänestationen hat Roy Smith, Chef von Interzoo, Erfahrungen mit Tieren in Extremsituationen gesammelt. Heute transportiert das Drei-Generationen-Unternehmen fast alle Elefanten in Europa.

Nach dem Brexit ist nichts mehr einfach

56 statt 1400 Tiere jährlich wurden 2021 zwischen Großbritannien und der EU transportiert. Das stellte der britisch-irischen Zoo- und Aquarienverband fest. Mit dem Brexit ist der Austausch von Tieren mit Zoos in England fast zum Erliegen gekommen. Die Formalitäten sind sehr aufwendig geworden, die Transporte dauern viel länger, sie sind teurer und werden nur von ganz wenigen Unternehmen angeboten. Vor dem Brexit konnte man durch den Eurotunnel fahren; heute ist nur noch der Transport per Schiff oder Flugzeug erlaubt. „Und Deutschland verlangt jetzt eine Quarantäne, weil England jetzt Drittland ist. Obwohl die Tiere genauso getestet sind wie vor dem Brexit“, kritisiert Marcordes.

Auf Austausch angewiesen sind die Zuchtnetzwerke der Zoos. So leben etwa nur noch wenige der vom Aussterben bedrohten östlichen Spitzmaulnashörnern in Zoos – viele von ihnen in Großbritannien. Wenn es hier keinen Austausch gibt, ist die Art in höchstem Maße bedroht. Zoos wie Chester, Bristol oder London halten sehr viele bedrohte Arten. Sie sind für die genetische Vielfalt von Erhaltungszuchten in ganz Europa von Bedeutung. 

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