Köln – Ihre Fähigkeiten waren auch im Bekanntenkreis schon gefragt: Für eine Freundin der Familie hat Leonie Kraft das Brautkleid entworfen und maßgeschneidert. Es wird wohl perfekt und wunderschön gewesen sein. Denn dass Leonie Kraft (23) sich mit Brautkleidern auskennt, hat sie nun sogar schriftlich: Von der Kreishandwerkerschaft wurde sie als Jahrgangsbeste aller Gesellen des Kammerbezirks als „Lehrling des Jahres 2019“ ausgezeichnet. 96,28 von 100 möglichen Punkten hat Leonie Kraft bei ihrer Gesellenprüfung zur Damenmaßschneiderin im Sommer erreicht – natürlich „sehr gut“. Dr. Thomas Günther, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, und Kreishandwerksmeister Nicolai Lucks übergaben die Urkunde samt 1000 Euro Preisgeld.
Gelernt hat Leonie Kraft ihr Handwerk bei der Kölner Noni GmbH, einer Damenschneiderei für Brautkleider. Die beiden Ausbilderinnen Johanne Bossmann und Judith Müller-Ruf sind stolz: Schon öfter hätten Lehrlinge ihre Prüfung mit der Spitzennote abgelegt, als Lehrling des Jahres sei aber noch niemand aus ihrem Betrieb ausgezeichnet worden. Dass mit der 23-Jährigen nicht nur eine Frau, sondern gleichzeitig auch eine Abiturientin geehrt wurde, rücke gleich zwei im Handwerk unterrepräsentierte Gruppen in den Fokus, wie Thomas Günther erläutert. Unter allen Lehrlingen sind nur 18.6 Prozent weiblich und nur 19,4 Prozent haben Abitur. Für die Maßschneider gilt das aber nicht – in dieser Berufsgruppe werden deutlich mehr Frauen als Männer ausgebildet.
Schon früh fürs Nähen interessiert
Leonie Kraft interessierte sich schon auf der Realschule in Wolkshausen bei Würzburg fürs Nähen. Ihren Abschluss an der Fachoberschule und das Abitur in Nürnberg hat sie im Hauptfach Gestalten abgelegt. Und dann? Leonie Kraft reihte Praktikum an Praktikum und nahm einen Job in einem Nähcafé in Würzburg an, was ihre Leidenschaft für das Arbeiten mit Stoffen weiter stärkte. Sie dachte an ein Studium in Kostümdesign, entschied sich schließlich aber doch für eine Lehre. „Ich wusste ja gar nicht, wie manche Sachen zusammengenäht werden“, erklärt sie.
Es war eine Entscheidung aus Leidenschaft – und sicher nicht wegen des Geldes. Maßschneider verdienen im ersten Ausbildungsjahr oft nur etwa 200 Euro, was im Vergleich zu anderen Handwerksberufen sehr wenig ist. Maler oder Augenoptiker bekommen mehr als 600 Euro, Betonbauer sogar mehr als 800 Euro. „Ohne staatliche Hilfe hätte ich das nicht geschafft“, sagt der Lehrling des Jahres 2019.
Weit weg von zu Hause
Ihren Ausbildungsplatz fand sie weit weg von zu Hause bei den beiden Kölner Schneiderinnen Bossmann und Müller-Ruf an der Lichtstraße in Ehrenfeld. Drei intensive, anstrengende und lehrreiche Jahre liegen hinter ihr. Dass sie sich nun ihr eigenes Kleid nähen könne, finde sie „schon cool“. Das Thema Kostümdesign und Studium ist für die 23-Jährige noch nicht abgehakt. Aber jetzt will sie erst einmal Erfahrung sammeln, derzeit arbeitet sie in einer Musterschneiderei. Wegen der Liebe ist sie zurück in ihre Heimat gezogen. Sie werde sich definitiv weiterbilden, legt sich Leonie Kraft fest. Sie könnte auch ihren Meister machen und selbst ausbilden. „Das würde ich schon gerne machen“, ist sie sich sicher.
Ab dem kommenden Jahr Mindestlohn von 515 Euro
Kürzlich hat der Bundestag einen Mindestlohn von Azubis von 515 Euro ab dem kommenden Jahr beschlossen. Er soll in den darauffolgenden Jahren weiter steigen. „Wir befürchten, dass sich die Ausbildungszahlen halbieren werden“, warnt Thomas Günther. Viele Betriebe könnten sich die Azubis nicht mehr leisten. Auch Leonie Krafts Ausbilderinnen wollen weniger Lehrlinge einstellen.
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Für Nicolai Lucks steht fest, dass die Finanzierung der Ausbildungen durch die Betriebe nicht gerecht sei, während die Kosten an einer Universität auf die gesamte Gesellschaft übertragen würden. Derzeit laufen Gespräche mit der Politik. „Wir müssen es schaffen, dass Auszubildende in den Privilegien den Studenten gleichgestellt werden“, fordert der Kreishandwerksmeister.