Seit 30 Jahren im EinsatzSo hilft eine Kölner Ärztin in den Slums vor Nairobi

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Kölner Ärztin Marion Reimer im 19. ehrenamtlichen Einsatz für German Doctors in Kenia

Kölner Ärztin Marion Reimer im 19. ehrenamtlichen Einsatz für German Doctors in Kenia

Die Kölner Anästhesistin Marion Reimer fährt seit 30 Jahren auf Auslandseinsätze. Die 71-Jährige erinnert sich dabei an eigene ganz besondere Fälle.

Ihr Fachgebiet ist die Anästhesiologie. Wenn Dr. Marion Reimer für die „German Doctors“ im Ausland arbeitet, wird sie jedoch zur Allgemeinmedizinerin. „Vom Neugeborenen bis ins hohe Alter – meine Patienten in den Slums kommen aus allen Altersgruppen“, erzählt die Kölnerin. Ende des vergangenen Jahres hatte sie in Kenia ihren 19. Auslandseinsatz. Seit mehr als 30 Jahren verbringt die heute 71-Jährige mehrere Wochen am Stück in Entwicklungsländern.

Unterernährung behandeln

Die Slums von Athi River, erzählt Marion Reimer, erstrecken sich über rund 10 Kilometer entlang der Bahnstrecke und der Autobahn von Nairobi nach Mombasa. Geprägt ist die Gegend von Industrie, Beton-, Öl- und Stahlproduktion. „Die Menschen wohnen in Blechhütten, es gibt keine Sanitäranlagen und keine Wasserversorgung“, sagt Reimer. Umgerechnet 50 Cent kostet ein 20 Liter Kanister Wasser, ein durchschnittlicher Tageslohn beträgt drei bis vier Euro. In diesem Slum von Athi River betreiben die „German Doctors“ eine Ambulanz und eine „Rolling clinic“. Drei deutsche Ärzte, die alle sechs Wochen wechseln, unterstützen mit ihrer Expertise und ihrer Arbeitskraft ihre Kenianischen Kollegen. „Die Patientinnen und Patienten kommen mit ganz klassischen Symptomen“, sagt Marion Reimer und zählt auf: Fieber, Husten, Schnupfen, Rücken- und Bauchschmerzen. „Auch dort nehmen chronische Erkrankungen zu, wie Diabetes oder Bluthochdruck.“ Es gebe aber natürlich auch Armutserkrankungen, viele HIV-Infektionen, Tuberkulose und vor allem Unterernährung bei Kindern.

Kölner Ärztin Marion Reimer im 19. ehrenamtlichen Einsatz für German Doctors in Kenia

Die Kölner Ärztin Marion Reimer im 19. ehrenamtlichen Einsatz für German Doctors in Kenia

„Ich empfinde die Arbeit als sinnvoll und befriedigend“, sagt die Kölner Ärztin im Ruhestand, die aber nach wie vor Dienste im St. Franziskus-Hospital in Ehrenfeld leistet, wo sie bis vor ein paar Jahren noch als Chefärztin tätig war. „Wird man mit Gewalt oder Missbrauch konfrontiert, ist das jedoch schwer zu ertragen“, sagt Reimer, selbst zwei zweifache Mutter und vierfache Großmutter. Rund ein Viertel der Patienten im Slum sind Kleinkinder, sie kommen mit Durchfall oder Cholera, manche werden von ihren Familien vernachlässigt oder misshandelt.

Erster Einsatz vor 30 Jahren

Ihr erster Einsatz, erinnert sie sich, war vor 30 Jahren auf den Philippinen, wo sie insgesamt zwölf Mal hinflog. „Wir waren mit einer ,rollenden Klinik’ unterwegs, haben selbst in armseligen Verhältnissen übernachtet, nur mit einem Loch im Boden als Toilette.“ Später arbeitete sie auch in Slums in Kalkutta in Indien und in einem Buschkrankenhaus in Sierra Leone. Vor dem ersten Auslandseinsatz eignete sie sich über Fachbücher Wissen zu tropischen und typischen Armutserkrankungen an, mittlerweile profitiert sie von ihrer jahrelangen Erfahrung.

Viele Patientinnen und Patienten ihrer Auslandseinsätze bleiben in Erinnerung. Wie etwa der älteste Mann, den sie je behandelt hat: Ein 107 Jahre alter Kenianer, der mit seiner 80-jährigen Tochter zur Untersuchung kam. „Er hatte ein bisschen Bluthochdruck, sonst nichts“, sagt Reimer. Oder die auf 40 Kilogramm abgemagerte Frau, die ihre HIV-Infektion vor ihrer Familie verheimlichte, aus Angst von ihr verstoßen zu werden. „Ich habe viele Anderthalbjährige gesehen, die nur sechs bis sieben Kilo wiegen“, erzählt Reimer. „Sie werden nur von Reis oder Maisbrei ernährt, das reicht aber nicht aus.“ Die Pandemie, die Dürre in Kenia und die durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Preise hätten dies noch verstärkt. Die Ambulanz verteilt an die Kinder eine Erdnusspaste mit Vitaminen und Spurenelementen, dann muss die Gewichtszunahme jede Woche kontrolliert werden. Manchmal wird die Anästhesistin auch zur Psychologin. So wie bei der jungen Frau, die mit so starkem Liebeskummer kam, dass sie nicht mehr schlafen konnte. Reimer empfahl ihr Tagebuch zu schreiben, es half. Bei der Kommunikation helfen Übersetzer. „Ich kann ein paar Worte Kisuaheli, aber das reicht nicht aus“, sagt die Ärztin.

Wenn sie nach sechs Wochen zurück nach Köln kehre, bekümmere sie jedes Mal die Anspruchshaltung in Deutschland. „Unser Gesundheitssystem sichert uns zu nahezu 100 Prozent ab, wir können Tag und Nacht ins Krankenhaus gehen, und trotzdem wird nur das Negative gesehen.“ Noch drei Auslandseinsätze sind geplant, dann ist Reimer 74 und hat das Höchstalter für einen Einsatz mit den German Doctors erreicht. 22 Mal hat sie dann im Ausland den Ärmsten geholfen.

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