Lionel Martin, Cello-Student der Kronberg Academy im Taunus, ist am Samstag in der Philharmonie zu hören. Wir haben mit ihm gesprochen.
Neue ReiheGürzenich-Orchester stellt Solisten der Kronberg Academy vor

Der Cellist Lionel Martin bei einem Konzert im Casals Forum der Kronberg Academy.
Copyright: Holger Menzel
Die Kronberg Academy gilt international als führende Ausbildungsstätte der Klassik, ist aber kaum bekannt. Wie würden Sie das Haus bezeichnen?
Es ist ein sehr persönlicher Ort, wo Musikerinnen und Musiker die Möglichkeit haben, sich ohne Grenzen weiterzubilden. Das ist schon speziell. Das gibt es glaube ich sonst – zumindest in Deutschland – so nicht. Es ist klein gehalten mit ungefähr 30 Studierenden. Die Möglichkeiten ergeben sich durch die vielen privaten Sponsoren im Taunus-Kreis.
Zeitgleich sind Sie auch Stipendiat der Stiftung von Anne-Sophie Mutter. Sie fördert den Kontakt zu Playern der Klassik, sorgt dafür, dass junge Solisten ein Podium bekommen. Wie ist das, wenn man als junger Mensch eine solche Karriere anstrebt, gibt es viele Hürden?
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Es ist wichtig, eine gewisse Entspanntheit mitzubringen. Wenn man mit dem Ziel rangeht, weltbekannt zu werden, kann das enormen Druck erzeugen. Das schaffen nur die Allerwenigsten. Aber für mich ist das nicht existenziell, ich kann da etwas entspannter sein.
Das merkt man Ihrem Cellospiel auch an. So wie Sie mit ihrem Bruder Demian auf YouTube Schuberts Arpeggione-Sonate spielen, denkt man nicht, dass Sie gerade erst einmal 22 Jahre alt sind.
Für mich ist es gut, nicht so verkrampft zu sein. Der solistische Weg kann auch sehr einsam sein, wenn mal was schiefläuft, dann liegt es meist an dir selbst, und du hast keine Gruppe, die Mitverantwortung trägt. Da muss man schon gucken, dass man ein bisschen Abwechslung schafft. Ich genieße die solistischen Konzerte total, schätze aber auch die Kammermusik sowie alle möglichen anderen Sachen, die ich mache.
Ob Sie Solist werden wollen, ist also noch offen?
Ich lasse es einfach auf mich zukommen. Mir macht es totalen Spaß, so eine große Abwechslung zu haben. Und ich bin gleichzeitig froh, mehr und mehr solistisch aktiv zu sein und freue mich, wenn das so weitergeht.
Und mit ihrem Bruder, der Pianist ist, treten Sie weiter als Duo auf?
Wir geben zusammen zehn bis 15 Konzerte im Jahr. Wir würden uns freuen, wenn das so weitergeht.
Der Musikbetrieb für die Klassik ist in einem Umbruch. Wie stellen Sie sich als junger Mensch Klassikkonzerte in zehn oder zwanzig Jahren vor?
Ich frage mich manchmal, ob es das „klassische“ Abonnentenpublikum in zwanzig Jahren noch gibt, ob da noch Nachwuchs kommt. Wir müssen uns anpassen, weil das konservative Image der klassischen Musik nicht unbedingt hilft. Ich kriege das mit, weil in meinem sozialen Umfeld auch viele sind, die gar nichts mit klassischer Musik am Hut haben, was ich auch sehr schätze. Wenn ich neue Leute kennenlerne, die da keinen Bezug dazu haben, frage ich sie manchmal, was sie für ein Bild von der Klassik haben. Und oft ist ein solches Bild schon hochgestochen. Da ist die Frage, ob das hilft, auch langfristig ein Publikum zu haben.
Ich habe einmal ein Konzert erlebt, in dem Computersounds gespielt worden, das Orchester hatte ein volles Haus voller Gamer.
Lacht. Also, ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, langfristig ein Publikum zu haben, das aus Begeisterung ins Konzert geht. Ich merke das als Musiker einfach, dass es mich erfüllt, wenn ich das Gefühl habe, dass das Publikum aus Leidenschaft da ist. Das ist in kleinerem Rahmen manchmal mehr so als in großen Sälen.
Sie haben den Wettbewerb „Ton & Erklärung 2022“ des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft gewonnen. Dabei mussten sie auch referieren, in das Werk einführen. Wie war das für Sie?
Es ist nicht meine Komfortzone, zu sprechen. Aber ich finde es wichtig. Auch mit meinem Bruder zusammen spreche ich viel in den Konzerten über die Werke, wir schauen, dass wir interaktiv werden. Wir haben das Gefühl, dass das auch nötig ist, auf einer möglichst menschlichen, emotionsbasierten Art, die nicht so hochgestochen ist, die Musik für das Publikum verständlicher zu machen.
Durch die neue Zusammenarbeit mit dem Gürzenich-Orchester soll die Idee der Kronberg Academy bekannter werden. Wie waren die ersten Proben mit dem Orchester?
Es war toll. Sie spielen wunderbar, und es ist ein riesiger Luxus, mit so einem Orchester zu arbeiten. Andrés Orozco-Estrada dirigiert mit ungemein viel Energie.
Sie spielen Schostakowitschs erstes Cellokonzert. Darin parodiert der Komponist vieles, versteckt auch eine Spitze gegen Stalin, unter dessen Regime er zu leiden hatte. Was ist das für ein Stück?
Es hat einen großen Kampfgeist. Es ist eines von den Werken, in dem sich Schostakowitsch fast offensichtlich über Stalin lustig macht, das aber doch irgendwie verpackt, dass dieser es vielleicht nicht ganz so gemerkt hat. Im vierten Satz wird Stalins Lieblingslied komplett ins Absurde gezogen, klingt makaber und hässlich und schroff. Und direkt danach kommt ein jüdischer Hochzeitsmarsch, wo man denkt, dass Stalins Antisemitismus darin verarbeitet wurde. Es ist ein Stück von großer Rebellion und deswegen spiele ich das auch so gerne. Weil das gerade jetzt so hochaktuell ist, gerade auch in dieser Region, aus der Schostakowitsch kommt. Aber auch in vielen anderen Regionen der Welt. Es zeigt, dass man Courage braucht. Apropos, Courage ist übrigens das Motto des Kronberg Festivals 2026.
Das erste Konzert der auf fünf Jahre angelegten Kooperation zwischen Gürzenich-Orchester und der hessischen Kronberg Academy findet am 29. November in der Philharmonie statt.
Auf dem Programm stehen Jean Sibelius’ Konzert für Violine und Orchester mit Solist Dmytro Udovychenko, William Waltons Konzert für Viola und Orchester mit Haesue Lee als Solistin und Dmitri Schostakowitschs Cellokonzert mit Lionel Martin als Solist. Martin wurde in Tübingen geboren und lebt in Leipzig. Er studiert bei Frank Helmerson.
