In Julia von Heinz' neuem Film „Treasure“ spielt Stephen Fry (67, „Wilde“) einen Holocaust-Überlebenden, der mit seiner Tochter nach Polen reist.
Stephen Fry über „Treasure“„Ich wäre in ein Lager gekommen – ob ich nun an Gott glaube oder nicht“
Komiker, Shakespeare-Darsteller, Showmaster und Autobiograf: In der Welt der Unterhaltung gibt es nichts, was Stephen Fry nicht kann. In Julia von Heinz' Kinofilm „Treasure“ spielt er einen Auschwitz-Überlebenden, der mit seiner Tochter Orte der Vergangenheit besucht. Daniel Benedict sprach mit dem 67-jährigen Briten.
Im letzten Jahr haben Sie unter dem Eindruck des Hamas-Terrors vom 7. Oktober eine alternative Weihnachtsbotschaft ins Netz gestellt. Da heißt es: „Sie werden überrascht sein, aber ich bin ein Jude. Ich bin selbst überrascht.“ Warum ist das überraschend?
Ich bin Atheist und in einer nicht allzu religiösen Familie aufgewachsen. Wir lebten in England auf dem Land, meine Mutter machte Blumengestecke für die Kirche. Weihnachten besuchten wir die Messe. Natürlich wusste ich, dass meine Mutter jüdisch war. Aber auch, dass sie im ganzen Leben keine Synagoge von innen gesehen hat. Wir haben den Schabbat nicht gefeiert, hatten keine jüdischen Freunde. Die zwei jüdischen Jungs auf meinem Internat waren viel jüdischer als ich. Ich selbst liebte nur englische Sachen wie Cricket. Mein Judentum war nur ein interessanter Bonus.
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Machen andere wirklich ein verblüfftes Gesicht, wenn sie das alles erfahren?
Ja – denn wer mich ansieht, erblickt einen Engländer. Aber es gehört zum Judentum, dass es nicht nur um die Religion geht oder darum, wo man lebt. Brutal gesagt, steckt es in den Genen. Ich habe einmal für einen Test in ein Röhrchen gespuckt und bekam das Ergebnis: 53 Prozent aschkenasischer Jude. Das wurde aus meinem Speichel abgelesen. Aus dieser Logik heraus entschieden Heydrich und Eichmann und Himmler, wer ermordet wird. Ich wäre mit Sicherheit in ein Lager gekommen – ob ich nun an Gott glaube oder nicht. Das war nicht der Punkt. Es wäre nur darum gegangen, dass ich das Blut des Vaterlands nicht verunreinige.
Entscheiden Antisemiten, ob Sie ein Jude sind? Oder Sie selbst?
Juden müssen selbst die Entscheidung treffen – weil es etwas Würdeloses hat, dies den Antisemiten zu überlassen. Das ist auch einer der Gründe, warum manche Menschen Juden hassen: weil wir uns verbergen können. Also sage ich selbst: Ja, ich bin ein Jude. Auf alle möglichen Weisen bin ich es zwar auch wieder nicht – sozial, kulturell, religiös. Aber vom Blut her bin ich ein Jude. Meine Vorfahren haben jüdische Leben gelebt. Sie sind ausgeschlossen und in Lagern ermordet worden. Das verstehe ich als Teil von mir.
In „Treasure“ spielen Sie einen Holocaust-Überlebenden. Und eine ähnliche Reise haben Sie selbst einmal gemacht.
Stimmt, für die genealogische BBC-Serie „Who Do you Think You Are?“.
Was war bei Ihrer realen Reise anders als im Film?
Es waren andere Orte. Mein Großvater war Ungar, er stammte aus einem Ort, der heute zur Slowakei gehört. Seine ganze Familie – er selbst und seine Frau ausgenommen – blieb in Ungarn. Und wie Sie wissen, haben dort kaum Juden überlebt. Täglich fuhren die Züge von Budapest nach Auschwitz, mit Zehntausenden, Hunderttausenden ungarischen Juden.
Meine Großmutter kam aus Wien, ihre Eltern wurden in ein Ghetto verschleppt, wo sie drei Monate lebten, bevor sie ins Konzentrationslager deportiert wurden.
Insofern ist die Geschichte ähnlich. Es war eine schwere Entscheidung, Auschwitz zu besuchen, den Ort, an dem die Familie meines Großvaters ermordet wurde. Meine Schwester und ich waren die Ersten aus unserer Familie, die die Reise gemacht haben.
Der Spielfilm handelt auch von den Konflikten, die Ihre Filmtochter als Nachgeborene hat. Ist das etwas, mit dem Sie selbst als Enkel von Opfern ringen?
Auf jeden Fall wünschte ich, dass ich meinem Großvater mehr Fragen gestellt hätte – zum Leben in Europa zwischen den Kriegen, zu dem, was seiner Familie passiert ist und was er selbst gefühlt hat. Aber Auschwitz überleben bedeutet, in einem gewissen Maße seine Menschlichkeit preiszugeben.
Um zu überleben, musste man arbeiten. Jeden Tag zog man mit dem Spaten über der Schulter los. Wenn dein Vordermann stolperte, bekam er den Gewehrkolben in den Nacken, vielleicht wurde er vor deinen Augen zu Tode geprügelt. Wenn du geholfen hättest, hätte der Gewehrkolben dich getroffen. Du durftest nicht helfen. Du durftest nicht wahrgenommen werden. Jeden Tag musst du deine Menschlichkeit außer Kraft setzen. Und was kommt dann?
Was denn?
Dann wird das Camp befreit. Ein paar Monate wirst du wie eine Flipperkugel durch die Weltgeschichte geschubst. Irgendwann hast du deine Papiere, gehst nach New York. Du siehst die vollen Schaufenster, siehst Juden, die in Freiheit und Würde leben, du kriegst ein Kind, das erwachsen wird und irgendwann begreift, dass du in Auschwitz warst. Dann stellt das Kind Fragen, vor denen du es beschützen willst. Alles, worum es beim Überleben ging, war ja gerade: den Albtraum hinter sich lassen. Du willst nicht zurück in deine Vergangenheit.
Das verstehe ich – genauso wie ich die Fragen des Kindes verstehe. Ich wünschte, ich hätte meinen Großvater, meine Onkel und Tanten dazu gedrängt zu sprechen – aber es wäre auch grausam gewesen.
Der Film „Treasure“ erzählt auch von der Bedeutung physischer Erinnerungsstücke, vom Mantel mit dem eingestickten Monogramm, vom Familiengeschirr. Sammeln Sie selbst solche Andenken; auch wenn sie vielleicht nicht mit Ihrer jüdischen Geschichte zu tun haben?
Viele Amerikaner haben immer ein sogenanntes „Go Pack“ griffbereit, eine Tasche mit Wasser, Geld und den wichtigsten Papieren. Damit können sie jederzeit fliehen, wenn zum Beispiel ein Waldbrand ausbricht. Unter Juden ist dieser Wunsch nach einem kleinen, tragbaren Besitz besonders verbreitet – falls der nächste Pogrom droht.
Ich allerdings bin einer dieser schrecklichen Babyboomer, die unglaubliche Mengen an Kram anhäufen. Überall kriegt man was geschenkt und von jeder Reise bringe ich mehr Gepäck mit. Zum Fliehen bräuchte ich einen kompletten Laster.