Hauen und Stechen um Kindergrundsicherung und andere Vorhaben: So geht es hinter den Kulissen der Ampel zu. Die Parteien der Regierungskoalition scheinen zunehmend zerstritten, müssen aber noch Einigungen bei wichtigen Gesetzesvorhaben erzielen.
Koalition scheint immer mehr zerstrittenSo geht es hinter den Kulissen der Ampel zu
Wenn in diesen Tagen der Bundestag wieder seinen Betrieb aufnimmt, beginnt für die Ampelkoalition ein letztes Mal die Operation „Wir haben verstanden“: Können sich die Partner noch einmal zusammenraufen, um in den verbleibenden zwölf Monaten der Legislaturperiode zumindest noch ein paar Projekte zu verwirklichen?
Viel Grund für Optimismus besteht allerdings nicht. Das Misstrauen unter den Koalitionären hat längst auch die Arbeitsebene erreicht: Die schlechte Stimmung lähmt das Bündnis so sehr, dass mehrere gemeinsame Gesetzesvorhaben schon lange feststecken oder sogar ganz vor dem Aus stehen. Wie das läuft, zeigt exemplarisch das Gezerre um die Kindergrundsicherung, das nun, nach der Sommerpause, schon bald wieder die Agenda bestimmen dürfte.
Sozialreform steht seit einem Jahr still
Die Sozialreform, die im Koalitionsvertrag festgehalten ist, ist dazu gedacht, den Wildwuchs bei den Familienleistungen zu überwinden und das Ganze übersichtlicher und effizienter zu machen. Alle Sozialleistungen für Kinder, vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis zum Bürgergeld für Kinder, sollen in einem Förderinstrument zusammengefasst werden, verwaltet von einer zentralen Behörde. Das zumindest ist die Idee.
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Nach monatelangem Streit um die Finanzierung vor allem zwischen der federführenden grünen Familienministerin Lisa Paus und FDP-Finanzminister Christian Lindner einigte sich das Kabinett im September 2023 auch auf einen entsprechenden Gesetzentwurf, über den die Regierungsfraktionen im Bundestag weiter verhandeln sollten. Doch seitdem geht die Sache nicht mehr vor und nicht zurück. Mit heiklen Folgen für die ohnehin schon ramponierte Stimmung im Bündnis.
Grünen drohen mit Blockade von Ampel-Plänen
Wie mehrere Teilnehmer der koalitionsinternen Beratungen dieser Redaktion berichten, drohen die Grünen nämlich mittlerweile unverhohlen mit einer Blockade anderer Ampel-Pläne, solange es mit ihrem Prestigeprojekt nicht weitergeht. „Wenn die Kindergrundsicherung nicht kommt, wird nichts Substanzielles mehr den Bundestag verlassen“, soll demnach der grüne Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch in einer Sitzung in Berlin im Juni gegenüber den Verhandlungsführern von FDP und SPD gesagt haben. Eine Person, die dabei war, sagte gegenüber unserer Redaktion, man habe das „als Erpressungsversuch verstanden“.
Ob es so gemeint war oder nicht: Kurz vor der Sommerpause wurde ein anderes Ampel-Gesetzesvorhaben, das eigentlich in den letzten Zügen liegt, überraschend zurückgestellt. Das Finanzmarktkriminalitätsbekämpfungsgesetz (FKBG) will vor allem die FDP als eigenen Erfolg verbuchen. Es würde eine neue Behörde ins Leben rufen, die besser und effizienter gegen Geldwäsche vorgehen soll. Ein Ziel, das, wie die Kindergrundsicherung, im Koalitionsvertrag steht.
Der Finanzausschuss des Bundestages hat den Entwurf schon angenommen, und damit könnte das Gesetz jederzeit verabschiedet werden. Es müsste dafür nur auf die Tagesordnung gesetzt werden – das aber verhindern die Grünen. Nur, weil die ihre Kindergrundsicherung nicht kriegen?
Der grüne Fraktionsvize Andreas Audretsch winkt ab. Er dementiert, den oben zitierten Satz gesagt zu haben. Dass das FKBG nicht vorankomme, habe auch nichts mit der Kindergrundsicherung zu tun, sondern mit einem weiteren Gesetzesprojekt, das ebenfalls einen äußerst langen Namen trägt: Das Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz, kurz VVBG, soll dem Staat mehr Möglichkeiten geben, verdächtige Vermögen zu kontrollieren. Es liefert damit die Grundlage dafür, dass die im FKBG vorgesehene neue Behörde überhaupt vernünftig arbeiten kann. Doch es steckt noch fest in den Beratungen zwischen dem Finanz- und dem Justizministerium – beide geführt von der FDP.
FDP blockiert Instrumente zur Bekämpfung von Finanzkriminalität
„Ein Feuerwehrhaus braucht Ausrüstung, um zu löschen. Die Behörde braucht Instrumente, um Finanzkriminalität zu bekämpfen“, sagt Audretsch im Gespräch mit unserer Redaktion. „Leider hat die FDP bislang die nötigen Instrumente zur Bekämpfung von Finanzkriminalität blockiert. Es wäre wichtig, dass sich Justiz- und Finanzministerium im Kabinett beim VVBG zügig einigen, um den Weg zu einer effektiven Bekämpfung von organisierter Kriminalität frei zu machen.“
Und die Kindergrundsicherung? Die Grünen streben nun wenigstens eine Einführung in zwei Stufen an: Erst einmal werden zum 1. Januar 2025 einige der bereits bestehenden Leistungen für Kinder angehoben. Die eigentliche Bündelung käme dann erst später: der Versuch einer gesichtswahrenden Lösung.
„Mit dem großen Kinderpaket im Haushalt 2025 haben wir die finanzielle Grundlage für den Start der Kindergrundsicherung in 2025 gelegt. Drei Milliarden Euro, um die Lage von Familien und Kindern finanziell ganz konkret zu verbessern, und zwar für alle Kinder“, sagt Audretsch. Im nächsten Schritt müsse man „die künftige Struktur“ regeln. „Die Einzelheiten verhandeln wir derzeit im Bundestag.“ Und dabei kann ja nach Lage der Dinge praktisch nichts schief gehen.
Das Loch, der Streit, die Milliarden
Zum Wiedereinstieg nach der Sommerpause wartet gleich ein gutes Stück Arbeit auf dei Bundestagsabgeordneten: Ab diesem Dienstag wird eine ganze Sitzungswoche lang der Haushaltsentwurf für 2025 diskutiert. Erst vor drei Wochen einigte sich die Regierung nach langem Gezerre auf letzte Details. Ein Finanzloch aber blieb.
Was sind die Eckdaten des Haushalts 2025?
Vorgesehen sind Ausgaben von insgesamt 488,61 Milliarden Euro – etwas weniger als aktuell für dieses Jahr eingeplant. Davon klassifiziert die Regierung rund 81 Milliarden Euro als Investitionen. Zur Finanzierung braucht der Bund 51,3 Milliarden Euro an frischen Krediten, etwas mehr als 2024. Die Vorgaben der Schuldenbremse werden damit eingehalten. Der größte Einzeletat ist wie üblich der des Ministeriums für Arbeit und Soziales – vor allem wegen der Rentenzahlungen – mit 179,3 Milliarden Euro. Das ist mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts. Mit weitem Abstand auf Platz zwei liegt das Verteidigungsministerium mit 53,3 Milliarden. Hierbei ist das Sondervermögen der Bundeswehr nicht eingerechnet. Das Bundesministerium mit dem kleinsten Etat ist das für Justiz mit gut einer Milliarde Euro.
Was hat es mit der Finanzlücke auf sich?
Es handelt sich um eine sogenannte globale Minderausgabe von zwölf Milliarden Euro. Das bedeutet, dass dieses Geld 2025 eingespart werden muss – es ist aber nicht festgelegt, wie genau dies geschieht. Die Regierung geht davon aus, dass der Betrag schlicht dadurch zusammenkommt, dass eigentlich veranschlagte Ausgaben doch nicht anfallen. Sie rechnet außerdem damit, dass sich die Lücke noch vor der Verabschiedung des Haushalts im Bundestag weiter reduziert – und zwar durch eine verbesserte wirtschaftliche Lage und „Aktualisierungsnotwendigkeiten“. Was genau das bedeutet, ist bislang offen.
Wofür ist mehr oder weniger Geld eingeplant als 2024?
Das größte Plus verzeichnet der Etat das Verkehrs- und Digitalministeriums: Er steigt um 5,2 Milliarden auf 49,7 Milliarden Euro. Deutlich angehoben werden insbesondere die Ausgaben für den Breitbandausbau. Auch für Erhalt und Ausbau der Schienenwege ist mehr Geld vorgesehen. Etwa 1,3 Milliarden Euro mehr als 2024 bekommt das Bundesverteidigungsministerium, rund 833 Millionen sind es beim Bildungsministerium. Das in absoluten Zahlen größte Minus ist beim Entwicklungsministerium vorgesehen – der Etat schrumpft um rund 937 Millionen Euro. Unter anderem wird bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit gekürzt.
Das Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt müssen jeweils mit gut 830 Millionen weniger auskommen. Beim Auswärtigen Amt schrumpft insbesondere das Budget für die humanitäre Hilfe. Beim Wirtschaftsministerium verteilen sich die Kürzungen recht breit; unter anderem sinken die Klimaschutz-Ausgaben um gut 100 Millionen Euro.
Warum dauerte es so lange, bis der Haushalt den Bundestag erreichte?
Das Kabinett hatte den Etatplan bereits Mitte Juli verabschiedet – da war allerdings das Finanzloch noch 17 Milliarden Euro groß. Die Regierung erklärte damals, die Lücke solle noch vor der Übermittlung des Entwurfs an den Bundestag schrumpfen. Dazu hatte sie sich auch schon einige Maßnahmen überlegt, gegen die aber Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kurze Zeit später rechtliche Bedenken anmeldete. So wurde erneut verhandelt – bis zur Einigung und zum erneuten Kabinettsbeschluss Mitte August.
Wie geht es jetzt weiter in Sachen Haushalt?
Parallel zum Bundestag ging der mehr als 3300 Seiten lange Etatentwurf auch an den Bundesrat. Die Länderkammer wird eine Stellungnahme zu der Vorlage formulieren. Im Bundestag folgt auf die nun bevorstehende Woche viel Arbeit im Haushaltsausschuss, der den Etat im Detail besprechen und an vielen Stellen ändern wird. Verabschiedet wird der überarbeitete Haushaltsentwurf erst wenige Wochen vor Jahresende. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat der Ampel-Koalition vor den Etatberatungen in der neuen Woche im Bundestag zuletzt eine unseriöse Haushaltspolitik vorgeworfen. Der Oppositionsführer kritisierte insbesondere die im Haushalt 2025 enthaltene globale Minderausgabe von 12 Milliarden Euro – ein Betrag, der noch nicht durch Einnahmen gedeckt ist. „Das ist die größte Zahl, die jemals in einen Haushaltsentwurf geschrieben wurde. Das ist einfach nicht mehr seriös“, sagte Merz. „Das ist der Versuch, sich über die Haushaltszahlen hinweg zu schummeln, irgendwie noch einen Haushalt zusammenzuschustern und dann durchs Parlament zu bringen.“ Er sei gespannt, ob die Abgeordneten der Ampel-Fraktionen das mitmachen werden. (afp/dpa)