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Rundschau-Debatte des TagesWie ist die aktuelle Lage in Deutschland?

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Die Deutschlandflagge weht vor dem Bundestag, dem Sitz des Deutschen Bundetags im Reichstagsgebäude.

Die Deutschlandflagge weht vor dem Bundestag, dem Sitz des Deutschen Bundetags im Reichstagsgebäude.  

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch beobachtet in Deutschland eine „kleine Aufbruchstimmung“ trotz zuvor bestehendem Reformstau und Eigeninteressen. Ist dem so?

Schon im Sommer, so hatte es Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner ersten Regierungserklärung Mitte Mai gesagt, sollten die Bürger im Land spüren: „Hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, es geht voran.“ Am Freitag nun hat sich der Bundestag in die Sommerpause verabschiedet, in vielen Bundesländern sind bereits Ferien. Der Sommer ist in vollem Gange. Und wie ist die Stimmung?

Das sagt der Wirtschaftsexperte

Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts und laut FAZ einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, sagt auf Anfrage unserer Redaktion, dass sich die Stimmung der deutschen Unternehmen gebessert hat. Laut ifo-Geschäftsklimaindex haben die Unternehmen bessere Geschäftserwartungen als noch vor einigen Monaten. Die Lage in der Industrie sei, so Fuest, jedoch „nach wie vor schlecht“.

Der Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater zieht insgesamt eine durchwachsene Bilanz zur Sommerpause. „Die Aussicht auf zusätzliche schuldenfinanzierte Staatsausgaben führt dazu, dass die Unternehmen auf entsprechende Aufträge und steigende Preise für ihre Güter hoffen. Zugleich fehlen bislang Reformen des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme“, führt Fuest aus.

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Schulden zu machen, sei leicht und erfordere keine große wirtschaftspolitische Kompetenz. „Strukturreformen sind deutlich schwieriger.“ Und diesen schwierigeren Teil hat die schwarz-rote Koalition dem Experten zufolge bisher ausgespart. Durch die Ausweitung von Rentenleistungen steuere sie teilweise sogar bereits in die falsche Richtung.

In Zahlen lässt sich die aufgehellte Stimmung in der Wirtschaft außerdem noch nicht ablesen. Aktienkurse etwa von Rüstungsunternehmen steigen, Prognosen werden angehoben. Fuest mahnt aber: „Bis sich das in einer Belebung des Wachstums niederschlägt, wird es noch ein paar Monate dauern. Wenn die Strukturreformen ausbleiben, werden die schuldenfinanzierten Ausgaben nur einen Strohfeuereffekt entfachen.“ Bleiben Reformen aus, „würden wir mit höheren Schulden und Zinslasten, aber ohne dauerhaft höheres Wachstum dastehen“.

Für diesen Fall fällt Fuests Urteil eindeutig aus: „Die Koalition wäre wirtschaftspolitisch gescheitert.“ Deshalb seien Strukturreformen – Bürokratieabbau, die Beseitigung von Fehlsteuerungen in der Energiepolitik, die Stärkung von Arbeitsanreizen – so wichtig.

Das sagt die Politikexpertin

Die renommierte Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Politischen Akademie Tutzing, Ursula Münch, ist viel unterwegs im Land und trifft Entscheider aus Politik und Wirtschaft. Sie sagt, sie nehme „eine gewisse kleine Aufbruchstimmung“ wahr. Jahrelang habe ein Mehltau über dem Land gelegen. „Selbst die Grünen sehen mit einer gewissen Verblüfftheit, dass jetzt doch vieles angepackt wird.“

Es habe eine lange Phase noch unter Kanzlerin Angela Merkel gegeben, in der man sich den Reformstau des Landes schöngeredet habe. „Danach gab es eine Phase, in der alles schlechtgeredet wurde. Und jetzt sind wir offensichtlich in einer neuen Phase, in der man sich nicht mehr mit Befindlichkeiten aufhält, sondern anfängt zu machen.“ Das gelte aber nicht nur für die Regierung.

„Viel mehr Gruppen als vorher beharren nicht mehr nur auf eigenen Privilegien, sondern schauen auf das große Ganze“, meint Münch. Vielen sei klar geworden, dass eigene Ansprüche reduziert werden müssten, um das große Ganze zu erhalten. „Es gibt ein größer werdendes Verständnis, dass jeder bei sich selbst anfangen muss“, meint Münch.

Das sagen die Umfragen

Natürlich lässt sich aus den Umfragewerten für die Regierungsparteien nicht ablesen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Aber sie sind doch ein Fingerzeig. Derzeit sind sie vor allem eins: ziemlich unbeständig.

Seit Friedrich Merz Kanzler ist, kletterten seine Beliebtheitswerte zunächst nach oben, fast die Hälfte der Bevölkerung war mit ihm nach den ersten Wochen zufrieden, mit der Bundesregierung insgesamt waren das sogar 60 Prozent. Vorschusslorbeeren, nennen das die Demoskopen. Gleichzeitig stieg die Union in Umfragen auf 30 Prozent und konnte den Abstand zur AfD, die zwischenzeitlich mit ihr gleichauf war, wieder deutlich vergrößern.

Seit dem Gerangel um die Stromsteuer, die nun doch nicht für alle Verbraucher und Unternehmen gesenkt wird, gibt es aber einen Absturz: Mit Merz sind jetzt nur noch 35 Prozent zufrieden, und die SPD ist inzwischen auf 13 Prozent Zustimmung abgesackt, mit ihr das Spitzenpersonal Lars Klingbeil und Bärbel Bas.

Die Bürger reagieren sensibel auf Streit in der Regierung, der Erinnerungen an die ständigen Zerwürfnisse in der Ampel-Regierung weckt. Für die Sommerpause soll es dem Vernehmen nach deshalb Absprachen in der Regierung gegeben haben, möglichst keinen weiteren Zoff anzufangen.

Laut Umfragen hat sich die Stimmung insgesamt verbessert im Vergleich zum Jahresbeginn, allerdings auf niedrigem Niveau: Während im Januar noch zwei Drittel der Bürger fanden, dass es mit Deutschland bergab gehe, denken das jetzt immer noch knapp 50 Prozent. Zusammengefasst also: Leichte Tendenz nach oben, aber noch kein nachhaltiger Umschwung.