AtomkriegWie ernst sind Russlands Drohungen zu nehmen?

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Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte vor der Gefahr eines Atomkriegs.

Moskau – Es ist ja nur eine Frage. „Warum hat Russland in der Ukraine noch nicht gewonnen?“ Eine einfache Frage. Margarita Simonjan hält es trotzdem kaum auf dem Sitz. „Wir kämpfen gegen die Nato, einen riesigen Gegner.“ Die Chefredakteurin des russischen Propagandasenders RT, diesmal selbst Talkgast, funkelt ihr Gegenüber aus dunklen Augen an.

„Statt uns zu beschweren, dass wir noch nicht gewonnen haben, sollten wir unserem Oberbefehlshaber lieber beim Gewinnen helfen.“ Der Fragesteller lenkt sofort ein: „Ich beschwere mich ja gar nicht.“ Aber da gerät Simonjan erst recht in Rage. „Die Nato fährt ihre gesamte Streitmacht gegen uns auf. Das ist eine Herausforderung, wie wir sie noch nicht erlebt haben.“

Russische Propaganda-Sender verbreiten Weltkriegsstimmung

Der Oberbefehlshaber, das ist Präsident Wladimir Putin. Und der hatte zu Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine die Losung von einer „militärischen Spezialoperation“ ausgegeben. Doch das war gestern. Heute ist Weltkrieg. Diesen Eindruck zumindest vermitteln die Propaganda-Talkshows des russischen Staatsfernsehens. Bei Wladimir Solowjow zum Beispiel, dem im „Ersten Kanal“ der prominente Sendeplatz am Sonntagabend gehört. „Die Nato wird sich fragen müssen: Haben wir das Material und die Menschen, um uns zu verteidigen? Gnade wird es nicht geben“, erklärt der 58-Jährige.

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Russland werde über das Nachbarland hinausgehen, lautet Solowjows Botschaft: „Nicht nur die Ukraine muss entnazifiziert werden. Der Krieg gegen Europa und die Welt nimmt konkrete Konturen an, und wir müssen hart handeln.“ Besondere Brisanz erhalten solche Sätze, weil sie nicht selten vorwegnehmen, was Putin anschließend selbst sagt. Wenige Tage nach Solowjow warnt der Präsident in Sankt Petersburg: „Wer sich einmischt, muss wissen, dass die Antwort blitzschnell erfolgen wird. Wir haben dafür alle Instrumente, und wir werden sie anwenden.“

Prominente warnen vor Drittem Weltkrieg

In einem offenen Brief haben Prominente wie die Feministin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfe kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die Nato geliefert werden, schreiben die Unterzeichner in dem am Freitag veröffentlichten Brief. Sie warnen vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges.

Zu den 28 Erstunterzeichnern gehören der Autor Alexander Kluge, der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der Sänger Reinhard Mey, die Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die Schauspieler Lars Eidinger und Edgar Selge und die Schriftstellerin Juli Zeh.

Anders als viele Kritiker, die Scholz eine zaudernde Haltung vorwerfen, bekunden die Unterzeichner des Briefes ihre Unterstützung dafür, dass der Bundeskanzler bisher alles getan habe, um eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs zum Dritten Weltkrieg zu vermeiden. „Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern.“ (dpa)

Es ist ein offenes Geheimnis in Moskau, dass ein direkter Draht aus dem Kreml zu den Chefpropagandisten führt. Eine zentrale Figur dabei ist Dmitri Kiseljow. Der 68-Jährige leitet den staatlichen Medienkonzern „Rossija Segodnja“ (Russland Heute). Unter dem Dach des Unternehmens sind die einst unabhängige Nachrichtenagentur Ria Nowosti, der Fernsehsender RT sowie das Portal „Sputnik“ vereint. Zugleich ist Kiseljow Vize bei der staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt WGTRK.

Mit RT-Chefredakteurin Simonjan und Talkmaster Solowjow bildet er so etwas wie die voranstürmende mediale Troika des Kremls. Zumal sich Kiseljow keineswegs auf das Management beschränkt. So sprach er noch vor Kriegsbeginn davon, dass es „eine Welt ohne Russland nicht braucht“.

Russlands Propaganda soll Feindbilder verstärken

Doch wie ernst ist all das zu nehmen? Fachleute wie die österreichische Medienwissenschaftlerin Magdalena Kaltseis nennen „die Verstärkung von Feindbildern“ als zentrales Ziel der Propaganda-Talkshows. Durch Schockbilder und Gräuelgeschichten würden Emotionen geschürt, um so die Meinung im Land zu beeinflussen. Immerhin sehen fast zwei Drittel der Bevölkerung die Talkshows regelmäßig. Dass die Strategie Erfolg hat, zeigen die wenigen unabhängigen Umfragen. So gaben zuletzt rund 80 Prozent der Russinnen und Russen an, den Krieg in der Ukraine zu unterstützen.

Die Daten des international renommierten Lewada-Zentrums gelten als zuverlässigste Quelle zum Meinungsbild im Land. Die Emotionen, die der Krieg bei den Menschen in Russland auslöst, sind demnach äußerst zwiespältig. Rund die Hälfte der Bevölkerung gibt „Stolz auf die Nation“ als vorherrschendes Gefühl an. Fast ebenso viele jedoch spüren vor allem Furcht.

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Die aktuellen Reden von einem Atomkrieg, die das Abendprogramm füllen, dürften vor allem die Ängste verstärken. Dies wiederum deuten Beobachter als Versuch, jede aufkeimende Proteststimmung im Land zu lähmen. So nannte der kremlkritische Publizist Andrei Kolesnikow die jüngste Drohrede Putins in Sankt Petersburg eine „innenpolitische Atombombe“. All diese Warnungen vor Angriffen auf Russland seien doch „einigermaßen verrückt“. Er jedenfalls könne daran „einfach nicht glauben“.

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