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Von wegen auf Kosten JüngererDie Boomer haben die Zeche bereits bezahlt

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„Die Rente ist sicher“, versprach Norbert Blüm (CDU, links), Sozialminister unter Helmut Kohl, immer wieder.

„Die Rente ist sicher“, versprach Norbert Blüm (CDU, links), Sozialminister unter Helmut Kohl, immer wieder. 

Höhere Beiträge, spätere Rente, weniger Geld: Die Baby-Boomer gelten heute als privilegierte Generation. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Sie haben die Zeche für die Rentenreformen der vergangenen Jahrzehnte bereits bezahlt.

In der Debatte um den „Boomer-Soli“, aber auch an anderer Stelle in der Rentendiskussion klingt es manchmal danach, als erwarte den Durchschnitts-Boomer ein Ruhestand in Saus und Braus, während es für die jüngeren Generationen hinten und vorne nicht mehr reichen wird. Den Boomern selbst wird diese Argumentation bekannt vorkommen. Denn auch sie wuchsen in dem Gefühl auf, für die Stabilität der Rente schon in jungen Jahren bluten zu müssen.

Dass sich bei der Rente über kurz oder lang Finanzierungsprobleme auftun würden, war bereits in den 70ern absehbar; Konrad Adenauers Prognose, nach der „die Leute immer Kinder kriegen“ würden und das Umlagesystem quasi ein Selbstläufer sei, hatte bekanntlich eine kurze Halbwertszeit. Schon als der Babyboom abflaute, begann der Anstieg bei den Rentenbeiträgen – zwischen 1967 und 1975 immerhin von 14 auf 18 Prozent.

Blüms Rentenversprechen

Dass die CDU 1986 mit der Zusicherung des damaligen Sozialministers Norbert Blüm, dass die Rente „sicher“ sei, Wahlkampf betrieb, zeigt vor allem eines: dass seinerzeit an dieser Sicherheit bereits arge Zweifel bestanden. Erst ein Jahr zuvor hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl es für notwendig erachtet, den Beitragssatz erneut anzuheben. Damit war man zu einem Zeitpunkt, zu dem der Großteil der Boomer das Erwerbsalter erreicht hatte, bei 19,2 Prozent angekommen.

Zwar sank der Beitragssatz zwischenzeitlich auch mal wieder, aber davon hatten die Beitragszahler wenig. 1991, nur wenige Monate nach der Vereinigung der deutschen Staaten, senkte die immer noch schwarz-gelbe Koalition den Rentenbeitrag um einen Prozentpunkt ab und hob zugleich den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte an. Sprich: Der seinerzeit recht gut gefüllten Rentenkasse wurden Einnahmen entzogen und der defizitären Arbeitslosenversicherung zugeschoben.

Für die Rentenversicherung hatte das erhebliche Auswirkungen: Ihre milliardenschwere Rücklage, die sogenannte Schwankungsreserve, schmolz zwischen 1992 und 1996 um mehr als 70 Prozent ab. Geld, mit dem die Bonner Regierung angesichts ausufernder Einheitskosten und hoher Arbeitslosigkeit Lücken im Haushalt stopfen wollte, ätzten damals einige. Unter anderem der „Spiegel“ sprach unverblümt von „Betrug am Steuerzahler“. Schon 1994 musste die Beitragshöhe zur gesetzlichen Rentenversicherung wieder nach oben angepasst werden, und zwar um ganze 1,7 Prozent auf einen Schlag. 1997 erreichte sie mit 20,3 Prozent den bisherigen Höchststand.

Rentenniveau gerät ins Trudeln

Umzusetzen hatte das alles im Übrigen immer noch Blüm, dessen Versprechen einer sicheren Rente für die Boomer-Generation nun längst zum Running Gag geworden war – für sie sah diese „Sicherheit“ längst so aus, dass sie mehr einzahlen mussten als ihre Eltern, um am Ende weniger Rente zu beziehen. Denn bereits zwei Jahre zuvor war auch beschlossen worden, das Rentenalter von 63 auf 65 Jahre heraufzusetzen. Auch die Gutschrift von Rentenpunkten für Studienzeiten hatte die Kohl-Regierung längst abgeräumt.

Nicht zuletzt waren die 90er auch die Jahre, in denen das Netto-Rentenniveau ins Trudeln geriet. Lag es im Wendejahr 1989 noch bei 56,1 Prozent, waren es zur Jahrtausendwende nur noch 52,9. Was aus heutiger Sicht immer noch nach viel klingt – im aktuellen Rentenstreit geht es um 47 bis 48 Prozent. Aber für die damals jungen Boomer standen die Zeichen der Zeit somit auch schon auf Verzicht: Noch Ende der 70er-Jahre hatte das Rentenniveau immerhin bei fast 60 Prozent gelegen. Und selbst das war wenig im Vergleich zu den 70 Prozent der 50er-Jahre.

In den frühen 2000ern rühmte sich die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder, das Rentenniveau einigermaßen stabil gehalten zu haben. An anderer Stelle brachte aber auch sie Kürzungen auf den Weg, als sie beispielsweise im Rahmen der Agenda 2010 den Nachhaltigkeitsfaktor einführte: In die Berechnung der jährlichen Rentenerhöhungen wurde nun auch die demografische Entwicklung einbezogen, und aus rentenpolitischer Sicht verlief die ja schon seit Jahrzehnten ungünstig. Dazu kam, dass sich die Ausweitung des Niedriglohnsektors langfristig negativ auf die Einnahmen der Rentenkasse auswirkt. Und die Riester-Rente, die als Instrument zur privaten Aufbesserung der Altersbezüge gedacht war, erwies sich in weiten Teilen als Rohrkrepierer.

Der geburtenstärkste Jahrgang ist der erste, der bis 67 arbeiten muss: Im Jahr 2006 – Schröder war weg, Angela Merkel führte eine schwarz-rote Koalition – folgte dann der Beschluss zur schrittweisen Erhöhung des Rentenalters auf 67. Und der erste Jahrgang, für den ab 2031 die Regelaltersgrenze von 67 Jahren vollständig gilt, ist: der Vorzeige-Boomer-Jahrgang 1964.

Wer heute, vielleicht in seliger Erinnerung an das Rentenalter der frühen 90er, mit 63 in den Ruhestand gehen will, muss 45 Jahre lang eingezahlt haben. Blickt man auf die vergangenen 45 Jahre zurück, lag der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung fast durchweg oberhalb der heutigen 18,6 Prozent.

Nur in drei Jahren lag er niedriger, und zwar von 1991 bis 1993. Das waren, zur Erinnerung, die Jahre des Kohlschen „Griffs in die Rentenkasse“. Jene Kasse also, bei der es ebenfalls an den berufstätigen Boomern war, sie wieder aufzufüllen. Fast könnte man sagen: Den Soli haben die Boomer irgendwie schon bezahlt.