Interview mit Strack-Zimmermann (FDP)„Mit dem brutalen Angriff auf die Ukraine gab es ein böses Erwachen“

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschuss des Bundestags

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschuss des Bundestags

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann spricht im Interview über den Ukraine-Krieg, die Rolle Deutschlands und die Erwartungen an Verteidigungsministerin Lambrecht.

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann glaubt, dass der Kanzler bei der Entscheidung, Schützenpanzer an die Ukraine zu liefern, erst auf nationalen und internationalen Druck reagiert hat. Auch für die Reform der Bundeswehr hat die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag klare Vorstellungen – und Erwartungen an Ministerin Christine Lambrecht von der SPD.

Kanzler Olaf Scholz hat seine Verteidigungsministern nach ihrem umstrittenen Silvester-Video als „erstklassig“ bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Frau Lambrecht vertritt als Ministerin die SPD-Fraktion am Kabinettstisch. Ich zerbreche mir nicht den Kopf über Interna anderer Fraktionen. Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Koalitionspartnerin schaue ich allerdings mit Interesse darauf, inwieweit die Ministerin in dieser Legislaturperiode sich auf den Weg macht, die Bundeswehr zu modernisieren, also das zu machen, was die CDU/CSU-Verteidigungsministerinnen und -minister in 16 Jahren nicht hinbekommen haben. Wir als Freie Demokraten werden die Ministerin darin kraftvoll unterstützen, denn am Ende gilt es nicht nur über die Zeitenwende zu sprechen, sondern sie auch konsequent umzusetzen.

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Hat die Ministerin denn noch die Autorität, die Zeitenwende in der Bundeswehr umzusetzen?

Das ist ohne Zweifel ein Kraftakt. 68 Jahre nach Gründung der Bundeswehr, sollte beispielsweise der Paragraf 87a und b GG, also die Trennung von zivilen und militärischen Mitarbeitern, aufgehoben werden. Diese Doppelstrukturen lähmen die zügige Beschaffung, weil die Sichtweisen auf Notwendigkeit und Nutzung militärischen Materials oft unterschiedlich sind. Angesichts der riesigen Herausforderungen ist diese Struktur aus der Zeit gefallen. Solche grundsätzlichen Dinge anzugehen, das ist jetzt das Gebot der Stunde.

Stünden Sie selbst für das Amt zur Verfügung?

Die Frage stellt sich nicht. Dieses Ministerium ist in der Hand der SPD.

An diesem Freitag hat das Verteidigungsministerium dem Verteidigungsausschuss Reformvorschläge unterbreitet. Wie fällt Ihre erste Bewertung aus?

Es werden viele kleine Maßnahmen vorgestellt. Wir werden sehen, ob die einzelnen Maßnahmen zum großen Ganzen führen.

Sie haben kürzlich eine Strategie für die militärische Ukraine-Hilfe angemahnt. Wird es sie geben?

Es muss sie geben. Deutschland muss sich heute Gedanken darüber machen, wie in den kommenden Monaten die Unterstützung aussehen könnte. Bisher haben die Verantwortlichen immer erst dann reagiert, wenn der internationale Druck entsprechend groß war. Dieser brutale russische Überfall auf die Ukraine geht die komplette freie westliche Welt etwas an. Es geht um unsere Art zu leben, in Freiheit und Demokratie. Die Lage gehört vorausschauend analysiert. Heute müssen Entscheidungen getroffen werden. Wir kümmern uns ja auch heute bereits um die Energiebeschaffung für die übernächste Wintersaison.

Meinen Sie damit konkret die Lieferung von Panzern, die die Ukraine seit Monaten verlangt?

Selbstverständlich hätten wir schon im Herbst ukrainische Soldaten am Schützenpanzer Marder und Kampfpanzer Leopard 2 ausbilden müssen, damit diese nach Lieferung in die Ukraine umgehend in den Einsatz können. Beide Typen sind strategisch wichtig, um zum Beispiel bei den Kämpfen um Bachmut russische Stellungen zurückzudrängen. Die Entscheidung des französischen und amerikanischen Präsidenten, Panzer in die Ukraine zu liefen, hat den Knoten endlich durchschlagen. Unter diesem Druck hat der Bundeskanzler nun endlich grünes Licht gegeben, den Schützenpanzer Marder an die Ukraine zu liefern. Die europäischen Partner warten allerdings ebenso darauf, dass Deutschland auch bereit ist, einige Kampfpanzer Leopard zu verlegen. Wir dürfen uns nie daran gewöhnen, dass dieser brutale Krieg in der Ukraine tobt, angesichts des Leids der Menschen, die dort seit über zehn Monaten ums Überleben kämpfen.

Der Marder hat kein modernes Funksystem, ist jetzt aber als Ersatz für die ausgefallenen Puma in der Nato-Eingreiftruppe an der Ostflanke im Einsatz. Welches Bild gibt Deutschland ab?

Der Marder ist zwar ein alter, aber hervorragender Schützenpanzer. Laut aktuellem Bericht aus dem Ministerium sind 17 von 18 Pumas so gut wie einsatzbereit. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben losgelöst von den Waffensystemen international einen sehr guten Ruf. Allerdings erwarten unsere Partner in der Nato, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nachkommt und auch mal die Initiative ergreift.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg will die Mitglieder auf Militärausgaben von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts einschwören. Ist das realistisch?

Ich halte das nur für konsequent angesichts der Herausforderungen, vor denen das Bündnis steht. Putin wartet nur auf die nächste Gelegenheit, die freie Welt erneut anzugreifen.

Deutschland tut sich schon jetzt schwer, das Zwei-Prozent-Ziel annähernd zu erreichen…

Zeitenwende bedeutet, auch diese Vorgabe konsequent zu erfüllen. Geklärt werden müsste zudem, inwieweit Investitionen in militärische Liegenschaften oder Pensionsansprüche ehemaliger Soldaten in die zwei Prozent mit einberechnet werden könnten.

Löst der russische Angriffskrieg ein neues Wettrüsten aus?

Höhere Rüstungsausgaben sind die späte Antwort auf eine Realität, die wir Jahrzehnte nicht sehen wollten. Wir fühlten uns zu sicher. Mit dem brutalen Angriff auf die Ukraine gab es ein böses Erwachen. Unsere grenzenlose Naivität wird durch die Erkenntnis abgelöst, dass nur der Starke nicht angegriffen wird. Wer den Krieg nicht will, muss sich für den Krieg rüsten. Das klingt nicht schön, ist aber die traurige Erkenntnis.

Wie lange wird es dauern, bis die Landesverteidigung wieder in dem Umfang möglich ist, wie es angemessen wäre?

Die Bundeswehr ist eingebettet in die Nato. Wenn ein Mitglied im Bündnis angegriffen wird, stehen diesem die anderen Länder zur Seite. Selbstverständlich muss sich jedes Land, das sich auf das Bündnis verlässt, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stärke an den Kosten beteiligen. Die Landesverteidigung hat wieder oberste Priorität. Die sogenannte Friedensdividende nach Öffnung der Mauer ist vorbei. Das hat uns der 24. Februar 2022 gelehrt.

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