2022 dürften noch mehr Menschen die Kirchen verlassen haben als im bisherigen Rekordjahr 2021. Das legen Daten einer Rundschau-Umfrage in NRW nahe. Was sind die Gründe?
Kirchen in NRWWie sich die Kirchenaustritte in der Region verteilen
Am 1. Februar ist es wieder so weit. Immer zum Monatsbeginn schalten die NRW-Amtsgerichte in ihrem Online-Buchungsprogramm die Termine frei, an denen im übernächsten Monat Kirchenaustritte erklärt werden können. Am 1. Februar also für April. „Diese sind in der Regel nach einem halben Tag vergeben“, berichtet Thomas Ulmer, Direktor des Amtsgerichts Bergheim. 2022 ist die Zahl der Kirchenaustritte, die bei seinem Gericht gemeldet wurden, gegenüber dem Vorjahr um 868 oder 60,3 Prozent gestiegen.
Auch viele andere NRW-Amtsgerichte melden in einer Umfrage der Rundschau einen starken Anstieg (siehe Grafik): Düsseldorf etwa um 59,7 Prozent, Oberhausen sogar um 104,8 Prozent. In absoluten Zahlen hat nach wie vor das Amtsgericht Köln mit 20 331 Fällen die meisten Kirchenaustritte registriert. Gegenüber dem Vorjahr waren dies fünf Prozent mehr.
Warum sind die Unterschiede so groß?
Eine Erklärung gibt es zumindest für den Fall Düsseldorf. Jahrelang hatten Kirchenkritiker moniert, das Gericht in Düsseldorf biete zu wenig Austrittstermine an. 2022 erhöhte man den Takt, Termine werden seither im Zehn-Minuten-Abstand (zuvor 15 Minuten) angeboten. Und gebucht. Die Kölner haben dagegen schon in der Vergangenheit immer versucht, die Nachfrage zu decken. Hier ist die Steigerung nicht mehr so hoch.
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Und Düren? „Die Verdoppelung der Zahlen lag allenfalls in einem ganz geringen, nicht messbaren Umfang an der Ausweitung der angebotenen Termine“, so Gerichtsdirektor Stephan Ebling. „Bereits Ende 2021 gab es nur noch wenige Rückstände bei der Aufarbeitung der Terminwünsche. Diese waren Anfang 2022 schnell abgearbeitet.“
Wie verteilen sich die Austritte auf die Konfessionen?
Nur ein Teil der Amtsgerichte erfasst die bisherige Konfession der Ausgetretenen. Grundsätzlich sind beide großen Kirchen betroffen. Vielerorts stieg aber der Anteil der Katholiken – wie in Duisburg (um mehr als fünf Punkte auf 61,9 Prozent), in Neuss (jetzt 76,2 Prozent, also fast vier Punkte mehr als 2021) und im kleinen Schleiden (um mehr als drei Punkte auf 89,8 Prozent). In Neuss ist die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche auch in absoluten Zahlen gesunken, von 930 auf 849. In Solingen ist der Anteil der abtrünnigen Katholiken rückläufig, ihre absolute Zahl ist aber auch hier gestiegen.
Weisen die Zahlen auf einen Köln-Effekt hin?
Schon angesichts der hohen Austrittszahlen des Jahres 2021 war darüber spekuliert worden, welche Auswirkungen die Auseinandersetzungen im Erzbistum Köln und um die Person von Kardinal Rainer Maria Woelki hätten. Der Publizist und Kirchenkritiker Carsten Frerk hatte einen „Woelki-Effekt“ bestritten: In etlichen Bistümern seien die Zahlen noch viel schlechter als in Köln. Die katholische Kirchenstatistik für 2022 kommt erst im Sommer. Aber: Nicht nur in Städten des Kölner Erzbistums, sondern auch in Münster, in Duisburg und Oberhausen (beide Bistum Essen), Dortmund (Erzbistum Paderborn) und auch in Paderborn selbst gab es 2022 einen starken Anstieg. Auch das evangelisch geprägte Bielefeld meldet um mehr als 40 Prozent gestiegene Austrittszahlen. Die Bielefelder Protestanten verloren 617 Mitglieder mehr als im Vorjahr durch Austritt – eine Steigerung um fast 40 Prozent.
Was bedeutet das für die Mitgliederentwicklung?
Eine Hochrechnung der Austrittszahlen 2022 haben weder das Erzbistum Köln noch die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR). Doch erwartet die rheinische Landeskirche, dass ihre Mitgliederzahl im Jahr 2022 um rund 70 000 (gegenüber 2,267 Millionen zu Jahresbeginn) zurückgegangen ist. Einen Trend nennt Sprecher Jens Peter Iven: Früher war der Mitgliederverlust vor allem eine Folge der Demografie, also des Sterbeüberschusses und der Wanderungsbilanz. Inzwischen sind Austritte der wichtigste Grund. Und im Erzbistum Köln dürfte die Zahl der Gläubigen 2022 wohl deutlich unter 1,8 Millionen gesunken sein.