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Reportage aus Wisconsin„Würde eher für einen Hundefänger stimmen als für Trump“

Lesezeit 9 Minuten
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Tina und Duane Hinchley, beide Anhänger Joe Bidens, auf ihrem Milchbauernhof in der Nähe von Cambridge, Wisconsin

  1. Wisconsin ist aktuell einer der am härtesten umkämpften Swing-States der USA.
  2. Dort leiden derzeit viele unter der Politik des US-Präsidenten Donald Trump.
  3. Doch wie stehen dort seine Chancen? Frank Herrmann hat einige Menschen in Wisconsin besucht.

Milwaukee – Chris Walton sitzt in einem penibel aufgeräumten Büro und erzählt davon, wie er ins Abendrot reiten wollte. Das klingt ein bisschen seltsam aus dem Munde eines Mannes, der gerade mal 31 Jahre alt ist. Aber nach ein paar Floskeln beginnt er das Gespräch mit einem Satz, den er später mehrfach wiederholt: „Am Abend des 8. November 2016 war ich bereit, ins Abendrot zu reiten.“ Nach aufreibenden Monaten, die er damit verbrachte, in seiner Heimatstadt Milwaukee Wahlkampf für Hillary Clinton zu machen, sehnte er sich nach Ruhe, so meint er das mit dem Sonnenuntergang. Clinton würde im Weißen Haus einziehen, er ein wenig verschnaufen. Nichts, sagt er, ließ vor dem Wahltag darauf schließen, dass es nicht nach Plan laufen würde.

Wie man aus einer politischen Autopsie lernt

Was er empfand, als alles anders kam, auch das kann Walton anschaulich beschreiben, wobei es noch immer klingt, als könne er nicht fassen, was damals passierte. „Was? Donald Trump? Ausgerechnet Trump? Dieser Scharlatan?“ Es habe ihn aus der Bahn geworfen, sagt Walton. Und deshalb lege er sich umso mehr ins Zeug, um am 3. November nicht noch einmal eine derart niederschmetternde Erfahrung machen zu müssen. Inzwischen ist er Lokalchef der Demokratischen Partei in Milwaukee, der jüngste, den sie dort jemals hatten. Was unter anderem mit einer Autopsie zu tun hat.

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Chris Walton, 31, Chef der Demokratischen Partei in Milwaukee, der jüngste, den sie dort jemals hatten, in seinem Büro

Autopsie, so nennt man das in Amerika, wenn der Verlierer einer Wahl die Ursachen seiner Niederlage zu ergründen versucht, als gelte es, eine Leiche zu sezieren. Der politische Leichenbefund in Milwaukee ergab, dass 31.000 Wähler, die 2012 noch für den Präsidenten Barack Obama gestimmt hatten, vier Jahre später zu Hause blieben. Die meisten waren Afroamerikaner, die sich zwar für Obama begeistern konnten, nicht aber für Clinton. Sie zu mobilisieren ist Waltons wichtigste Aufgabe. Er schätzt, dass es ihm gelingen wird. „Die Leute gehen wählen, wenn sie sauer sind. Und glauben Sie mir, viele sind sauer auf Trump.“ An jedem inneren Krisenherd Amerikas spiele der Mann mit dem Feuer, er schüre die Flammen der Ressentiments. „Es ist, als würdest du einem Brandstifter eine Packung Streichhölzer in die Hand drücken und ihn in einer Papierfabrik herumrennen lassen.“ Der dringende Wunsch, dieses Kapitel zu beenden, sei für viele schon Motivation genug. „Sie werden sehen, am 3. November wird Wisconsin wieder blau.“

Alles zum Thema Donald Trump

Entscheidung fällt in den Swing States

Das Rennen wird in wenigen Swing-States entschieden, Wisconsin ist einer davon. Der Staat, etwas größer als Griechenland, hat 5,8 Millionen Einwohner. 2016 gewann Trump mit einem Vorsprung von knapp 23 000 Stimmen. Er war der erste republikanische Präsidentschaftskandidat, den sie hier wählten, seit Ronald Reagan 1984 mit einer Ausnahme in sämtlichen Bundesstaaten gewann. Wisconsin, dachten die Demokraten, nach ihrer Parteifarbe die Blauen, bilde mit Michigan und Pennsylvania eine blaue Mauer, die die Roten, die Republikaner, nie überwinden würden. Das stimmte, bis Trump kam.

Die Devise: Trump loswerden

Auch die Hinchleys, Duane und Tina, wollen nur noch eines: Trump loswerden, so schnell wie möglich. Am liebsten würden sie draußen vor ihrem Milchbauernhof Werbeschilder mit dem Namen seines Rivalen aufstellen. Aber dann, orakelt Duane, könnten seine Anhänger aus Wut darüber womöglich etwas auf dem Hof kaputtmachen. Das Risiko ist ihm zu groß. Ringsum, in der idyllischen Seenlandschaft in der Nähe von Cambridge, dominieren die Trump-Schilder. „Wir haben viele Freunde verloren“, bedauert Tina Hinchley. „Die haben Trumps Kool-Aid getrunken, die glauben seinen Lügen. Wir sind dagegen immun.“

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Tina und Duane Hinchley

240 Kühe im Stall, alle gemolken von Robotern, dazu Felder, auf denen Mais und Sojabohnen wachsen – das ist die Farm der Hinchleys, in Familienbesitz, seit Duanes Eltern das Anwesen 1958 erwarben. Praktisch gesehen, bedeutet ein Trump im Weißen Haus, dass die Geschäfte nicht mehr laufen, wie sie laufen könnten, würde man zum Beispiel auf Handelskriege verzichten. Bevor der Tycoon aus New York sein Amt antrat, war der Himmel, geschäftlich betrachtet, weitgehend wolkenlos.

Leiden unter Trumps Entscheidungen

Klar, die Milchpreise“, sagt Duane, den seine Frau Tina den „finance man“ nennt, zuständig fürs Rechnen. „Die Milchpreise waren schon damals unter Druck, doch ansonsten hatten wir Sicherheit.“ Wie die meisten Farmer in Wisconsin lebten die Hinchleys von Exporten nach China, vor allem von Soja. Mit der Transpazifischen Partnerschaft TPP, ausgehandelt von der Regierung Obamas, verband sich zudem die schöne Aussicht auf neue Märkte ohne Zollschranken. Als Erstes kippte Trump TPP, dann nahm er Peking ins Visier. Auch wenn er versprach, die Farmer zu entschädigen für die Verluste, die sie mit dem Exporteinbruch erlitten, für Duane Hinchley zählt „the big picture“, das große Bild. Der weite Blick in die Zukunft, der dadurch verstellt wird, dass Trumps Zollkeulenpolitik permanente Unsicherheit erzeugt. Die Kooperative, der er und seine Frau angehören, hat viel investiert, um in China Kontakte zu knüpfen und für Produkte aus Wisconsin zu werben. Trump hat es in kürzester Zeit zunichtegemacht, so sehen es die beiden.

Das Thema Politik wird hier lieber gemieden

Walter Schmitt sitzt vor großen Bildschirmen am Tresen des German Club in Racine. Gleich beginnt ein Footballspiel, Green Bay Packers gegen Minnesota Vikings, doch Schmitt will reden. Auch über Politik, obwohl das im Club nicht so gern gesehen wird. Hier gilt die Maxime, politische Gespräche zu meiden, weil die Ansichten, für oder gegen Trump, so konträr sind, dass es in lautstarken Streit ausarten könnte. Egal, für den Reporter macht Schmitt eine Ausnahme. Er würde, sagt er, eher für einen Hundefänger stimmen als für Donald Trump, den er einen Scharlatan und einen Schlappenflicker nennt.

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Walter Schmitt (rechts im Bild, unter der Landkarte) im German Club in der Stadt Racine

Das mit dem Schlappenflicker, gemeint ist wohl ein Schuster, der nur minderwertiges Schuhwerk reparieren kann, hat er mitgebracht aus seiner Heimatstadt Neckarhausen, zwischen Mannheim und Heidelberg gelegen, die er 1956 verließ. Zwei Jahre wollte er durch Amerika reisen, den Wilden Westen erkunden, wobei Indianerromane überhaupt erst sein Interesse für die Neue Welt geweckt hatten. In Racine fand er schnell Arbeit als Maurer, lernte eine Frau aus Stuttgart kennen, gründete eine Familie und blieb. Schmitt hat noch die Fernsehbilder aus den sechziger Jahren vor Augen: Polizeihunde, die auf schwarze Bürgerrechtler gehetzt werden, Bomben in afroamerikanischen Kirchen, brennende Gotteshäuser. „Ich hatte gedacht, das liegt hinter uns“, sagt er. Nun aber erlebe das Land einen Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten. „Dieser Hass, ich verstehe das nicht. Weitere vier Jahre Trump, dann wird alles noch schlimmer.“

„Für uns war Trump eine unbekannte Größe“

Terry Dittrich sitzt in der Sonne vor einer Jagdhütte, in der gleich republikanische Lokalmatadoren reden werden. Die Landschaft ringsum ist so schön wie dieser Spätsommertag, bewaldete Hügel, sattgrüne Wiesen, hier und da ein kleiner Teich. Heile Welt, könnte man sagen. Sie passt zu der gelassenen Heiterkeit, die der Chef der Republikanischen Partei in Waukesha County ausstrahlt. Dittrich arbeitet für ein Unternehmen, das energiesparende Beleuchtungstechnik herstellt.

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Terry Dittrich, Parteichef der Republikaner in Waukesha County, einem Landkreis im wohlhabenden Vorortgürtel um Milwaukee, der als Hochburg der Konservativen gilt

Ein pragmatischer Typ, keiner der Eiferer, wie man sie bisweilen auf Trumps Kundgebungen trifft. Schon vom Habitus her steht er symbolisch für das Establishment der „Grand Old Party“ im wohlhabenden Vorortgürtel um Milwaukee. Trump hat dort, im Herzland der Roten in Wisconsin, keine Begeisterung geweckt, weshalb er 2016 rund zwanzigtausend Stimmen weniger bekam als Mitt Romney vier Jahre zuvor.

Man habe ihm nicht vertraut, nicht genau gewusst, wofür er stand, „für uns war er eine unbekannte Größe“, erläutert Dittrich. Die massiven Steuersenkungen, die er durchs Parlament brachte, hätten dann dafür gesorgt, dass das konservative Waukesha County heute fest hinter ihm stehe. Zugegeben, vielen Frauen, vor allem jüngeren, gefalle nicht, wie der Mann poltere. Die aber könne man vielleicht doch noch dazu bringen, ihm den Zuschlag zu geben. Jedenfalls dann, wenn es gelinge, das Thema Law and Order, die Angst vor Ausschreitungen, anstelle der Coronakrise in den Vordergrund zu rücken.

Im Übrigen hält Dittrich den strengen Lockdown, den der demokratische Gouverneur Wisconsins über Monate verhängte, für grotesk übertrieben, zumal in ländlichen Regionen, in denen es kaum Corona-Fälle gab. „Höchste Zeit, dass wir zur Normalität zurückkehren. Die Leute sagen, in meinem Umfeld kenne ich keinen, der Covid hat, die Krankenhäuser sind leer, was soll das alles?“ Und was die Maskenpflicht angehe: „Für viele ist es nur noch Panikmache“ Die vielleicht hundert Parteiaktivisten, die sich unter ausladenden Hirschgeweihen in der rustikalen Baude versammelt haben, in der Ecke ein Buffet mit Würstchen und Snacks, sehen es ähnlich. Kaum einer trägt einen Mund-Nasen-Schutz. In der Geschäftsstelle der Partei in Waukesha gehen frisch gedruckte Poster weg wie warme Semmeln, obwohl sie zehn Dollar das Stück kosten. „We back the badge“, ist darauf zu lesen. The badge, die Plakette der Polizei.

Vom Frust in Kenosha

In Kenosha liegt ein Lebensmittelladen namens La Estrella in verkohlten Trümmern. Der Besitzer, Abel Alejo, hat in einer Krawallnacht alles verloren, was er aufgebaut hat. „Kenosha strong“ („Kenosha stark“) steht neben einem Herzen auf einem Brett, ein Spruch, der ihm wohl Mut machen soll. Von der Eisdiele „The Good Taste“ ist ebenso wenig übriggeblieben wie vom nostalgisch angehauchten Schallplattenladen „Music Outlet“. Die Brandstifter, sagt Greg Bennett, in Kenosha einer der Aktivisten der Bewegung „Black Lives Matter“, hätten seine Stadt heimgesucht wie eine Plage. Sie seien aufgesprungen auf den Zug der Proteste, die sieben Polizistenschüsse in den Rücken des dreifachen Vaters Jacob Blake ausgelöst hatten. „Leute, geht wählen!“, ruft Bennett von der Bühne einer Kundgebung. „Nur wenn ihr wählen geht, bewirkt ihr was.“

Der 40-Jährige mit den Rastalocken will demnächst für das Amt des Bürgermeisters in Kenosha kandidieren. Mit der US-Armee war er im Kosovo und im Irak, wo es zu seinen Aufgaben gehörte, Sprengsätze zu orten. Im Zivilleben, sagt er, wolle er politische Sprengsätze entschärfen.

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Greg Bennett, Aktivist der Bewegung „Black Lives Matter“ in Kenosha, will sich um das Amt des Bürgermeisters seiner Stadt bewerben.

Gewalt, Plünderungen, Geschäfte abfackeln, das lehne er natürlich ab, antwortet Chris Walton, wenn man ihn nach der Schneise der Zerstörung in Kenosha fragt. Aber er verstehe, woher die Wut komme, nämlich von Leuten, die nur noch frustriert seien wegen der ewiggleichen Erfahrung, die man als Afroamerikaner mache. „Egal, was du tust, man wird in dir immer den Schwarzen sehen. Ob du Basketballprofi bist, Präsident oder Joe Small auf der Straße, du bleibst eine schwarze Person in Amerika.“ Er wisse, wovon er rede, als Urenkel von Sklaven kenne er das Gefühl. „Es ist eine bittere Pille, die du schlucken musst.“