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„Bis die mich wegtragen“So lief der erste Tag der Lützerath-Räumung

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Polizisten stehen bei der Räumung von Lützerath vor Bretterhütten.

Polizisten stehen bei der Räumung von Lützerath vor Bretterhütten.

Unter überwiegend friedlichem Protest hat die Polizei am Mittwoch begonnen, den von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath im Rheinischen Revier zu räumen. Die Ereignisse des Tages in unserer Reportage

Sie sitzen auf den Hausdächern und hangeln sich an Seilen durch den angrenzenden Wald. Einige der Klima-Aktivisten provozieren die Einsatzkräfte der Polizei mit Megafon-Durchsagen. Insgesamt ist die Lage ruhig. Wieder ruhig. Gegen acht Uhr hatte die Polizei das Dorf gestürmt, einige der Aktivisten hatten Steine und Molotow-Cocktails geschmissen. Mittlerweile ist Lützerath nicht nur von Polizisten umstellt. Auch vor den verfallenen Gebäuden und auf den verschlammten Wegen verharren die Beamten. Aus einem der besetzten Häuser erklingt Streichmusik, weil zwei Demonstranten ihre Violinen bemühen – Die vor dem Haus stationierten Polizisten werden zu unfreiwilligen Zuhörern.

Ein harter Kontrast habe sich noch wenige Stunden zuvor abgezeichnet, als die Einsatzkräfte in das Dorf eindrangen, sagt einer der Aktivisten: „Wir wurden vor dem ersten Kaffee geweckt mit der Ansage: ‚Da kommen so viele Polizeiautos durch die Grube, wir sehen das Ende gar nicht mehr‘.“ Der Besetzer ist vermummt, so wie die meisten von ihnen, und spricht aus dem Fenster aus dem ersten Stock eines baufälligen Gebäudes mit den Journalisten. Die Polizisten seien in das Dorf gerannt, daraufhin hätten einige der Aktivisten unter anderem Steine sowie Molotow-Cocktails geschmissen. Er ist überzeugt, die Einsatzkräfte vor Ort hätten sich nicht an Absprachen gehalten und ihr Vorhaben, das Dorf zu stürmen, nicht ausreichend angekündigt. Sascha Dominiczek, Sprecher der Polizei Aachen, sieht das anders: „Es wurden die ganze Zeit Lautsprecherdurchsagen gemacht.“ Auch vor Ort kündigen die Einsatzkräfte immer wieder ihr Vorgehen durch Lautsprecher an.

Ich werde nicht mit Steinen werfen und wenn die Polizisten sagen geh, dann gehe ich.
Petra Schumann, Klima-Aktivistin

Die meisten der Gebäude, inklusive der Baumhäuser der Demonstranten, hat die Polizei noch nicht gestürmt. Lediglich eine Lagerhalle, in der sich auch die Küche der Besetzer befunden haben soll, sei bereits gesichert worden. Auch fangen die Einsatzkräfte jeden ab, der das Dorf betreten will. „Aktuell geht es darum, die Stellung zu halten und dafür zu sorgen, dass die derzeitige Situation beibehalten wird“, erklärt eine Polizistin, die wie viele ihrer Kollegen vor allem viel herumsteht und wartet. Wie lange das noch dauere, wisse sie nicht.

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Doch plötzlich tut sich etwas: Mehrere Einsatzkräfte laufen über das Gelände und versammeln sich vor einem Gebäude mit einem Rolltor, vor dem sich einige Aktivisten niedergelassen haben. Eilig verschwinden die durch den Spalt unter dem Tor und beobachten das Geschehen nun aus dem Gebäudeinneren heraus. Die Stimmung ist mit einem Mal angespannt. Keiner der Anwesenden scheint zu wissen, was als nächstes geschieht. Einige Feuerwerkskörper fliegen von den Dächern. Es riecht nach Sprengstoff. Doch zu einer erneuten Eskalation kommt es an dieser Stelle nicht. Einige der Beamten werden an einen weiteren Einsatzort, nur etwa hundert Meter entfernt, gerufen. Ein Bagger für Abrissarbeiten steckt in dem Graben fest, der das Dorf umgibt. Mehrere Minuten versucht der Fahrer vergebens, die Maschine zu befreien, bevor er schließlich unter dem Jubel der Besetzer aufgibt. „Danke für die Barrikade“, ruft einer und die anderen lachen.

Es ist kein einheitliches Bild, was sich heute, am Tag der Räumung, unter den Aktivisten zeigt. Die Radikalen, das sind auch die lautesten. Die mit den Megafonen, die provozieren und beleidigen. Doch das gilt nicht für alle. Einer der Demonstranten etwa hat sich an einen Zaun gekettet. Jemand müsse ihn dort wohl oder übel mit einem Trennschleifer „wegflexen“, wie einer der Polizisten ankündigt. Parallel dazu unterhält sich besagter Aktivist mit einem weiteren Beamten – von Feindseligkeit ist in diesem Moment zwischen den beiden nichts zu spüren.

Eine weitere Demonstrierende ist Petra Schumann. Sie empfängt jeden, der zu einem Gespräch bereit ist, am offenen Fenster des ehemaligen Hofs von Eckardt Heukamp. Der Landwirt war der letzte offizielle Bewohner Lützeraths, bevor auch er verkaufte. Nun ist er zu einem Symbol des Widerstands geworden – deshalb hält Schumann auch sein Bild in jede Kamera. Seit 40 Jahren engagiert sie sich eigenen Aussagen nach schon für den Klimaschutz, vor allem gegen die Vorhaben der RWE. Sie sei im Grunde eine Anwohnerin, komme aus dem Nachbardorf Immerath. „Hier in dem Hof bin ich jetzt seit ein paar Tagen“, sagt die 53-Jährige. „Ich werde nicht mit Steinen werfen und wenn die Polizisten sagen geh, dann geh ich“, betont sie. Auch in Schumanns Heimatort Immerath wurden Gebäude abgerissen, unter anderem die Kirche. „Das war für viele, vor allem für katholische Menschen, sehr traumatisch“, erinnert sie sich. Jetzt sei es ihr Anliegen, etwas Vergleichbares in Lützerath zu verhindern. Immerhin kenne sie viele der ehemaligen Bewohner persönlich.

Aktuell geht es darum, die Stellung zu halten und dafür zu sorgen, dass die derzeitige Situation beibehalten wird.
Polizistin in Lützerath

„Ich habe auch ein bisschen Angst vor der Polizei“, sagt sie. Sie habe beobachtet, wie Einsatzkräfte einen Bekannten von ihr einen Hang hinuntergeschubst hätten. „Der ist schon älter, der hätte sich verletzen können“, ist sie überzeugt: „Wenn man ihn gebeten hätte, wäre er bestimmt auch so weg gegangen.“ Vor Ort aber ist in diesen Stunden von Polizeigewalt wenig zu spüren. Der ein oder andere Demonstrant wird von den Beamten weg getragen, gewaltsam geht es dabei nicht zu. Doch die Situation am Morgen zeigt, wie schnell die Stimmung kippen kann.

„Wir bleiben bis zum Schluss“, sagt eine Aktivistin, die Journalisten zu sich auf ein Verandadach einlädt. Sie gehört zu der Gruppe „Lützerath lebt“ und möchte „Indigo“ genannt werden. „Ziel ist es, die Räumung so lange wie möglich hinaus zu zögern“, erklärt sie. Ein Demonstrant sieht das ähnlich: „Ich bleibe hier, bis die mich wegtragen.“ Er gehört eigenen Aussagen nach keiner Gruppe an: „Ich hatte einfach das Gefühl, ich sollte hier sein und bin dann hergekommen.“ Der Mann sitzt auf dem Dach einer windschiefen Hütte, trinkt aus einer Thermoskanne. Für ihn heißt es jetzt: warten. Das tun auch die Polizisten: Warten auf den nächsten Befehl.

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