- Nur neun Monate vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen müssen in vielen Großstädten die Wahlbezirke neu eingeteilt werden - und zwar unter enormem Druck
- Kölns Stadtdirektor Stephan Keller sagte der Rundschau am Mittwoch: "Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit müssen wir die Wahlbezirke neu zuschneiden. Wir stehen jetzt unter Zeitdruck, das ist eine ziemlich große Herausforderung."
- Hier gibt es alle Infos zu dem Urteil.
Köln – Vier Tage vor Weihnachten hatte der NRW-Verfassungsgerichtshof Münster für Klarheit gesorgt: Die Stichwahl für Oberbürgermeister muss es weiterhin geben. Eine schallende Ohrfeige für die schwarz-gelbe Landesregierung, die die Abschaffung mit Blick auf die Kommunalwahl am 13. September 2020 festgeschrieben hatte.
In dem Richterspruch ging eine weitere Änderung unter, die wie Köln und Bonn viele kreisfreien Städte in NRW betreffen dürfte: der Zuschnitt der Wahlbezirke.
Worum geht es in der Entscheidung?
Um die Größe der Wahlbezirke. Sie müssen annähernd gleich groß sein, damit Stimmen das gleiche Gewicht haben. Eine Frage der Wahlrechtsgleichheit. Bei einer erheblichen Abweichung bräuchte ein Kandidat in einem großen Wahlbezirk erheblich mehr Stimmen für sein Mandat als ein Kandidat in einem kleinen Bezirk. Andersherum hätten die Wähler einen größeren beziehungsweise kleineren Einfluss auf die Zusammensetzung des Rates.
Was haben die Richter geurteilt?
Bislang galt laut Kommunalwahlgesetz NRW eine zulässige Abweichung der Wahlbezirke von 25 Prozent bezogen auf die durchschnittliche Einwohnerzahl (ohne Nicht-EU-Ausländer) der Wahlbezirke. Das heißt: Beträgt die durchschnittliche Größe in einem Wahlbezirk 20 000 Einwohner, darf ein Bezirk nicht mehr als 25 000 Einwohner umfassen, nicht weniger als 15 000.
Diese Grenze hat das Gericht für die Kommunalwahl aufgehoben. Die pauschale Obergrenze von 25 Prozent bezogen auf die durchschnittliche Einwohnerzahl der Wahlbezirke darf nicht ohne Weiteres angewandt werden, urteilte das Gericht am 20. Dezember. Für angemessen halten die Richter eine Abweichung bis 15 Prozent. Die ausführliche Begründung ist den Kommunen nun zugestellt worden.
Das Gericht lässt eine Hintertür auf: Eine Abweichung von mehr als 15 Prozent bei einem Wahlbezirk (bezogen auf die Einwohnerzahl) ist dann unproblematisch, wenn diese bei Berücksichtigung nur der Wahlberechtigten im Verhältnis zur durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten unter oder bei 15 Prozent liegt. Dieser Nachweis dürfte ein Kunststück sein, in der Praxis wird der Aspekt wenig Bedeutung haben. Für die OB-Wahl hat das Urteil keine Bedeutung.
Was bedeutet das mit Blick auf die Wahl?
Stress, zunächst für die Kommunen. Sie müssen die Größe ihrer Wahlbezirke überprüfen und Abweichungen zum Schnitt ermitteln. Und gegebenenfalls müssen sie den Zuschnitt ändern – neun Monate vor der Wahl. Schon bis zum 29. Februar müssen Kommunen die Bezirke ans Land melden.
Das Gericht erklärt schon mal, dass in einer Großstadt die neue Regelung umzusetzen sei, wenn es ohne Weiteres möglich ist, durch die Einbeziehung angrenzender Straßenzüge oder einzelner kleinerer Stadtquartiere zu annähernd gleich großen Wahlbezirken zu gelangen. Die Politik muss diesem Neuzuschnitt zustimmen.
Was heißt das für die Parteien?
Dass sie möglicherweise von vorne beginnen müssen, etwa in Bonn und Köln die CDU und FDP. Sie haben schon ihre Kandidaten nominiert.
Nur: Wenn es andere Wahlbezirke gibt, ist das eventuell obsolet. Es kann sein, dass das Prozedere wiederholt werden muss oder vielleicht nur in den betroffenen Wahlbezirken, das war am Mittwoch unklar. Neue Verfahren kosten die Parteien auch Geld. Dass etwa die Kölner SPD am 15. Februar ihre Kandidaten wählen kann, ist unwahrscheinlich. Kölns CDU-Parteichef Bernd Petelkau sagt: „Wir bedauern die Auswirkungen der Gerichtsentscheidung sehr, müssen sie aber respektieren.“
Was ist mit Bürgern aus Nicht-EU-Staaten?
Sie werden durch die schwarz-gelbe Änderung des Kommunalwahlgesetzes bei der statistischen Bemessung der Wahlkreise nicht mehr berücksichtigt. Die NRW-Koalition hatte dies begründet mit einer Anpassung an die Bildung der Wahlkreise für die Bundestagswahl. Auch gegen dieses Vorhaben hatte es scharfe Kritik von SPD und Grünen gegeben. Das Verfassungsgericht hatte keine Einwände.
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Im Gegensatz zu den Nicht-EU-Ausländern werden die Unter-16-Jährigen bei der Zahl der Einwohner in einem Wahlbezirk berücksichtigt (Bei der Kommunalwahl sind schon Bürger ab 16 Jahren stimmberechtigt). Die Richter sagen, dies sei verfassungsrechtlich unbedenklich, da von keiner erheblichen ungleichen Verteilung der jungen Bürger auszugehen sei. Die Kommunen haben bei der konkreten Einteilung der Wahlbezirke die Pflicht, diesen Umstand gegebenenfalls zu berücksichtigen. (Aktenzeichen: VerfGH 35/19)