Erster ATACMS-Angriff der UkraineRussen beklagen „einen der schwersten Schläge“ und drohen mit „Konsequenzen“

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Eine Einheit der 8. USArmee feuert eine Artillerie-Kurzstreckenrakete vom Typ ATACMS ab.

Das Weiße Haus bestätigte, der Ukraine ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 165 Kilometern geliefert zu haben.

Nach der ATACMS-Lieferung steigt unterdessen der Druck auf Kanzler Scholz, nun auch Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. 

Die Ukraine hat von den USA Raketen mit großer Reichweite vom Typ ATACMS erhalten und diese erstmals gegen Russland eingesetzt. Die Raketen hätten sich als „sehr genau“ erwiesen und „bewährt“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videobotschaft.

Das Weiße Haus bestätigte, der Ukraine ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 165 Kilometern geliefert zu haben. Laut der „New York Times“ handelt es sich um eine kleine Lieferung von 20 Raketen, die mit Streumunition statt konventionellen Sprengköpfen bestückt sind. Der russische Botschafter in den USA nannte die Lieferung einen „schwerwiegenden Fehler“ und drohte Konsequenzen an.

Wladimir Putin spricht von „zusätzlicher Bedrohung“

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Lieferung der US-Raketen unterdessen als „zusätzliche Bedrohung“ bezeichnet. Die USA hätten damit einen Fehler begangen, weil sie sich noch tiefer in den Konflikt in der Ukraine hineinziehen ließen und damit das Leid dort verlängerten, sagte Putin am Mittwoch bei einer im russischen Staatsfernsehen übertragenen Pressekonferenz in Peking.

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Selenskyj dankte den USA für die Lieferung: „Unsere Vereinbarungen mit Präsident (Joe) Biden werden umgesetzt.“ Der Präsident machte keine Angaben darüber, wann und wo die Raketen eingesetzt wurden. Die Ukraine hatte aber zuvor erklärt, erfolgreich russische Flugfelder in den besetzten Gebieten im Süden und Osten der Ukraine bei Berdjansk und Luhansk angegriffen und mehrere Hubschrauber zerstört zu haben. 

Russische Militärblogger sprachen in der Folge von einem der „schwersten Schläge“ seit Kriegsbeginn gegen die russische Armee. Soldaten seien bei dem Angriff getötet und Ausrüstung zerstört worden, hieß es in russischen Telegram-Kanälen am Dienstag.

USA lieferten Raketen heimlich an die Ukraine

Russischen Angaben zufolge waren bei dem Angriff auf Berdjansk bereits die von den USA gelieferten Raketen zum Einsatz gekommen. Ein von Moskau eingesetzter Beamter in dem von Russland kontrollierten Teil der Region Saporischschja, Wladimir Rogow, erklärte im Onlinedienst Telegram, dass Fragmente von ATACMS-Raketen gefunden worden seien.

Die US-Zeitung „Wall Street Journal“ berichtete, die Ukraine habe die ATACMS am Dienstag erstmals eingesetzt. Demnach hatten die USA die Raketen kürzlich „heimlich“ geliefert.

ATACMS geben Ukraine „bedeutenden Schub“

Die Ukraine drängt schon seit geraumer Zeit auf eine Lieferung von Raketen mit größerer Reichweite, um sich besser gegen den russischen Angriffskrieg zur Wehr setzen zu können. Die USA zeigten sich bei dem Thema aber äußerst zurückhaltend - so wie Deutschland bei Marschflugkörpern vom Typ Taurus. Die USA sind gegen ukrainische Angriffe auf russischem Territorium.

Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Adrienne Watson, erklärte nun, die USA hätten der Ukraine die ATACMS geliefert, damit das Land sich weiter „gegen Russlands brutalen Einmarsch verteidigen“ könne. „Wir gehen davon aus, dass diese ATACMS für die Schlachtfeld-Fähigkeiten der Ukraine einen bedeutenden Schub darstellen, ohne unsere militärische Bereitschaft zu gefährden.“

Die Raketen würden es der Ukraine erlauben, Ziele in größerer Entfernung zu treffen – und damit zu verhindern, dass die russischen Streitkräfte sich in „besetzten Gebieten“ sicher fühlen könnten, erklärte Watson weiter. ATACMS-Raketen haben je nach Typ eine Reichweite von 300 Kilometern. Das gelieferte Modell hat nach Angaben der Sprecherin eine Reichweite von 165 Kilometern.

Russland droht mit s„chwerwiegenden Folgen“

Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, bezeichnete am Mittwoch die Entscheidung Washingtons, die Ukraine mit ATACMS-Raketen zu beliefern, als „schwerwiegenden Fehler“. „Die Folgen dieses Schrittes, der der Öffentlichkeit absichtlich verheimlicht wurde, werden äußerst schwerwiegend sein“, erklärte Antonow.

US-Medienberichten zufolge hatte Biden Selenskyj im September bei einem Treffen im Weißen Haus ATACMS-Raketen zugesagt. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber damals nicht. Ein an dem Tag enthülltes neues Paket mit US-Militärhilfen enthielt keine Raketen dieses Typs.

Die Abkürzung ATACMS steht für Army Tactical Missile System. Mit der Lieferung der Raketen an die Ukraine dürfte der Druck auf die Bundesregierung wachsen, ihrerseits Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt dies bislang ab.

Taurus-Lieferung: Druck auf Olaf Scholz steigt weiter an 

Nach dem Einsatz der ATACMS-Raketen durch die Ukraine steigt nun der Druck auf den Kanzler, seine Position in der Taurus-Frage zu überdenken. CDU-Politiker Norbert Röttgen nannte Scholz’ Haltung am Mittwoch „unverantwortlich“, die Entscheidung des Kanzlers müsse „endlich korrigiert“ werden, forderte er in einem Beitrag auf X (vormals Twitter).

„Es gibt nun keinen Grund mehr, der Ukraine Taurus zu verweigern“, schrieb auch der Sicherheitsexperte Marcus Keupp.  Auch Nico Lange kritisierte das Zögern bei der Lieferung von Raketen mit größerer Reichweite an die Ukraine. „Es bleibt die Frage, warum wir nicht alle gemeinsam Waffen wie ATACMS und Taurus viel früher geliefert haben“, schrieb der Sicherheitsexperte bei X. (mit afp)

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