Wer wird Nachfolger des verstorbenen Papstes Franziskus? Läuft es auf einen der vermeintlichen Favoriten wie Piero Kardinal Parolin oder Fridolin Kardinal Ambongo Besungu hinaus? Vatikan-Experte Marco Politi über die Zerrissenheit der katholischen Kirche und die Herausforderungen im Konklave.
Vatikan-Experte Politi„Dieses Konklave ist das schwierigste in den letzten 50 Jahren“

Gleich schließen sich die Türen: Kardinäle zeihen in einer Prozession zum Konklave in die Sixtinische Kapelle – hier ein Archivfoto von 2005. Damals ging Joseph Ratzinger nach nur 26 Stunden als Papst Benedikt XVI. aus der Wahl hervor.
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Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx hat gesagt, er erwartet ein schnelles Konklave: zwei, drei Tage. Was meinen Sie?
Die Erwartung, es gebe ein schnelles Konklave, ist jetzt, kurz vor Beginn, weniger groß geworden. Es gibt so viele Kardinäle, die sich bisher nicht gekannt haben, die zu Wort kommen wollen, die Zeit brauchen, um sich zu orientieren. Niemand kann voraussagen, wie lange das Konklave dauern wird. Aber die Idee, dass sich schon am ersten Tag ein starker Kandidat abzeichnet, auf den es dann hinausläuft, wird inzwischen weniger oft geteilt.

Marco Politi, Jahrgang 1947, ist einer der renommiertesten Vatikan-Experten. 20 Jahre lang schrieb er er für die italienische Tageszeitung „La Rebubblica“, dann für den „Fatto Quotidiano“. Er ist Autor zahlreicher Bücher über Päpste und die katholische Kirche, zuletzt: „Der Unvollendete. Franziskus' Erbe und der Kampf um seine Nachfolge“ (Herder Verlag 2025).
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War das früher anders? Auch nach dem Tod von Johannes Paul II. kamen zum Beiypiel Kardinäle zusammen, die in ihrer großen Mehrheit keinerlei Konklave-Erfahrung hatten. Trotzdem ging es sehr schnell.
Dieses Konklave ist das schwierigste in den letzten 50 Jahren. Es ist das erste Mal, dass die Kirche so zersplittert ist. Papst Franziskus hat zwei Tage vor seinem Tod sehr klar in den Meditationen für den Kreuzweg am Karfreitag geschrieben: Das Gewand der Kirche ist zerrissen. Die Jünger sind gespalten. Herr, gib Einheit und Friede. Das war eine dramatische Äußerung. In den letzten zehn Jahren hatten die Ultrakonservativen eine Art Bürgerkrieg entfacht. Sie waren gegen Franziskus – wegen der Kommunion für die Wiederverheirateten, wegen der Diskussion über das Diakonat der Frauen, wegen des Stimmrechts, das Franziskus Laien und gerade auch Frauen auf der Weltsynode gegeben hat – zum ersten Mal seit 700 Jahren. Die Ultrakonservativen waren auch empört, dass Franziskus den Homosexuellen sozusagen Bürgerrecht in der Kirche gegeben hat. Im Konklave werden große Unterschiede zutage treten, Konflikte, aber auch kulturelle und soziokulturelle Differenzen. Hier die Linie des synodalen Weges in Deutschland, da die afrikanischen Bischofskonferenzen, die sagen, man könne keine homosexuellen Paare segnen.
Auf wen könnte man sich dann einigen? Am Ende braucht man ja eine Zweidrittelmehrheit.
Die Kardinäle sagen oft, dass sie jemanden suchen, der alles wieder zusammennäht, so wie man ein zerrissenes Tuch wieder zusammennäht. Also einen Vermittler. Und er muss den Menschen nahe sein, sozusagen den Elan von Franziskus haben. Das ist keine einfache Wahl: Der neue Papst muss alles zusammenhalten, auf den von Franziskus hinterlassenen Baustellen weiterarbeiten und vielleicht auch die von Franziskus gebrachten Neuerungen ordnen.
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Viele Beobachter trauen dem bisherigen Kardinal-Staatssekretär Piero Parolin so etwas zu.
Ja, Kardinal Parolin ist eine Figur ersten Ranges. Sehr sensibel, sehr intellektuell, ein Diplomat, der auch die Maschinerie der Kirche sehr gut kennt. Das ist wichtig in einem Moment, wo man alles wieder ins Gleichgewicht bringen muss. Aber er muss auf 89 Stimmen kommen, 89 von 133. Das ist eine steile Wand. Andererseits haben die Konservativen keine eigene Leitfigur, die ausreichend Stimmen auf sich vereinen können. Sie müssten jemanden suchen, der sich zwar stärker am traditionellen Lehramt orientiert, aber moderat auftritt. Zum Beispiel Kardinal Pierbattista Pizzaballa, den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, ein offener und warmherziger Mann, eine ganz starke Persönlichkeit mit Erfahrungen aus einem Krisenzentrum. So jemanden könnten Leute der Mitte ebenso wählen wie Konservative, die jemanden suchen, der nicht so offen reformorientiert ist.
Wie sind die vielen Kardinäle aus dem sogenannten Süden einzuschätzen, die Franziskus ernannt hat?
Man kann bestimmt nicht davon ausgehen, dass sie alle auf seiner Linie liegen. Es sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Franziskus hat viele ausgesucht, weil sie gute Seelsorger sind, sich für die Armen engagieren, in ihrer Gemeinschaft sehr aktiv sind. Das heißt noch lange nicht, dass sie auf seiner theologischen Linie waren – und vor allem: Wenn ein Papst tot ist, sind sie wie Kinder, die ihren Vater verloren haben. Nun muss jeder von ihnen mit seinem eigenen Kopf entscheiden. Es gibt im globalen Süden viel an Farbe, viel an Dynamik, da reiht man sich nicht einfach in die Vorschläge ein, die aus dem Norden kommen. Wenn die Türen zu sind im Konklave, kann es große Überraschungen geben. Dann können Namen auftauchen, an die noch keiner gedacht hat oder die zumindest niemand öffentlich genannt hat.
Sie hatten eben schon über die Haltung afrikanischer Bischöfe gesprochen, die sich bei der Segnung Homosexueller gegen den Papst gestellt haben. Normalerweise würde man sagen, auch das ist für sie nicht günstig, denn die Kirche mag keine offenen Brüche, oder?
Richtig, dass sich das sogenannte Symposium der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar unter Leitung von Kardinal Fridolin Ambongo Besungu so offiziell gegen die Segnung homosexueller Paare gestellt hat, das ist sicher nicht hilfreich zum Beispiel für eine Kandidatur dieses Kardinals Ambongo selbst, auch wenn er eine sehr einflussreiche Persönlichkeit ist. Aber Afrika hat viele Facetten. Es gibt ja auch den Norden. Zwei Persönlichkeiten verdienen besondere Aufmerksamkeit: Kardinal Jean-Paul Vesco aus Algier und Kardinal Cristobál López Romero aus Rabat in Marokko. Vesco ist Franzose, Romero Spanier, aber ihre Bischofssitze liegen in Afrika. Sie könnten eine Brücke bauen, so wie Jorge Mario Bergoglio, ein Argentinier mit italienischen Wurzeln, Lateinamerika und Italien verbunden hat.
Kardinal Marx hat sich gegen die Bezeichnung Königsmacher für seine Person gewehrt. Aber sind so erfahrene und international vernetzte Kardinäle auf dem Konklave nicht wirklich sehr wichtig?
Kardinal Mars ist sehr wichtig, denn es geht ja nicht nur um eine Person, sondern auch um ein Programm, wie bei einer Koalitionsbildung. Und Marx ist wie andere der Meinung, dass der Papst kein Alleingänger sein sollte, sondern das Kardinalskollegium regelmäßig konsultieren muss, denn es spiegelt ja gerade den Reichtum und die Vielfalt der Weltkirche. Ähnlich sieht das zum Beispiel Kurienkardinal Fernando Filoni, der sagt, dass man mit dem Geist der Kollegialität arbeiten muss. Oder Kardinal Marcello Semeraro, Präfekt des Dikasteriums für Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Er meint, wir brauchen keinen Solisten, sondern so jemanden wie den Dirigenten eines Orchesters. Franziskus hat dagegen oft allein, man könnte sagen: autokratisch entschieden, weil er ja wusste, dass er die Mehrheit der Kirchenhierarchie nicht hinter sich hatte.
Sie hatten eben ja solche Entscheidungen erwähnt, etwa hinsichtlich der Rechte von Frauen in der Kirche. Ist es eigentlich denkbar, dass Frauen in Zukunft auch bei der Papstwahl Einfluss haben? Dass also nicht mehr nur Junggesellen gesetzten Alters wählen dürfen?
Vor der letzten Papstwahl gab es den sehr interessanten Vorschlag in der Jesuitenzeitschrift „America“, dass eine Delegation von Laien, Männern wie Frauen, zumindest im Vorkonklave mitwirken könnte. Franziskus hat ja noch vom Krankenbett in der Gemelli-Klinik aus angeordnet, dass die Kirche jetzt auf allen Ebenen, von der Pfarrei bis zu den Bischofskonferenzen ganzer Kontinente, daran arbeiten soll, die Prinzipien des letzten Dokuments der Weltsynode in die Tat umzusetzen. Also funktionierende Mitbestimmungsgremien wie Pastoral- und Diözesanräte überall. Zweitens, Frauen in leitenden Positionen, und zwar weltweit. Und drittens: Das Prinzip der Accountability, der Rechenschaftspflicht, soll sozusagen tägliches Brot werden. Dann kann ein Bischof nicht mehr wie ein Fürst regieren, sondern alle fünf bis sechs Jahre setzen sich alles zusammen, Bischof, Geistliche, Ordensleute, Laien, Frauen und Männer, und fragen sich, was hat unserer Mission gutgetan und was nicht, was müssen wir korrigieren? Das hat Franziskus hinterlassen. Aber wir müssen jetzt abwarten: Wie wird der neue Papst mit dem Vermächtnis der Weltsynode umgehen? Lässt er es blühen, legt er es weg?