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Neue Forschung lässt Blinden sehenWas in der Augenmedizin mittlerweile möglich ist

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Blinde sehend zu machen ist ein uralter Menschheitstraum. Einiges ist bereits möglich.

Köln – Die Nachricht klingt beinahe biblisch: Neue Methode lässt Blinden teilweise wieder sehen. Den beiden Forschern José-Alain Sahel und Botond Roska ist es gelungen, einem Patienten durch sogenannte Optogenetik ein kleines Stück Augenlicht zurückzugeben. Zuvor vollkommen blind, berichtete der Mann nach der Behandlung, er könne einen Zebrastreifen wieder erkennen. Die Nachricht lässt aufhorchen. Der Verlust des Augenlichts gehört zu den tiefsten Ängsten von vielen Menschen. Denn das Sehen ist unser wichtigster Sinn, rund 80 Prozent unserer Umweltinformationen liefert das Auge an das Gehirn. Was die neueste Forschung bedeutet. Und welche Möglichkeiten in der modernen Augenmedizin bereits etabliert sind.

In Deutschland ist es mittlerweile tatsächlich möglich, die ehemals häufigsten Ursachen für Blindheit zu behandeln. Eine der Methoden dahinter klingt zunächst ziemlich unspektakulär: Die Brille und Kontaktlinsen. Doch so normal sie hierzulande scheinen, so fundamental sind in Wahrheit der Fortschritt und die Verbesserung der Lebensqualität im Leben von Millionen von Menschen durch die Sehhilfen. Denn in einigen Regionen der Welt ist die unkorrigierte Fehlsichtigkeit noch immer eine der häufigsten Ursachen für die Erblindung.

Auch darüber hinaus hat es in den letzten Jahrzehnten in der Augenheilkunde einige beeindruckende Entwicklungen gegeben, sagt Professor Claus Cursiefen, Direktor der Augenklinik am Universitätsklinikum Köln und Generalsekretär der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG): „Aufgrund der wirklich guten Fortschritte in der Augenmedizin, vor allem in den letzten 30 Jahren, können wir einem sehr großen Teil der Patienten, die mit Augenproblemen kommen, helfen, das Sehen zu erhalten oder zu verbessern.“ 

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Ein Quantensprung für Patienten

Ein gutes Beispiel für die rasenden Fortschritte im Bereich der Augenmedizin ist die Entwicklung der Hornhauttransplantation. Die Hornhaut wird seit mittlerweile über 100 Jahren transplantiert und ist bis heute die häufigste Form der Transplantation. „Fast 100 Jahre haben wir immer genau das gleiche gemacht und die ganze Hornhaut ausgetauscht, bis wir vor ungefähr zehn Jahren gelernt haben, dass man das gar nicht braucht“, erklärt Cursiefen. „Denn man kann auch ganz gezielt nur einzelne Schichten der Hornhaut austauschen. Also immer nur die Schicht, die erkrankt ist: Die äußere, die mittlere oder die innere Schicht.“ Das habe nicht nur die Geschwindigkeit des Heilungsprozesses enorm verbessert, sondern auch den Grad der wiedererlangten Sehfähigkeit erhöht. „Das ist eine richtige Revolution gewesen. Und für die Patienten ein richtiger Quantensprung.“

Und noch ein Beispiel: Die weltweit häufigste Ursache für eine Erblindung ist der Graue Star. Doch auch vor der schleichenden Trübung der Netzhaut muss in Deutschland kaum noch jemand Angst haben. „Schon seit den 70er-Jahren ist die Behandlung hier so standardisiert, dass man fast jeden Patienten mit einem Grauen Star gut operieren kann – man kann eine Kunstlinse einsetzen und er kann wieder fast so gut sehen, wie als junger Mensch,“ so Cursiefen.

Der Grüne Star ist noch nicht heilbar

Doch allem Fortschritt zum Trotz: Noch immer gibt es viele Menschen, die erblindet sind oder Angst davor haben müssen, ihr Augenlicht zu verlieren. „Die Patienten, denen man noch nicht so gut helfen kann, lassen sich in zwei große Gruppen einteilen“, erklärt  Augenmediziner Cursiefen. „Das sind zum einen altersbezogene Erkrankungen, das ist ein sehr großer Bereich. Und dann gibt es einen zweiten, eher kleinen Bereich: Angeborene Dystrophien.“ Genetisch bedingte Augenerkrankungen also, die besonders im Bereich der Netzhaut vorkommen.

In der Gruppe der altersbezogenen Erkrankungen gehört neben der Altersbedingten Makuladegeneration (AMD) vor allem der Grüne Star bis heute zu den häufigsten Ursachen für Sehbinderungen in Deutschland. Beim Grünen Star, von Medizinern auch als Glaukom bezeichnet, handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung. Das bedeutet, der Sehnerv und seine Nervenfasern werden nach und nach geschädigt. Im schlimmsten Fall schreitet die Zerstörung des Nervengewebes so weit fort, dass der Sehnerv abstirbt und keine Seheindrücke mehr an das Gehirn weitergeleitet werden können. Die Folge ist völlige Blindheit. Die Erkrankung kommt meist in Verbindung mit einem erhöhten Augendruck vor, kann aber auch unabhängig davon vorliegen.

„Es gibt zwar ganz verschiedene Therapien, neuerdings auch viele minimalinvasive Operationsverfahren, jedoch noch keine richtig optimale“, sagt Augenmediziner Cursiefen. An einem neuen Ansatz arbeitet eine Forschungsgruppe von der Deutschen Forschungsgesellschaft an der Kölner Augenklinik: Der sogenannten Neuroprotektion. „Neuroprotektion heißt, man versucht geschwächtes Nervengewebe zu stabilisieren, damit die Nervenfasern nicht absterben“, erklärt Cursiefen. Wichtig sei aber auch ein genaueres Verständnis, denn man wisse noch nicht genau, was die Nervenfasern eigentlich kaputt mache: Der Druck oder andere Faktoren? „Da gibt es noch eine Menge zu erforschen“, betont der Augenmediziner.

Optogenetik: Kann sie Retinitis pigmentosa heilen?

Viel Forschung findet auch im Bereich der angeborenen Augenerkrankungen statt. Zu der Gruppe gehört unter anderem die Retinitis pigmentosa. Die Erkrankung führt zum Absterben der Sehzellen in der Netzhaut, der sogenannten Photorezeptorzellen. Im Endstadium erblinden Erkrankte vollständig, eine Heilung gibt es bislang nicht. Aber erste kleine Schritte dorthin.

Bereits seit einigen Jahren gibt es die Möglichkeit, Netzhaut-Implantate operativ auf die Retina zu setzen. Doch die Sehverbesserung ist bislang nur marginal. Für vielversprechender hält der Kölner Augenmediziner Cursiefen die Gen- und Zelltherapie. „Dort versucht man, die Defekte in den Zellen erstmal zu verstehen und dann so frühzeitig zu verändern, dass es erst gar nicht zu den Folgeschäden im Zellverband kommt“, erklärt er. Auf diese Weise könne man wahrscheinlich eine deutlich bessere Sehfunktion erhalten oder sogar wiederherstellen. Doch auch diese Technik befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. In den USA gebe es aber eine erste zugelassene Gentherapie, berichtet der Augenmediziner, „auch für eine seltene Netzhautdystrophie im Kindesalter. Das funktioniert, aber auch da muss man leider sagen, dass die Sehverbesserung im Moment noch sehr bescheiden ist.“

Hintergrund: Optogenetik

Bei der Optogenetik handelt es sich um eine Mischung aus optischer Technologie und Genetik, die es Forschenden erlaubt, mithilfe von Licht die Aktivität von Nervenzellen zu kontrollieren.

Dafür werden lichtempfindliche Proteine künstlich in die Gene eingebracht. Durch bestimmte Lichtimpulse können diese Proteine anschließend aktiviert und wieder inaktiviert werden. So sollen Prozesse künstlich gesteuert werden können.

Vor allem dient die Methode aber auch als Forschungsinstrument, um in Tierversuchen die Aufgaben verschiedener Neuronen zu verstehen. Dieses Verständnis könnte auch der Behandlung von neuropsychiatrischen Erkrankungen zugute kommen. (rel)

Einen völlig neuen Ansatz haben nun der Augenarzt Sahel von der Universität Pittsburgh in den USA und der Neurowissenschaftler Roska von der Universität Basel im Rahmen der Optogenetik entwickelt. Dafür verändern sie bestimmte Zellen der Netzhaut, Ganglienzellen, genetisch und statten sie mit lichtempfindlichen Proteinen aus. Die Proteine, beziehungsweise den Bauplan für die lichtempfindlichen Eiweiße, injizieren sie mithilfe von harmlosen Viren in die Zellen der Netzhaut. In den Ganglienzellen wird dann mithilfe der Anleitung das Protein gebildet, sodass die Zellen wieder Licht einer bestimmten Wellenlänge wahrnehmen können. Dieses Licht wird dann durch eine spezielle Brille von außen auf die geschädigte Netzhaut geleitet: Mithilfe einer Kamera wandelt die Brille die Bilder der Umwelt in Lichtimpulse mit der richtigen Wellenlänge um, und projiziert sie dann auf die Retina.

In der Theorie sollte dann die optische Wahrnehmung wieder möglich sein. Und tatsächlich: Ein 58-jähriger Proband der beiden Forscher, an Retinitis pigmentosa erkrankt und seit 40 Jahren blind, berichtete im Verlauf der Studie nach sieben Monaten des Trainings, er könne Gegenstände vor sich auf dem Tisch erkennen. Und einen Zebrastreifen auf der Straße.

„Das ist ein ganz cleveres Modell“, sagt der Kölner Augenmediziner Cursiefen. Und fügt hinzu: „Wobei, wie man leider dazu sagen muss, dass nur ein ganz kleiner Teil von Patienten davon betroffen ist, und die Sehverbesserung wirklich sehr rudimentär ist. Jemand, der sich zuvor in einem dunklen Raum gar nicht orientieren konnte, kann jetzt vielleicht die Tür wieder erahnen.“ Etwas Licht im Dunkel also immerhin. Weiße Streifen auf dunklem Untergrund. 

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