Rundschau-Debatte des TagesWie jung darf man sein, um zur Wahl zu gehen?

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Eine Frau wirft ihren Stimmzettel für die Oberbürgermeisterwahl in die Wahlurne.

Dürfen 2027 auch Personen ab 16 Jahren wählen gehen? (Symbolbild)

In NRW rückt eine Absenkung des Wahlalters näher: Bei der Landtagswahl 2027 sollen erstmals 16- und 17-Jährige abstimmen dürfen. Als Testlauf für das Projekt, das besonders in der CDU weiter umstritten ist, gilt die Europawahl am 9. Juni.

Die Pläne der schwarz-grünen Regierungskoalition, bereits 16-Jährige an der nächsten Landtagswahl 2027 teilnehmen zu lassen, nehmen Gestalt an. „Wir bereiten aktuell eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in der Landesverfassung vor“, bestätigte Grünen-Landtagsfraktionschefin Verena Schäffer auf Anfrage unserer Redaktion.

Studien zeigten, dass junge Menschen eine überdurchschnittlich positive Einstellung zur Demokratie hätten und sich einbringen wollten. „Mir macht die starke demokratische Haltung junger Menschen Mut in einer Zeit, in der rechtsextreme und antidemokratische Kräfte Hass und Hetze verbreiten und weltweit an Zustimmung gewinnen“, so Schäffer weiter.

Verfassungsänderung erforderlich

Für die Absenkung des Wahlalters muss die NRW-Verfassung mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Deshalb ist Schwarz-Grün auf die Opposition aus SPD und FDP angewiesen, die schon länger Offenheit signalisieren für die Teilnahme von 16-Jährigen auch an Landtagswahlen. Mutmaßlich wird die Landesverfassung im Zuge der überparteilichen Gespräche insgesamt behutsam reformiert.

Als eine Art Testlauf gilt die Europawahl am 9. Juni, bei der ebenfalls zum ersten Mal schon 16-Jährige zugelassen sind. In Düsseldorf scheint es aber inzwischen eine gewisse Unsicherheit zu geben, ob das wirklich schon allen Erstwählern, die in der Regel zurzeit die 10. Klasse besuchen, überhaupt bewusst ist. Ein Rätsel bleibt auch, wie es um deren politische Bildung und Informationsquellen bestellt ist. Es geht in NRW immerhin um eine rund 350000 Personen umfassende neue Zielgruppe.

Verlässliche Infos in Sozialen Medien

In einem gemeinsamen Landtagsantrag haben in der vergangenen Woche CDU, Grüne, SPD und FDP die Landeszentrale für politische Bildung beauftragt, „verstärkt auch Informationsangebote zur Europawahl in sozialen Medien bereitzustellen, die auf die jeweilige Plattform und Zielgruppen zugeschnitten sind“. Die im Wissenschaftsministerium angesiedelte Institution werde aufgerufen, eine „Zusammenarbeit mit reichweitenstarken demokratischen Akteurinnen und Akteuren in Sozialen Medien zu prüfen“.

Studien zufolge prägen die Einstellung der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren vor allem Instagram, Snapchat und Tiktok, deren Algorithmen nicht immer die seriösesten politischen Informationen auf die Smartphones zaubern. „Wir werden das Netz nicht den Rechtsextremen und Verschwörungsideologen überlassen, sondern das Angebot der Landeszentale für politische Bildung in den sozialen Medien ausbauen“, kündigte Schäffer an.

Grünes Herzensprojekt, schwarze Skepsis

Für die Grünen ist die Absenkung des Wahlalters bei Europa- und Landtagswahlen der Ertrag jahrelanger Bemühungen, die bereits in den 90er Jahren auf Kommunalebene in Niedersachsen begonnen hatten. Dahinter steckte immer auch die strategische Hoffnung, dass politisierte junge Leute eher der Öko-Partei zuneigten als anderen politischen Kräften. Die gesellschaftlichen Fliehkräfte einer radikal veränderten digitalen Öffentlichkeit wurden indes lange unterschätzt.

Die NRW-CDU hatte eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen lange brüsk abgelehnt. Volle Geschäftsfähigkeit, Wählbarkeit und Wahlmündigkeit dürften bei landes- und bundesweiten Abstimmungen nicht auseinanderfallen, hieß es immerzu. Das Königsrecht der Demokratie sei ein Recht der Erwachsenen und setze Reife voraus. Bei der letzten Reform der Landesverfassung 2016 signalisierte der damalige CDU-Chef Armin Laschet zwar zunächst Entgegenkommen, konnte sich am Ende aber doch nicht mit der rot-grünen Regierungsmehrheit auf ein Änderungspaket inklusive Wahlalter-Absenkung einigen.

Lange Erfahrung bei Kommunalwahlen

Auf Stadt- und Kreisebene dürfen 16-Jährige in NRW bereits seit 1999 mitwählen. Auch das hatte die CDU zunächst nur halbherzig unterstützt. Vor 25 Jahren brachte Jürgen Rüttgers, der damalige Landesvorsitzende und Mentor des heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, die Idee auf, man solle das Wahlalter wieder heraufsetzen, sofern die Jugendlichen ein zu geringes Interesse am Urnengang zeigten. Dazu kam es bekanntlich nicht.

Wüst ließ sich im Sommer 2022 bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen sogar die Absenkung des Wahlalters zur nächsten Landtagswahl 2027 überraschend leicht abhandeln. Dahinter steckte wohl nicht nur Wüsts Ansatz, sich nie an Fronten zu verkämpfen, die sich auf Dauer mutmaßlich ohnehin nicht halten lassen. Der Ministerpräsident, der selbst schon mit 15 politisiert wurde, legt einen besonderen Fokus auf die Belange von Kindern und Jugendlichen. Zudem ist ihm nicht entgangen, dass an der letzten Landtagswahl so wenige Menschen teilgenommen haben wie noch nie. Eine Frischzellenkur für die Demokratie durch eine frühere Beschäftigung von Schülern mit Wahlen kann also nicht schaden.

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