Annette und Albert Söhngen aus Alfter ersteigerten 2022 ein original Bühnenoutfit von Alice Kessler, das sie jetzt nach dem Tod der Zwillinge besonders in Ehren halten.
Alfterer ersteigern BühnenoutfitFarbenfrohe Erinnerung an die Kessler-Zwillinge

Annette Söhngen mit dem Kleid von Alice Kessler.
Copyright: Frank Engel-Strebel
„Unser Haus atmet Geschichte“, meint Albert Söhngen und sagt dies mit einem leicht verschmitzten Unterton. Doch an diesem Satz ist durchaus etwas dran, denn seine Frau Annette und er leben schließlich in einem besonderen historischen Gemäuer, dem alten Witterschlicker Bahnhof. 2004 hatten sie das Gebäude gekauft, umgebaut und renoviert, zudem ließen sie den ehemaligen Güterschuppen umbauen wo sich seit 2009 Liebespaare das Jawort geben können, denn dort befindet sich eine Außenstelle des Alfterer Standesamtes. In ihrem Kleiderschrank hütet Annette Söhngen auch noch einen besonderen Schatz: Ein aufwendig besticktes Galakleid, das die im November zusammen mit ihrer Zwillingsschwester verstorbene Alice Kessler einst getragen hatte, unter anderem bei einer TV-Show mit dem italienischen Filmschauspieler Marcello Mastroianni sowie in einer Show des legendären österreichischen Entertainers Peter Alexander.

Verwechslungsgefahr gebannt: das eingenähte Namensschildchen.
Copyright: Frank Engel-Strebel
Angefertigt wurde die auffällige, orange-cremefarbene Robe Anfang der 1970er Jahre im Salon Gisela in der Briennerstraße 5 in München, davon zeugt ein eingenähtes Etikett. Doch wie gelangt ein original Galakleid der legendären Tänzerin und Sängerin Alice Kessler in Annette Söhngens Kleiderschrank? Und was hat dies mit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 zu tun?
Erlös für den Wiederaufbau
Die Geschichte begann in der zweiten Oktoberhälfte 2022. Alice und Ellen Kessler ließen über das renommierte Münchener Auktionshaus Neumeister mehr als 50 ihrer faszinierenden Showkostüme, die sie im Lauf ihrer jahrzehntelangen Karriere getragen hatten, versteigern. Der Erlös sollte den Flutopfern im Ahrtal zugutekommen. In einem Interview mit der Autorin Katja Kraft, das im Katalog des Auktionshauses erschien, schilderte Ellen Kessler, was sie zu diesem Schritt bewegt habe: „Das ist uns wirklich nahegegangen. 184 Tote! Ein Unglück, das man sich in einem so reichen Land wie Deutschland nicht hätte vorstellen können.“ Ihre Schwester Alice ergänzte: „Durch den Ukraine-Krieg und die Pandemie ist das Ahrtal etwas in Vergessenheit geraten. Wir möchten das mit der Auktion wieder ein bisschen ins Bewusstsein rücken.“ Der Erlös sollte unter anderem in den Wiederaufbau des Kurhauses von Bad Neuenahr fließen.
Alles zum Thema Ahrtal
- Alfterer ersteigern Bühnenoutfit Farbenfrohe Erinnerung an die Kessler-Zwillinge
- „Hochwasser-Papst“ Experte aus Köln erklärt die wichtigsten Maßnahmen gegen Hochwasser
- Gastro im Rheinland In diesen 5 Lokalen gibt es leckeres Wild auf die Gabel
- Getrennte Abfuhr Der Kreis Euskirchen erweitert sein Sperrmüll-Projekt
- Von Aachen bis Lindlar Diese Weihnachtsmärkte in der Region um Köln bezaubern
- Belgiens vergessene Kunstrevolution Arp Museum zeigt Schätze aus Antwerpen
- Gedenken mit vollem Namen Kerze für Opfer der Flut 2021 werden in Swisttal entzündet
Zudem erklärten die Schwestern, dass sie nicht mehr auftreten werden und daher ihre Bühnenoutfits ungenutzt und ungesehenen in ihren Schränken hingen. Durch die Versteigerung bekämen sie wieder einen Sinn und fänden ein Publikum. Kraft fragte die Zwillinge auch, wer denn die Kostüme tragen solle: „Wer es will“, antwortete Ellen Kessler. Vielleicht seien einige für ein Museum interessant oder sogar für „Zwillings-Influencerinnen“. Oder eben für Annette Söhngen. Inklusive Gebühren ließen sich die Eheleute das Kleid von Alice Kessler 520 Euro kosten.
In Seidenpapier verpackt
Vor Ort in München waren die beiden nicht, die edlen Stoffe wurden über eine Online-Auktion versteigert. Die neue Besitzerin erinnert sich noch an den Tag, als die wertvolle Lieferung in Witterschlick ankam: „Das Kleid war aufwendig mit Seidenpapier verpackt, es war alles sehr edel.“ Tatsächlich wollte sie das Outfit selbst tragen, gerne bei Tanzveranstaltungen, denn sie und ihr Mann Albert machen schon seit längerem einen Tanzkurs. Nur leider passt ihr das Kleid nicht: „Ich bin ja schon sehr schlank, aber Alice muss dann doch noch viel schlanker gewesen sein, heute würde man vermutlich von der Größe XS sprechen“, bedauert die 61-Jährige.
Mit dem aufwendig bestickten Teil wäre Annette Söhngen gewiss der Hingucker auf jeder Party gewesen. Im Auktionskatalog ist nachzulesen, dass es sich um ein orangefarbenes ärmelloses Oberteil, bestickt mit creme- und orangefarbenen Blüten mit Strass handelt, mit einem plissierten Rock aus Seidenchiffon. Sie ließ sich sogar von einer Profi-Schneiderin beraten, die auch Outfits für Promis bearbeitet, ob es vielleicht möglich sei, das Kleid ein wenig weiter zu machen. Doch das sei nicht möglich gewesen, dafür war es zu aufwändig genäht worden, maßgeschneidert für Alice Kessler. „Ich bedauere das schon, es wäre genau mein Stil gewesen. So ein Glamour-Kleid ist schon etwas Besonderes“, meint Annette Söhngen.

Kräftige Farbe, leichter Stoff, perfekt zum Tanzen.
Copyright: Frank Engel-Strebel
Denn wer weiß, mit welchen weltberühmten Showgrößen Alice Kessler in diesem Outfit noch auf der Bühne stand? Schließlich teilten sich die Zwillinge seinerzeit die Showbühnen mit Legenden wie Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr. oder Harry Belafonte. Einige der mehr als 50 Kleidungsstücke vornehmlich aus den 1950er bis 1980er Jahren, die versteigert wurden, stammten auch aus den legendären Las Vegas-Shows der Kesslers oder aus der Zeit, als sie in den 1980ern häufig im Pariser Lido aufgetreten waren. Die Schätzpreise pro Kostüm setzte das Auktionshaus Neumeister zwischen 300 und 2000 Euro an, sie waren von den besten Couturiers ihrer Zeit für Alice und Ellen Kessler handgefertigt worden und mussten auch sehr strapazierfähig sein: „In einem Bühnenkostüm muss man sich bewegen können, es darf nichts stören und es sollte perfekt sitzen“, sagte Ellen Kessler dem Auktionshaus. Ihre Schwester Alice sprach gar von einer „zweiten Haut“.
Leidenschaft für Auktionen
Nach dem begleiteten Suizid der Kessler-Zwillinge im November erfuhr dieses vor drei Jahren ersteigerte Kleid noch einmal neuen Wert für Albert und Annette Söhngen: „Ihr Tod hat uns natürlich sehr berührt und traurig gemacht, um so mehr werden wir ihr Kleid nun in Ehren halten.“ Dass dieses Kleid überhaupt den Weg nach Witterschlick fand, liegt übrigens an Albert Söhngens großer Leidenschaft für Auktionen besonderer historischer Liebhaberstücke. Bereits vor 40 Jahren, 1982, als der heute 66-Jährige gerade einmal Mitte 20 war, ersteigerte der pensionierte Bahnbeamte ein historisches Biedermeier-Sofa. Das soll Viktoria Luise von Preußen, der einzigen Tochter des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. und seiner Frau Auguste Viktoria, gehört haben. Heute steht es neu bezogen im Hause Söhngen. Der Preis damals: 3000 D-Mark. Auch ein Original-Sakko des legendären Modeschöpfers Karl Lagerfeld (2019 verstorben) konnte Albert Söhngen für eine fünfstellige Summe im Auktionshaus Sotheby's im Palais Oppenheim in Köln ergattern. Im vergangenen Jahr ersteigerte er eine Flasche eines raren Kabinettweins, ein Riesling vom Rüdesheimer Berg Rottland, Jahrgang 1938, für exakt 776,75 Euro. Somit weht tatsächlich ein Hauch von Geschichte im Haus der Familie Söhngen. Doch was geschieht nun mit Annette Söhngens Kleid von Alice Kessler, wenn sie es nicht selbst trägt? „Ich werde es erst einmal in Ehren halten.“ Und irgendwann wird es vielleicht vererbt, denn die Söhngens haben zwei Enkelsöhne und drei Enkeltöchter: „Vielleicht passt es ja einmal einer unserer drei Enkelinnen.“

