Ein 58-Jähriger ist nach sechs Monaten in der Psychiatrie auf freiem Fuß. Womöglich war bei den Taten seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben.
Freispruch am LandgerichtKrankhaft eifersüchtiger Euskirchener würgte Frau und Tochter

Am Landgericht Bonn musste sich ein Angeklagter aus Euskirchen verantworten.
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Im Frühsommer 2024 reiste ein Lkw-Fahrer, der 1996 aus Russland nach Euskirchen übergesiedelt war, in seine Heimat, um dort Verwandte und das Grab seiner Eltern zu besuchen. So, wie er es auch viele Jahre zuvor gemacht hatte. Für die tagelange Rückfahrt gaben ihm Freunde ein paar Pillen mit, „damit er unterwegs wach bleibt“.
Er blieb auf den Straßen zwar wach, doch zu Hause sei er plötzlich „komisch“ geworden, hieß es jetzt am Bonner Landgericht, wo sich der 58-Jährige wegen sieben Straftaten verantworten musste. Sie reichten von gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung bis hin zu einem verbotenen Autorennen. Am Ende wurde er freigesprochen.
Der Euskirchener verdächtigte seine Frau, einen Liebhaber zu haben
Der Kraftfahrer, der mehr als 30 Jahre ein tadelloser Familienvater gewesen war, hatte seine Ehefrau plötzlich verdächtigt, einen Liebhaber zu haben. Er steigerte sich so in diesen Wahn, dass er in der Wohnung Wanzen einbaute. Auf der Anlage glaubte er Sexgeräusche zu hören, die er seiner Frau andichtete. Als einmal ein Werbeflyer eines Hotels im Briefkasten lag, hielt er ihr vor, sich dort mit dem Liebhaber getroffen zu haben.
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Am 23. Juni warf er ihr in Gegenwart der gemeinsamen, 35 Jahre alten Tochter vor, ihn zu betrügen. Als beide Frauen das abstritten, würgte er sein Kind, bis die Mutter rettend einschritt. Kaum war die 35-Jährige gegangen, verlangte er von der Gattin erneut den Namen des vermeintlichen Liebhabers. Als sie sich weigerte zu antworten, griff der 58-Jährige nach Erkenntnissen des Gerichts nach einem Bademantelgürtel und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit.
Die Frau zeigte ihren Ehemann an, um ihm ärztliche Hilfe zu ermöglichen
Im Oktober hatte er einen erneuten Wahnschub: Er rief seine Frau an und verlangte von ihr, das Handy auf Videofunktion zu schalten und sich in ihrem Raum umzudrehen, damit er sehen könne, ob der Nebenbuhler anwesend sei. Da entschloss sie sich, ihren Mann anzuzeigen, damit ihm ärztlich geholfen werde.
Die Polizei sprach ein Wohnungsverbot aus. Er aber kehrte am 9. Oktober zurück, bewaffnet mit zwei Messern und einer Brechstange, und verfolgte schreiend seine Frau. Erst der 33-jährige Sohn konnte ihn beruhigen. Das Amtsgericht Euskirchen wies den Vater umgehend bis zum 6. November in die geschlossene Abteilung des Marien-Hospitals ein, doch am Tag nach seiner Entlassung lauerte er gegen 22 Uhr der Ehefrau an ihrer Arbeitsstelle auf. Erst brauste er mit seinem Auto auf sie zu, stoppte abrupt, riss danach die Pkw-Tür einer Kollegin auf, die er anbrüllte, sie habe seine Frau geküsst. In dem Moment fuhr diese davon. Er setzte ihr nach, verfolgt von der inzwischen alarmierten Polizei.
Der Mann fuhr mit Tempo 150 an Passanten vorbei
Der Mann raste mit 80 km/h durch Tempo-30-Zonen, fuhr bei Rot über eine Ampel und bretterte mit 150 km/h bedenklich nah an Passanten vorbei. Die Polizei brach die Verfolgung ab, weil das Risiko für Unbeteiligte zu groß war. Etwa zwei Stunden später wurde der Raser bei einem Bekannten festgenommen. Seitdem saß er in der geschlossenen Abteilung der Landesklinik Bedburg-Hau.
Vor Gericht machte die Familie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Der Angeklagte äußerte sich kaum. Er hatte allerdings bei der Untersuchung durch eine Sachverständige einige Angaben gemacht. Sie schrieb in ihrem Gutachten, der Klient leide an einem krankhaften Eifersuchtswahn, der als „Othello-Syndrom“ bekannt ist, benannt nach einer Dramenfigur von William Shakespeare.
Der Mann darf sich seiner Familie nicht nähern
Die 10. Große Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Marc Eumann sprach den Angeklagten von allen Vorwürfen frei, weil nicht ausgeschlossen sei, dass seine Steuerungsfähigkeit bei den Taten aufgehoben war. Gleichzeitig wurde zwar wegen der Erkrankung die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet, allerdings unter strengen Auflagen zur Bewährung ausgesetzt. So darf er sich seiner Familie nicht nähern. Alle vier Wochen bekommt er eine Depotspritze, durch die der Wahn gemildert wird, damit er für seine Mitmenschen nicht mehr gefährlich ist.
Mit dem Urteil des Landgerichts wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Als freier Mann konnte der 58-Jährige nach mehr als einem halben Jahr in der Psychiatrie das Gericht verlassen. Sein Verteidiger Hans-Karl Hassel fuhr ihn zu einem Freund, bei dem der Lkw-Fahrer vorübergehend unterkommt, bis er in eine von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Wohnung ziehen kann.