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ÜbungsszenarioSo reagieren Einsatzkräfte im Kreis Euskirchen auf ein Erdbeben der Stärke 6,5

8 min
Menschen arbeiten und besprechen sich im Lagezentrum des Kreises Euskirchen.

Im Lagezentrum verschafften sich die verschiedenen Institutionen einen Überblick über die Geschehnisse.

Die Zahl der Toten, wenn sich südlich von Erftstadt ein Erdbeben der Stärke 6,5 ereignet, läge laut BBK im vierstelligen Bereich.

Ein schweres Erdbeben der Stärke 6,5 erschüttert den nördlichen Teil des Kreises Euskirchen. In Euskirchen, Zülpich, Weilerswist, Bad Münstereifel und Teilen von Mechernich kommt es zu massiven Schäden: Die Infrastruktur ist zerstört, Wasser- und Stromversorgung ausgefallen, Gebäude eingestürzt. Das Marien-Hospital in Euskirchen ist stark betroffen, zahlreiche Menschen müssen gerettet, medizinisch versorgt und evakuiert werden.

Was sich anhört wie aus dem Drehbuch für einen Katastrophenfilm, ist nicht nur eine Fantasie. Nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) kommt ein derartiges Erdbeben statistisch einmal alle 1000 bis 10.000 Jahre vor. Die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 hatte den gleichen statistischen Wert.

2,4 Millionen Menschen wären von einem Erdbeben direkt betroffen

Das Szenario ist aus Sicht der Katastrophenschützer sogar so realistisch, dass der Bundestag 2019 eine entsprechende Risikoanalyse hat erstellen lassen. Das Ergebnis: An einem Montagvormittag im Mai wären durch ein Erdbeben der Stärke 6,5 mit dem Epizentrum etwas südlich von Erftstadt etwa 2,4 Millionen Menschen direkt betroffen. Noch einmal 600.000 Menschen mehr wären vom anschließenden Stromausfall in der Region tangiert. Bei diesem Szenario geht das BBK in seiner theoretischen Risikoanalyse von 1000 bis 10.000 Toten und mehr als 10.000 Verletzten aus. Die Hilfsbedürftigen beziffert das Bundesamt auf mehr als 100.000 Menschen für einen Zeitraum von mehr als einen Monat.

Alles zum Thema Technisches Hilfswerk

Mit einem solchen Szenario haben sich nun der Krisen- und der Führungsstab des Kreises Euskirchen in einer anspruchsvollen Großübung beschäftigt. Rund 100 Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW, Hilfsorganisationen, Polizei, Bundeswehr und Kreisverwaltung trainierten die Bewältigung der Katastrophenlage infolge eines Erdbebens. Geübt wurde im neuen Lagezentrum, das direkt an die vor wenigen Monaten in Betrieb genommene Leitstelle anschließt.

Die neue Leitstelle hat sich bewährt, aber Verbesserungsbedarf gibt es

„Das neue Lagezentrum bot für die Übung ideale Voraussetzungen: Kurze Wege, großzügige Räumlichkeiten und modernste Technik unterstützten die Stabsarbeit“, so Geschäftsbereichsleiterin Julia Baron, die in derartigen Lagen den Krisenstab führen würde. Es gab, so Baron, die eine oder andere „Kinderkrankheit“, an der man in den kommenden Wochen arbeiten wolle.

Baron: „Wir hatten den Anspruch, gerade im Bereich Krisenstab rein digital den Lagevortrag zu machen. Das hat gut funktioniert, aber wir haben kleinen Verbesserungsbedarf entdeckt.“ So habe man festgestellt, dass man im Idealfall noch ein gutes Tool hätte, mit dem sich Prioritätenlisten besser erstellen ließen als mit Excel. Ansonsten habe sich die neue Leitstelle samt Lagezentrum mehr als bewährt – auch, weil dieser Bereich der Kreisverwaltung erdbebensicher gebaut ist.

Eine Collage aus drei Bildern zeigt Schäden des Erdbebens 1951 an einer Kirche, einem Friedhof und einem Haus.

Das Erdbeben 1951 verursachte unter anderem in Euskirchen in der Kirche St. Martin erhebliche Schäden.

Menschen sitzen im Lagezentrum beisammen und besprechen sich.

Im Lagezentrum im Kreishausanbau wurden während der Übung zahlreiche Entscheidungen getroffen.

Wie es um den Altbau des Kreishauses in einem solchen Katastrophenfall im Nachgang eines Erdbebens bestellt sei, könne nicht gesagt werden, berichtet Kreis-Pressesprecher Wolfgang Andres. In das Szenario sei eingeflossen, dass nur 20 Prozent der Kreismitarbeiter arbeitsfähig waren. Die meisten seien selbst vom Erdbeben betroffen – direkt oder indirekt, in dem beispielsweise die Fahrt zur Kreisverwaltung nicht möglich sei. Entsprechend hätten die Nachforderung und Einteilung von Einsatzkräften, der Einsatz knapper Ressourcen, der Aufbau der Kommunikationswege und die Koordination mit Behörden und Organisationen hohe Anforderungen an die Stabsarbeit gestellt, so Andres.

Katastrophenschützer stehen vor logistischen Herausforderungen

Zudem mussten logistische Herausforderungen gelöst werden: Wie werden Verletztentransporte organisiert, wenn Verkehrswege zerstört oder unpassierbar sind? Wie die Evakuierung und Unterbringung von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern? Wie die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung? Entscheidend bleiben die Kommunikation und das Zusammenspiel der handelnden Personen.

Gerade bei der Kommunikation hat der Kreis Euskirchen aus der Flutkatastrophe viele Schlüsse gezogen. Nachdem damals die Funkverbindungen weitestgehend ausgefallen waren, stehen nun darüber hinaus das Starlink-System sowie Satellitentelefone zur Verfügung. Durch diese soll im Katastrophen- und Zivilschutz die Kommunikation gesichert werden. Bei der jetzigen Übung lief die Kommunikation nur über diese Wege.

Landrat Markus Ramers zeigte sich beeindruckt vom Engagement aller Beteiligten: „Insbesondere der ehrenamtliche Einsatz der Feuerwehren, der Hilfsorganisationen und des Technischen Hilfswerks im Führungsstab verdient höchste Anerkennung. Gemeinsames Üben schafft Sicherheit.“

Die Bevölkerung sollte für die Gefahr eines Erdbebens sensibilisiert werden

Geht es nach dem BBK, sollte die Bevölkerung für die Gefahr eines Erdbebens sensibilisiert werden – und das bereits im Kindesalter. Für Schulen und Kindergärten sollte entsprechendes Bildungsmaterial entwickelt werden. Einen speziellen Erdbeben-Flyer will der Kreis Euskirchen jedoch nicht erstellen – es soll nicht unbedingt um derart konkrete Szenarien gehen. „Wir müssen die Menschen weiter im Allgemeinen für mögliche Krisen sensibilisieren. Unterm Strich ist es egal, warum der Strom länger nicht da ist. Wichtig ist, dass man auf diese Situation im Allgemeinen vorbereitet ist“, sagt Martin Fehrmann, Leiter der Gefahrenabwehr im Kreis Euskirchen.

Bei anderen Empfehlungen des BBK ist der Kreis Euskirchen ein gutes Stück „vor der Lage“, wie es der frühere Kreisbrandmeister Udo Crespin gerne ausgedrückt hat. Er meinte damit, dass es besser ist zu agieren, als nur noch reagieren zu können. So empfiehlt das BBK, „die Funktionsfähigkeit von Behörden und Kritischen Infrastrukturen bei einem langanhaltenden Stromausfall sicherzustellen. Dafür sollten kritische Prozesse und Problembereiche im Vorfeld identifiziert werden.“ Genau das hat der Kreis mit der Übung gemacht und in Sachen Kommunikationsmittel aus der Flutkatastrophe gelernt.


1951 und 1992 bebte die Erde im Kreis Euskirchen

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) stuft die Gefahr für starke Beben in Deutschland zwar als „gering bis mittel“ ein, ergänzt aber, dass die Wahrscheinlichkeit in Risikogebieten nicht unterschätzt werden sollte.

Risikogebiete in Deutschland finden sich südlich von Tübingen in der Schwäbischen Alb, im südlichen Rheingraben, in der Umgebung von Gera sowie in der Kölner Bucht. Die Kölner Bucht, die den zentralen Teil der Niederrheinischen Bucht bildet, gehört zu den am stärksten erdbebengefährdeten Gebieten in Mitteleuropa. Vor allem rund um Köln stuft das BBK den Gefährdungsgrad für starke Beben als hoch ein. Einige Male pro Woche bebt hier die Erde, wie Daten des Geologischen Dienstes NRW zeigen. Jedoch sind die meisten der Erdbeben nicht zu spüren. Warum es zu den Erdbeben in der Niederrheinischen Bucht kommt, erklärt der Geologische Dienst so: „Im Untergrund finden Bewegungen an Störungsflächen, sogenannten Verwerfungen, statt, die die Bucht in Schollen unterteilen. Erfolgt die natürliche Bewegung dieser Schollen ruckartig, ist sie als Erdbeben wahrnehmbar.“

Ein starkes Erdbeben ereignete sich 1951 und richtete unter anderem in Euskirchen erhebliche Schäden an. So stürzte zum Beispiel das Gewölbe der Kirche St. Martin ein.

Ein Erdbeben in Düren im Jahr 1756 war das stärkste in der Region

Das Erdbeben in Düren am 18. Februar 1756 ist das stärkste historisch belegte Erdbeben in dieser Gegend. Gegen 8 Uhr morgens bebte die Erde so stark, dass in den Bereichen um Köln, Aachen, Jülich und Bad Münstereifel zahlreiche Gebäude schwer beschädigt wurden. Vereinzelte Schäden an Gebäuden zogen sich bis Brüssel, Gießen und Osnabrück, heißt es von der Erdbebenstation Bensberg. Zu spüren war das Beben noch in London, Magdeburg und Straßburg.

Im April 1992 erschütterte das mit einer Stärke von 5,9 bisher stärkste gemessene Erdbeben in der Region weite Teile von Nordrhein-Westfalen. 30 Menschen wurden verletzt, Sachschäden in Höhe von 100 Millionen Euro waren die Folge.

Das Epizentrum lag damals in Roermond (Niederlande). Auch in der Eifel gab es Schäden. An der heutigen Paul-Gerhardt-Schule in Euskirchen beispielsweise stürzten Teile des Giebels herab.


174 Notfallmeldestellen gibt es im Kreis Euskirchen

Zentrale Elemente im Bevölkerungsschutz sind nach Angaben der Kreisverwaltung die Notfallmeldestellen. 174 gibt es davon im Kreis Euskirchen. Die Installation dieser Stellen ist ebenfalls eine Lehre, die man im Kreis aus der Flutkatastrophe gezogen hat. Oft sind sie in den Feuerwehrgerätehäusern zu finden, immer sind sie an der orangefarbenen Plakette mit dem blauen Dreieck zu erkennen.

Die Notfallmeldestellen sollen die erste Anlaufstelle für die Bevölkerung sein, da sie in der Regel energieautark sind, weil sie etwa über Stromaggregate verfügen. Die Feuerwehren üben ein solches Szenario regelmäßig.

Von diesen Meldestellen aus sollen im Katastrophenfall – vor allem dann, wenn Telefon, Internet und Smartphone nicht mehr funktionieren – Notrufe abgesetzt werden. „Die Stellen sollen alle eine Funkverbindung haben“, sagt Wolfgang Fuchs, der seit gut einem Jahr die Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz bei der Stadt Schleiden leitet. In kleinen Orten könnten auch Fahrzeuge der Feuerwehr oder des THW als Anlaufstelle für die Menschen dienen.

„Leuchttürme“ sollen hingegen dazu dienen, Menschen zu versorgen und für einige Tage unterzubringen. Solche Anlaufpunkte haben viele Kommunen bereits eingerichtet oder vorgeplant. In Weilerswist ist es beispielsweise die Erft-Swist-Halle, in Euskirchen die Jahnhalle und in Palmersheim das Dorfgemeinschaftshaus.


Einen Notfallrucksack sollte man immer bereitstehen haben

Das Haus muss schnell verlassen werden. Denkbare Szenarien sind ein Brand oder eine Evakuierung. Wie und wo eine Unterbringung erfolgt, ist möglicherweise unklar. Dann bleibt nicht viel Zeit zu packen. Mit vorbereitetem Notgepäck kann alles Wichtige mit einem Griff mitgenommen werden.

Selbst wenn die Zeit reichen sollte, beispielsweise bei einer Evakuierung, noch einige Dinge einzupacken, ist es aufgrund der Stresssituation nicht einfach, an alles zu denken.

Die Kleidung sollte nach dem „Zwiebelprinzip“ zusammengestellt werden, um für verschiedene Situationen richtig ausgestattet zu sein. Das bedeutet, dass mehrere Schichten Kleidung eingeplant werden – beispielsweise Unterwäsche, T-Shirt und Stoffjacken oder Pullover. Wichtig sind auch Wetterschutzbekleidung wie eine Regenjacke oder ein Regenmantel sowie wetterfeste Schuhe oder Gummistiefel.

Das gehört nach Empfehlung des BBK in einen Notfallrucksack: Medikamente, Erste-Hilfe-Material, batteriebetriebenes Radio, Reservebatterien, Dokumentenmappe, Verpflegung für zwei Tage in staubdichter Verpackung, Wasserflasche, Essgeschirr und -besteck, Dosenöffner und Taschenmesser, Taschenlampe, Schlafsack oder Decke, Kleidung , Wetterschutzbekleidung, Kopfbedeckung, Arbeitshandschuhe, Hygieneartikel (beispielsweise Artikel für Monatshygiene und Windeln) für ein paar Tage, Schutzmaske, für Kinder ein Brustbeutel oder eine SOS-Kapsel mit Name, Geburtsdatum und Anschrift. SOS-Kapseln gibt es in Apotheken und Drogerien.