Integration am ArbeitsplatzMit Mentoren Geflüchtete ausbilden – zwei Firmen der Region leben dies vor

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Oni-Chef Oehm führt Lindlarer Asylbewerber durch den Betrieb. Zehn von ihnen haben mittlerweile ihre Ausbildung absolviert. Archivbild

Oni-Chef Oehm führt Lindlarer Asylbewerber durch den Betrieb. Zehn von ihnen haben mittlerweile ihre Ausbildung absolviert. Archivbild

Zwei Firmen im Rheinland und Bergischen Land stellen gezielt Anwärter mit Flucht- und Migrationshintergrund in ihren Betrieben ein.

Die Industrie- und Handelskammern (IHK) von Nordrhein-Westfalen sprachen Mitte November letzten Jahres von 350 000 fehlenden Fachkräften. Andererseits waren 2023 bundesweit fast die Hälfte der Menschen, die 2015/16 nach Deutschland geflüchtet sind, noch ohne Arbeit. Zwei Firmen aus dem Rheinland zeigen, wie man dieses Potenzial positiv für sich nutzen kann.

„In den letzten fünf Jahren haben wir jeden Auszubildenden, auch mit Migrationshintergrund, im Unternehmen behalten können“, sagt Natalie Kühn. Sie ist Geschäftsführerin von SK-Elektronik, einem Hersteller für hochwertige Elektronikgeräte. Rund 40 Prozent der etwa 40 Mitarbeiter am Leverkusener Hauptsitz der Firma haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. „Ich glaube, dass sich jedes Unternehmen die Frage stellen sollte, was es bei der Integration von Migranten und Geflüchteten erreichen kann und will“, so Kühn weiter.

Zu dieser Firmenphilosophie gehöre auch, dass für eine Einstellung weniger interessant ist, welche Berufsbescheinigungen oder Ausbildungsnachweise die Anwärter vorlegen können. „Wir führen mit den Leuten ein intensives persönliches Gespräch, schauen dann, was sie in einem Zwei-Wochen-Praktikum leisten und entscheiden danach, ob die Person Potenzial für die Stelle mitbringt insbesondere für technische oder handwerkliche Tätigkeiten“, führt Kühn aus.

Ähnlich verfährt auch die Firma Oni-Wärmetrafo aus Lindlar. Der Hersteller von Industrie-Kühlsystemen ist in den Jahren 2015/16, als hunderttausende Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland kamen, sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Firmengründer und Geschäftsführer Wolfgang Oehm hatte sich damals besonders dafür eingesetzt, dass in seinem Unternehmen geflüchtete Menschen ausgebildet werden.

Oni-Wärmetrafo in Lindlar stellt eigene Lehrer an

Rund eine Million Euro hat er für firmeneigene Unterrichtsräume investiert, um die damaligen zehn Anwärter aus Ghana, Somalia und Albanien für die Ausbildung bei Oni fit zu machen. „Für die angestammten Mitarbeiter waren das nicht unerhebliche, zusätzliche Aufgaben. Aber letztlich haben nahezu alle mitgezogen“, erinnert sich Marketing-Chef Rüdiger Dzuban noch gut. Die eigens engagierten Lehrer hätten den Flüchtlingen Deutsch und Mathe beigebracht und die eigenen Leute hätten die technischen Inhalte übernommen.

Zudem habe Oni Bürgschaften bei Wohnungsmieten übernommen und dafür gesorgt, dass alle Anwärter jeden Morgen abgeholt wurden. Für Oehm sei das am Anfang essenziell wichtig gewesen, die Leute nicht allein zu lassen, blickt Dzuban zurück. „Die zehn neuen Mitarbeiter hatten jeden Tag ab 15.45 Uhr Feierabend, sind dann mit deutschsprachigen Auszubildenden, unseren ,Kümmerern‘, Essen gegangen und danach zum Deutsch- und Integrationsunterricht. Das war und ist heute noch Standard“, erläutert der Marketing-Chef weiter. Von den ursprünglich zehn Auszubildenden seien heute noch neun da, so Dzuban weiter. Da sei auch enorm viel Dankbarkeit zu spüren.

Ich glaube, dass sich jedes Unter- nehmen die Frage stellen sollte, was es bei der Integration von Migran- ten und Geflüchteten erreichen kann und will.
Natalie Kühn, Geschäftsführerin bei SK-Elektronik

Die „Kümmerer“ heißen bei SK-Elektronik Mentoren. Aktuell sind dafür sechs leitende Fachkräfte abgestellt, die die in Deutschland gelandeten Mitarbeiter an die Hand nehmen und sie in den Job, die Sprache und die deutsche Kultur einführen. „Dazu gehören auch interkulturelle Workshop-Tage mit Diskussionen über Missverständnisse und Rassismuserfahrungen sowie Sprach-Trainings oder Einladungen vom Chef zum Abendessen“, erzählt SK-Geschäftsführerin Kühn. Sie sei davon überzeugt, dass ohne diese privaten Eingliederungen die Menschen aus anderen Kulturen sich nur schwer integrieren lassen.

Da sei sie auch von ihrem Vater geprägt worden, der in den Nachkriegsjahren selbst Flüchtling war und als Gründer der Firma immer eine Unternehmenskultur der Toleranz und Wertschätzung aller vorgelebt habe, so Kühn. Nicht zuletzt deshalb ist SK-Elektronik Mitglied der „Charta der Vielfalt“ (s. Text am Seitenende), die sich für Anerkennung und Wertschätzung von Diversität in den Betrieben einsetzt.

Die Kommunen und die Agentur für Arbeit kommen mittlerweile mit möglichen Bewerbern aus dem Pool der geflüchteten und eingewanderten Menschen auf beide Unternehmen zu. „Es hat sich herumgesprochen, dass wir in unserem Unternehmen auf Vielfalt setzen und gezielt Menschen mit Einwanderungshintergrund einstellen“, hebt Natalie Kühn hervor. Durch „Tage der offenen Tür“ im Unternehmen und ehrenamtliche Engagements wie die regelmäßige Teilnahme an einer Reparatur-Werkstatt mit Leverkusener Flüchtlingen habe man regelmäßigen Kontakt in die Migrantenfamilien. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hätten allerdings bei SK-Elektronik bisher lediglich Praktika gemacht. Zu einer Anstellung sei es noch nicht gekommen, so Kühn.

Ukrainer tun sich bei der Frage der Integration leichter

In Lindlar bei Oni-Wärmetrafo kämen seit 2022 dagegen auch regelmäßig Bewerbungen von Ukrainern rein, berichtet Rüdiger Dzuban. Hier lägen die Probleme weniger in der mangelnden Ausbildung, sondern mehr in der Sprache. Allerdings gebe es durch die russisch-sprachigen Mitarbeiter Möglichkeiten. Daher tun sich diese Bewerber auch leichter als aus anderen Ländern und Kulturkreisen.

Für beide Unternehmen gilt: Sie engagieren sich für die für geflüchteten und eingewanderten Menschen in ihrer Region nicht nur aus altruistischen Gründen. Selbstredend habe man in Zeiten des Fachkräftemangels aus etwas davon.


Pflicht-Integrationskurse für viele Ukrainer

Seit Anfang 2023 haben die Jobcenter bundesweit rund 234300 Menschen zum Integrationskurs geschickt, davon rund 154000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Das zeigen vorläufige Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) für den Zeitraum bis Ende Januar 2024. Im Jahr 2022 waren es sogar rund 340000 neue Teilnehmer unterschiedlicher Nationalitäten gewesen – vor allem wegen der Fluchtbewegung nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs.

Bei einem allgemeinen Integrationskurs gibt es sechs Sprachkursabschnitte und einen Orientierungsteil, in insgesamt 700 Unterrichtsstunden. Im Gegensatz zu Asylbewerbern, die zunächst nur Anspruch auf eine Versorgung auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes haben, erhalten Flüchtlinge aus der Ukraine von Beginn an Bürgergeld und werden durch die Jobcenter betreut. Sie können von diesen zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet werden, wenn sie keine ausreichenden Sprachkenntnisse für eine berufliche Tätigkeit besitzen und es für sie zumutbar ist. (dpa)


„Charta der Vielfalt“

Die Arbeitgeberinitiative „Charta der Vielfalt“ wurde im Dezember 2006 von vier Unternehmen ins Leben gerufen. Mittlerweile haben über 5000 Firmen und Institutionen (wie die IHK Köln) mit über 14,7 Millionen Beschäftigten die Charta unterzeichnet. Sie wird auch von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, unterstützt.

Ziel der Initiative ist es, die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt in der Arbeitswelt in Deutschland voranzubringen. Organisationen sollen ein Arbeitsumfeld erschaffen, das frei von Vorurteilen ist. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft. (dhi) www.charta-der-vielfalt.de

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