Hartes Urteil mit HintertürchenSo reagieren Politik und Wirtschaft auf Diesel-Urteil

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Kleiner Kasten, große Wirkung: die Messstelle am Clevischen Ring in Mülheim. Die Schadstoff-Werte haben sich hier zuletzt deutlich verbessert.

Kleiner Kasten, große Wirkung: die Messstelle am Clevischen Ring in Mülheim. Die Schadstoff-Werte haben sich hier zuletzt deutlich verbessert.

  • Das Oberverwaltungsgericht in Münster verbietet vier Kölner Straßen für ältere Dieselfahrzeuge.
  • Doch was ist mit den Ausweichverkehren, wenn das Fahrverbot eingeführt wird?
  • Die wichtigsten Antworten und Statements im Überblick.

Köln – Köln wird um Dieselfahrverbote nicht mehr herumkommen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat den am 1. April in Kraft getretenen Luftreinhalteplan der Bezirksregierung für die Stadt Köln als rechtswidrig erklärt. Er muss umgehend überarbeitet werden. Und damit der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert 40 Mikrogramm Stickoxid bis 2020 eingehalten werden kann, sieht der Vorsitzende Richter keine andere Möglichkeit, als Dieselfahrverbote für die Schadstoffklasse 5 und älter am Clevischen Ring in Mülheim, für die Justinianstraße in Deutz, die Luxemburger Straße und den Neumarkt einzuführen.

Das einzige Hintertürchen, das offen geblieben ist: Ist der Jahresmittelwert 2019 für die benannten Straßen und Plätze besser, als es die Prognose bisher vorsieht, und wird der Grenzwert damit sicher eingehalten, könne von Fahrverboten abgesehen werden.

Derzeitiger Plan nach Ansicht des Richters wenig wirksam

Gleich zu Beginn der Verhandlung ließ der Vorsitzende Richter Max Jürgen Siebert durch seine Nachfragen erkennen, dass er den zurzeit gültigen Luftreinhalteplan für wenig wirksam hält. So seien bereits für das kommende Jahr positive Effekte im vollen Umfang eingerechnet worden, obwohl sie nach den Berechnungen erst ab 2023 ihre Wirkung voll entfalten.

Auch kritisierte er die Ausgangsdaten für die Berechnungen, weil sie zum größten Teil aus dem Jahr 2016 stammten. Zudem seien in dem Plan Dieselfahrverbote als wenig wirksam bezeichnet, weil durch ein Fahrverbot die Fahrer alter Dieselmodelle lediglich zum Umsteigen auf ein neueres Modell animiert werden würden. Doch diese Motoren brächten zumeist nicht die gewünschten Einsparungen an Stickoxid. Siebert hielt dem entgegen, dass Stadt und Bezirksregierung nicht davon ausgegangen seien, Pendler könnten statt erneut ein Dieselfahrzeug auch einen Benziner kaufen. Der würde dann deutlich weniger Stickoxid ausstoßen, damit würden Fahrverbote sehr wohl Wirkung zeigen.

Stimmen zum Urteil

Ulrich Soénius (IHK Köln): „Für die Wirtschaft muss es vernünftige Lösungen geben, um alle Wirtschaftsverkehre, nicht nur die des Handwerks, in den betroffenen Gebieten aufrechtzuerhalten. Die Stadt Köln muss zeitnah ein Führungskonzept für Lkw ausarbeiten und die Belieferung, insbesondere der Kölner Messe, sicherstellen. Ansonsten hätte das gravierende Folgen für die betroffenen Unternehmen.“

Stefan Löcher (Arena-Chef): „Ich halte die ganze Debatte um Fahrverbote für Quatsch und wenig zielführend. Es wird ein Sündenbock gesucht, und nun ist er mit den Dieselfahrern gefunden. Ich bezweifele auch, dass ein Fahrverbot in Köln überhaupt kontrolliert werden kann. Für uns als Betreiber der größten Multifunktionsarena in Deutschland wären Fahrverbote direkt vor der Tür extrem geschäftsschädigend. Wir können nur noch intensiver dafür werben, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen.“

Gerald Böse (Messe-Chef): „Fakt bleibt, dass das Messegelände auch in Zukunft erreichbar bleiben muss. Wir gehen davon aus, dass wir für den Zielverkehr zur Messe Ausnahmeregelungen erhalten werden. Entsprechende Zusagen seitens der Stadt liegen uns vor. Die Kölnmesse trägt schon längst zur Verbesserung der Situation bei – beispielsweise mit unserem digitalen Verkehrsmanagement zur Steuerung des Messeverkehrs oder mit entsprechenden Vorgaben für die Dieselfahrzeuge unserer Aussteller und Speditionen.“

Roman Suthold (ADAC Nordrhein): „Es muss mit Hochdruck daran gearbeitet werden, die Hotspots Clevischer Ring, Justinianstraße, Neumarkt und Luxemburger Straße schnellstens in den Griff zu bekommen. Bei einer kurzfristigen Verbesserung der Werte könnte es noch ohne Fahrverbote gehen. Streckensperrungen würden nur zu Ausweichverkehr auf Straßen führen, die teilweise nicht dafür ausgelegt sind. Wir brauchen insgesamt weniger motorisierten Verkehr in der Stadt. Voraussetzungen dafür sind Alternativen zum Auto, die bequem, zuverlässig und günstig sind.“

Ralph Sterck (FDP): „Die Kölner, die Wirtschaft und alle Dieselfahrer sind mit einem blauen Auge davongekommen. Trotz des Urteils muss die Symbolpolitik wie die Pförtnerampel auf der Aachener Straße oder das Lkw-Fahrverbot auf der Rheinuferstraße ein Ende haben.“

Bernd Petelkau (CDU): „Eine große Fahrverbotszone ist vom Tisch. Das ist erst mal eine gute Nachricht. Unsere Anstrengungen zur Verbesserung der Luftqualität wurden honoriert. Wie vom Gericht gefordert, werden wir nun intensiv daran arbeiten, den Schadstoffausstoß weiter zu verringern.“

Lino Hammer (Grüne): „Die Zahlen zur Mobilität in Köln zeigen, dass die Kölner schon vermehrt auf den Umweltverbund umsteigen. Die größten Herausforderungen bleiben aber die Pendlerströme aus dem Umland und die Lkw-Durchfahrtsverkehre. Hier bedarf es eines wirksamen Führungskonzeptes und eines verbesserten und emissionsfreien ÖPNV.“

Christian Joisten (SPD): „Das ist eine krachende Niederlage für die Stadt. Die Gesundheit der Bevölkerung muss endlich besser geschützt werden, ohne wichtige Verkehrsadern für Dieselfahrzeuge lahmzulegen. Die Stadtverwaltung muss nun endlich handeln.“

Rolf Mauss (Obermeister Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Köln): „Sollten die Fahrverbote tatsächlich nicht mehr zu vermeiden sein, sind Ausnahmeregelungen zwingend erforderlich. Ein Ausnahmesystem muss großzügig, einfach und praktikabel gestaltet werden.“

Schnell wurde klar, dass der Richter vor allem die für den Clevischen Ring, die Justinianstraße, die Luxemburger Straße und auch für den Neumarkt angedachten Maßnahmen für unzureichend erachtet. Bei den im Luftreinhalteplan angedachten Maßnahmen werde der Grenzwert dort erst ab frühestens 2022 eingehalten. „Diese Zeitdauer ist zu hoch“, so Siebert. Allein bei der Aachener Straße ließ er Milde walten. Liegt doch dort der gemessene Stickoxid-Wert schon jetzt bei 41 Mikrogramm und damit nur ein Gramm über dem Grenzwert. „Da sehen wir weniger Probleme. Ein Fahrverbot kommt dort nicht in Betracht.“ Es sei in dem Falle unverhältnismäßig. Pikant dabei: Ausgerechnet für die Aachener Straße hat die Verwaltung schon umfangreiche Maßnahmen ergriffen. Zum Fahrplanwechsel im Dezember sollen dort Express-Busse verkehren und den Autofahrern eine Spur wegnehmen. Eine Pförtnerampel wird an der Stadtgrenze eingerichtet, um im morgendlichen Berufsverkehr bis zu 500 Fahrzeuge in der Stunde zurückzuhalten.

Doch was ist mit den Ausweichverkehren, wenn das Fahrverbot eingeführt wird? Auch da machte das OVG klare Vorgaben. In Ausweichgebieten müssten Schadstoffmessungen durchgeführt werden. Sollten die ergeben, dass die Werte aufgrund von Umfahrungen steigen, müsste auch für diese Bereiche ein Fahrverbot in Betracht gezogen werden. Das wären dann Zonen-Fahrverbote, wie sie das Kölner Verwaltungsgericht in erster Instanz vorgesehen hat. Und wann muss nach Ansicht des Gerichts gehandelt werden? Siebert: „So schnell wie möglich, ohne Verzug.“

Keine Hoffnung für Clevischen Ring

Sind damit Fahrverbote gemachte Sache? Nicht für Regierungspräsidentin Gisela Walsken. Sie interpretiert das Urteil so, dass nun erst einmal der Jahresmittelwert für das Jahr 2019 abgewartet werden kann. „Die Werte für den Neumarkt und die Luxemburger Straße sind jetzt schon recht gut“, sagt sie. Damit sei ziemlich sicher, dass sie im Jahresverlauf so weit gesunken seien, dass weder am Neumarkt noch an der Luxemburger Straße ein Fahrverbot kommen müsse. Bei der Justinianstraße gibt sie sich gelassen: „Da müssen wir mal schauen.“ Allein für den Clevischen Ring hat sie alle Hoffnung fahren lassen. „Ganz sicher werden wir dort nicht die Grenzwerte dauerhaft erreichen.“

Ganz anders die Deutsche Umwelthilfe, die gegen die Stadt Köln geklagt hat. Sie sieht sich durch das Urteil bestätigt. Fahrverbote seien damit unvermeidbar.

Im Kölner Rathaus fielen die Reaktionen begrenzt optimistisch aus. „Unsere Maßnahmen und Projekte haben das Gericht insoweit überzeugt, dass ein großflächiges Fahrverbot verhindert werden konnte“, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie räumte ein: „Streckenbezogene Fahrverbote bedeuten erhebliche Einschränkungen für die Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind“.

Reker sieht in dem Aufruf des Gerichts, neue Prognosen der kritischen Messstationen vorzulegen, „eine Chance, da die aktuellen Messwerte schon besser waren“. Man werde nun mit Bezirksregierung und Land das weitere Vorgehen beraten. „Unsere Aufgabe ist es, die Attraktivität von Bus, Bahn, Fahrrad und anderen umweltfreundlichen Alternativen zu erhöhen, um mehr Menschen davon zu überzeugen, aufs Auto zu verzichten“, bilanzierte Verkehrsdezernent Andrea Blome, die selbst bei der Gerichtsverhandlung in Münster war. Schon heute sei ein verändertes Mobilitätsverhalten der Kölner zu spüren. Anderenfalls wäre die Verbesserung der Messwerte kaum zu erklären.

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