Neuer Band zur StadtgeschichteKölns Aufbruch vom Kaiserreich in die Moderne

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Pferdekutschen und Passanten auf der Hohe Straße anno 1895.

Pferdekutschen und Passanten auf der Hohe Straße anno 1895.

Köln – „Es ist eine Zeit, in der sich unheimlich viel ändert, und die Leute kommen damit zurecht.“ So lautet – in aller Kürze – das Fazit des Berliner Historikers Professor Thomas Mergel zur Entwicklung Kölns im Kaiserreich (1871 bis 1918). In dieser Zeit erlebte die Stadt gewaltige Umwälzungen. Binnen 48 Jahren hatte sich ihre Einwohnerzahl verfünffacht und ihre Fläche auf das Fünfzigfache vergrößert – ein beispielloser Prozess. Das rasante Wachstum der Industrie lockte Massen an Menschen nach Köln, die es zu integrieren galt. Wie das gelang, welche identitätsstiftende Rolle Kirche, Karneval und Kneipen dabei spielten und wie aus dem ehemals so beschaulichen „alten Köln“ eine moderne Metropole wurde, beschreibt Mergel in einer fundierten, sehr lesenswerten Studie, die in der Reihe „Geschichte der Stadt Köln“ erschienen ist.

Die Zunahme des Verkehrs beunruhigte die Menschen

Anschaulich, konkret und garniert mit vielen amüsanten Details, schildert der Autor den erst zögerlichen, dann umso stürmischeren Aufbruch Kölns in ein neues Zeitalter, das viele technische Neuerungen wie den Ausbau der Kanalisation oder die Versorgung mit Gas und Elektrizität mit sich brachte. Mit dem Abriss der Stadtmauer ab 1881 überwand Köln die Grenzen, die die Stadt seit dem Mittelalter geprägt hatten. Große Vororte wie Nippes, Ehrenfeld und Kalk wurden eingemeindet. Das Bevölkerungswachstum stellte die Verwaltung vor enorme Herausforderungen, und der Wandel zur Großstadt ging einher mit Sorgen vor zunehmender Kriminalität, drohender Entwurzelung und Verlust von Heimat. Nicht zuletzt der stark wachsende Verkehr beunruhigte viele Kölner.

1878 beschwerten sich Anwohner der Severinstraße über die Pferdebahn, die schnell und rücksichtslos durch die Straßen jage und Fußgänger in Schrecken versetze – ein Eindruck, der erst recht für die 1901 eingeführte elektrische Straßenbahn galt. Sogar über das Tempo, mit dem die Feuerwehr zu Bränden ausrückte, klagten manche Zeitgenossen. Ab 1900 wurden Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern aktenkundig. Die wenigen Autofahrer verursachten viele Unfälle, weil, so Mergel, „ihren Fahrern die notwendigen Fahrkenntnisse fehlen und sie recht rücksichtslos unterwegs waren. An Kreuzungen galt das Recht des Stärkeren – noch gab es weder Vorfahrtzeichen noch Ampeln.“ 1908 kaufte die Stadt einen benzingetriebenen Dienstwagen für den OB, sogar Elektroautos wurden beschafft.

Abriss und Neubau

Während es auf den Straßen hektisch wurde, bot sich in den Vororten vielerorts noch ein eher dörfliches Bild. Selbst in der Altstadt, wo die Menschen auf engstem Raum lebten – 1884 wohnten in vier Häusern der Weißgerbereckgasse sage und schreibe 450 Personen – wurden 1914 noch 360 Rinder und 54 Schweine gehalten.

Die teilweise katastrophalen Wohnverhältnisse habe man durch systematischen Abriss und Neubau stetig verbessert, so dass sich die Mietsituation der ärmeren Schichten in Köln deutlich besser entwickelt habe als in Berlin, berichtet Mergel. Gleichwohl lebten viele Menschen in Köln in elenden Verhältnissen.

Auch die in der Stadt verbreitete Prostitution war laut Mergel mehr eine Folge von Armut als einer großstädtischen Sittenlosigkeit. Der Autor schildert auch Versuche der Obrigkeit, die Arbeiterschaft vor Trunksucht zu schützen. So habe es Krach gegeben, als verfügt wurde, dass Wirte vor acht Uhr morgens keinen Schnaps mehr ausschenken durften. Der galt gemeinhin als Stärkungsmittel, das Arbeiter und Markthändler gerne frühmorgens zu sich nahmen. Wobei das Ausschankverbot interessanterweise nicht für die bürgerlichen Schichten galt. Mergel stellt fest, dass Köln – gemessen an der Einwohnerzahl – nur halb so viele Kneipen hatte wie Berlin, der Bierverbrauch am Rhein aber weit über dem Reichsdurchschnitt gelegen habe. Der Kölner Obrigkeit attestiert Mergel, sie sei entspannter mit vielen Problemen umgegangen als die Behörden in Berlin. Unter dem städtischen Beigeordneten und späteren Oberbürgermeister Konrad Adenauer sei die Verwaltung zunehmend professionalisiert und der städtische Haushalt krisenfest gemacht worden.

Thomas Mergel: Geschichte der Stadt Köln, Band 10 – Köln im Kaiserreich 1871-1918. 568 Seiten mit 170 Abbildungen. Herausgegeben von Werner Eck im Auftrage der Historischen Gesellschaft Köln. Greven Verlag. 60,00 Euro. ISBN 978-3-7743-0455-0

Der Autor

Prof. Thomas Mergel (58) ist seit 2008 Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der gebürtige Regensburger schrieb seine Dissertation über das katholische Bürgertum im Rheinland 1794-1914, befasste sich dabei auch mit dem Thema Klüngel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Sozialgeschichte und die Geschichte der politischen Kultur. Sein beruflicher Werdegang führte ihn in die USA an die Harvard University und die University of Chicago sowie an die Prager Karls-Universität und die Universität Basel. An dem Band zur Kölner Stadtgeschichte arbeitete er von 2011 bis 2017. (fu)

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