Mit VideoDemos gegen Extremismus in Oberberg – Notfall in Lindlar

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Prallgefüllt war am Sonntag das Steinmüllergelände in Gummersbach. Laut und am Ende sichtlich bewegt, reif auch Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein zu Solidarität auf (rechts im Foto).

Prallgefüllt war am Sonntag das Steinmüllergelände in Gummersbach. Laut und am Ende sichtlich bewegt, reif auch Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein zu Solidarität auf (rechts im Foto).

Zwei Kundgebungen und eine Menschenkette brachten die Oberbergerinnen und Oberberger auf die Straße. In Lindlar wurde eine Frau reanimiert.

Der Widerstand gegen rechte Gesinnungen und gegen Rassismus, das Eintreten für die Vielfalt, die Demokratie und das friedliche Miteinander haben am Sonntag in Gummersbach und am Samstag in Engelskirchen und Lindlar eine neue Qualität erfahren. Denn so breit aufgestellt waren die Proteste in Oberberg bisher wohl nicht.

Vertreterinnen und Vertreter der Kreisverwaltung, der Rathäuser von Städten und Gemeinden, der meisten Parteien in den lokalen Räten, Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Kirchen sowie von namhaften Vereinen, Organisationen und Institutionen, aber eben auch ungezählte Oberbergerinnen und Oberberger ohne Ämter und Würden, aber jeglichen Alters zeigten erneut Flagge mitten auf dem Steinmüllergelände, die Zahl der Teilnehmenden an der Kundgebung unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt“ belaufen sich ersten Schätzungen der Polizei zufolge auf rund 600.

In Gummersbach ergreift auch Bürgermeister Frank Helmenstein das Wort

Unter ihnen ein ungewohnt lauter und lautstarker, am Ende hörbar bewegter Frank Helmenstein, Bürgermeister der Kreisstadt, nach eigenem Bekunden erstmals Teilnehmer an einer Demonstration – und Sohn einer griechischen Mutter, die 1960 nach Gummersbach kam. „Migration und Integration sind Teil der oberbergischen DNA“, betonte Helmenstein. „Oberberg war, ist und bleibt Heimat für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.“

Zur Kundgebung, die Halle 32-Chef Martin Kuchejda moderierte, aufgerufen hatten die Gummersbacherinnen Bettina Hühn und Eva Bartz, sie zählen zum Kreis derjenigen, die als Gruppe „Wir für Demokratie und Zusammenhalt“ im Januar 2022 die „Gummersbacher Erklärung“ auf den Weg gebracht haben. „Alles ist auf den Punkt, jede Rednerin, jeder Redner betont, was wir betonen wollten“, freute sich Bartz. So erinnerte die oberbergische Bundesabgeordnete Sabine Grützmacher (Grüne) daran, dass die Demokratie ein Privileg sei, für das in Deutschland niemand um sein Leben bangen müsse.

Menschenkette reicht in Engelskirchen bis an das Industriemuseum

Begonnen hatte der Reigen der Proteste am Wochenende in Engelskirchen und Lindlar: „Es ist fünf vor zwölf – seid dabei“: Mit diesen Worten riefen die Engelskirchenerinnen Gitta Quercia-Naumann und Silke Krämer am Samstag zu einer Menschenkette auf, reichen sollte diese vom Edmund-Schiefeling-Platz bis zum Aggertal-Gymnasium. Mit Erfolg: Rund 200 Menschen (laut Polizei) waren, pünktlich um 11.55 Uhr, in die Ortsmitte gekommen, um Haltung für die Demokratie sowie gegen den Rechtsradikalismus, den Faschismus und die Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren.

In Engelskirchen fassten sich die Menschen bei der Hand – oder beim Schal – um eine lebendige Kette durch die Ortsmitte zu formen.

In Engelskirchen fassten sich die Menschen bei der Hand – oder beim Schal – um eine lebendige Kette durch die Ortsmitte zu formen.

„Simone Baum hat hier gelebt und war in unserem Gemeinderat politisch tätig“, schilderte Quercia-Naumann. Das habe viele Engelskirchener vielleicht besonders aufgeschreckt. Sie unterstrich, dass es keinerlei Bezug gebe zu einer Kirche, Partei oder einer sonstigen Vereinigung: „Wir sind einfach Engelskirchener Bürgerinnen und Bürger.“ Allerdings sei die Gründung eines Netzwerks in Planung, an dem bereits mehrere politische Parteien, kirchliche Organisationen und der Einzelhandel Interesse gezeigt hätten.

Dann formte sich eine lange Schlange von Menschen, die Hand in Hand oder mit Schals verbunden, zwar nicht ganz das Gymnasium, doch immerhin den Bereich des Bahnübergangs am Industriemuseum erreichte. Als nächste größere Veranstaltung kündigte Gitta Quercia-Naumann für den 6. Mai ein Fest auf dem Edmund-Schiefeling-Platz mit „allem dröm un dran“ an. Bis dahin werde es derweil weitere kleinere Aktionen geben, um zu zeigen: „Wir sind noch da.“

Erfolgreiche Reanimation bei Kundgebung in Lindlar

Von einem medizinischen Notfall überschattet und nach etwa einer Stunde abgebrochen wurde indes die Kundgebung in Lindlar: Dort brach eine Teilnehmerin zusammen, sie wurde an Ort und Stelle reanimiert. Polizeisprecher Michael Tietze berichtete am Sonntag: „Die Reanimation verlief erfolgreich – die Frau wurde in ein Krankenhaus in Bergisch Gladbach eingeliefert.“ Auf Lindlars Marktplatz hatten sich seinen Angaben zufolge gut 400 Menschen versammelt.

Kunterbunt und bisweilen vom Regen durchnässt war die Kundgebung in Lindlar, die aufgrund eines medizinischen Notfalls nach einer Stunde allerdings abgebrochen werden musste.

Kunterbunt und bisweilen vom Regen durchnässt war die Kundgebung in Lindlar, die aufgrund eines medizinischen Notfalls nach einer Stunde allerdings abgebrochen werden musste.

Es war die zweite Demo ihrer Art, organisiert durch das Lindlarer Bündnis für Demokratie und Frieden. Versammlungsleiter Ingo Harnischmacher freute sich sichtlich über die rege, vor allem friedliche, bunte und vielfältige Beteiligung: „Es ist gut, dass Ihr alle hier seid. Wir haben seit der ersten Demo viel überlegt und am Konzept gearbeitet.“ Trotz der unfreundlich kalten Witterung waren insbesondere viele junge Leute gekommen.

Sie hatten Schilder mit Forderungen auf Pappkarton gemalt und bekamen neben Grußworten und Reden auch viel Musik zu hören, etwa vom Klezmer-Duo Freylechs und der Lindlarer Musikvereine. Gerhard Jenders vom Bündnis „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun!“ sprach davon, dass seit Jahresbeginn eigentlich schon die dritte Demo in Lindlar stattfinde. „Auch Euer Karneval war politisch, das Motto lautete Fasching statt Faschismus. Haltung ist mindestens genauso wichtig wie politische Analysen.“

Jenders führte sowohl das Beispiel Marlene Dietrichs an, die aus New York den Nationalsozialisten die Absage erteilte, dass sie „aus Anstand Antifaschistin geworden“ sei, aber auch die Tatsache, dass in Lindlar die NS-Partei lange Zeit eher nicht gewählt wurde. „Eure Vorfahren hatten auch Haltung.“

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