Rheinisches RevierReul verkündet schnellen Erfolg in Lützerath – Kritik an Polizeigewalt

Lesezeit 4 Minuten
16.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Trümmer nach den Abrissarbeiten nach der Räumung in Lützerath.

Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Trümmer nach den Abrissarbeiten nach der Räumung in Lützerath.

NRW-Innenminister Herbert Reul verkündet am Montagnachmittag einen vollen Erfolg. Dass der Lützerath-Protest ausgestanden ist, glaubt Reul indes nicht. Er warnt vor neuen Aktionen der Aktivisten.

Als NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montagnachmittag vor die Presse tritt, wird schnell klar, dass hier jemand entschlossen zur Gegenoffensive übergeht. Seit den bürgerkriegsähnlichen Szenen, die sich am Rande der Großdemonstration im Rheinischen Revier abgespielt haben, hängt der hässliche Vorwurf übermäßiger Polizeigewalt in der Luft wie die dichten Düsseldorfer Regenwolken.

Reul bilanziert dagegen einen vollen Erfolg. „Die Rechnung“ sei aufgegangen, verkündet er. Die Räumung des Protestdorfs Lützerath sei schneller gelungen, als Experten vermutet hatten. „Wir sind alle davon ausgegangen, dass es vier bis sechs Wochen dauert“, so Reul zufrieden. Jetzt können die riesigen Bagger kommen und das abgesperrte Lützerath wegschaufeln. „Unsere Aufgabe ist erledigt. Der Zaun ist da, der Zaun wird bewacht, und das ist der Job von RWE“, so der Minister.

Den Vorwurf, die Polizei sei zu hart eingestiegen, lässt Reul bis zum Beweis des Gegenteils nicht gelten. Die Klage der Klima-Bündnisse, eine dreistellige Zahl an Demonstranten sei niedergeknüppelt worden und es gebe sogar Schwerverletzte, weist der Minister als „Falschaussage“ zurück. „Ich habe es langsam satt, dass immer Behauptungen aufgestellt werden, ohne die Nachweise zu bringen.“

Alles zum Thema RWE

Videos von prügelnden Polizisten fluten das Internet

Elf verletzte Demonstranten seien nach Recherchen der Behörden in Kliniken und bei Rettungsdiensten bislang bekannt, davon seien neun ins Krankenhaus eingeliefert worden. Von Lebensgefahr wisse er nichts. „Mal ist der Hubschrauber da, mal ist der Hubschrauber nur angefordert worden. Da ändert sich ja auch jede Viertelstunde die Äußerung“, spottet Reul.

Und all die Videos von prügelnden Polizisten, die gerade das Netz fluten? „Die Schnipsel sind Schnipsel, und deshalb muss man sich die genau angucken“, sagt Reul. In zwei, drei Fällen gebe es Hinweise auf unkorrektes Verhalten seiner Leute. „Wenn wir den Nachweis haben, dass Polizisten Fehler begangen haben, müssen sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden“, verspricht er.

Dass der Lützerath-Protest ausgestanden ist, glaubt Reul indes nicht. Er warnt vor neuen Aktionen der Aktivisten. Beim grünen Koalitionspartner in NRW könnte sich derweil in der Sitzung der Landtagsfraktion an diesem Dienstag viel Frust entladen. Der „Kohle-Deal“ von Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur mit RWE hat die gesamte Klimabewegung gegen die Partei aufgebracht. Einige Kreisverbände melden Parteiaustritte und beschmierte Geschäftsstellen. Viele einfache Mitglieder haben in Lützerath gegen die eigene Landesregierung mitdemonstriert. Die Landtagsabgeordnete Antje Grothus fordert inzwischen einen Räumungsstopp für das Dorf. Die von der Parteispitze über Monate ausgegebene Sprachregelung, der Kompromiss mit RWE sei „ein Erfolg für den Klimaschutz“, wird intern als nicht mehr kommunizierbar eingestuft.

„Pinky“ und „Brain“ verlassen den Tunnel

Derweil geht in Lützerath selbst das wohl vorletzte Kapitel in der Geschichte des Dorfes friedlich zu Ende. Um 12.48 Uhr blinzeln zwei Männer, die sich „Pinky“ und „Brain“ nennen, wieder ins Tageslicht. Die beiden Vermummten haben tagelang in einem Tunnel ausgeharrt – auf engem Raum und mit dem Ziel, die Räumung des Weilers zu verhindern. Nun aber verlassen sie den Schacht, für manche Beobachter durchaus unerwartet. Mit tiefen Ringen unter den Augen, einer Einkaufstasche in der Hand, schleppen sie sich noch zu einer Schar Journalisten. Mit der Presse sprechen wollen sie allerdings zunächst nicht.

Minuten später äußert sich dann RWE. Die letzten Aktivisten hätten damit die ehemalige Siedlung, die jetzt im Besitz des Energiekonzerns ist, verlassen. Freiwillig, heißt es, was eine Sprecherin der Akitivisten-Initiative „Lützerath lebt“ später bestätigt. Die tagelange polizeiliche Räumung sei beendet, so RWE. Und der „Rückbau“ der nun endgültig leeren Gebäude werde „in den kommenden Tagen“ abgeschlossen – was dann wohl das letzte Kapitel Lützeraths beschließt.

Was das bedeute? Nun, die Aktivisten hätten „vielleicht verloren“, räumt die Aktivisten-Sprecherin ein. Zugleich sei aber auch viel gewonnen worden. Nämlich in der Debatte um Kohle und Klima. „Lützerath – alle Leute in Deutschland haben davon gehört“, sagt sie. Für sie ist diese Geschichte erkennbar noch nicht zu Ende. Womöglich folgt eine Fortsetzung. (mit dpa)

Rundschau abonnieren