In vielen Städten gab es Veranstaltungen, die ans Schicksal der Juden erinnerten. Die Teilnehmenden warten vor heutigen Gefahren.
9. NovemberHunderte Menschen an Rhein und Erft gedenken Pogromen

In Erftstadt versammelten sich viele Menschen, um an die Novemberpogrome zu erinnern. Sie zündeten Kerzen an.
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Marian Kolodziej war Häftling im Konzentrationslager Auschwitz, er trug die Häftlingsnummer 432. Nach der Befreiung verarbeitete er seine Erlebnisse künstlerisch, er schuf einen Bilderzyklus „Klischee der Erinnerung. Labyrinthe“. Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule aus Kerpen hatten eine Ausstellung mit den Werken Kolodziejs besucht und berichteten bei der Gedenkveranstaltung an die Pogrome vom 9. November 1938 in emotionalen Worten.
Als nahezu unerträglich empfanden sie es, in einem nachgebauten Eisenbahnwaggon eingepfercht zu sein; in solchen Waggons waren Juden in die Konzentrationslager deportiert worden. Kerpens stellvertretender Bürgermeister Wolfgang Westerschulze wies auf den Zynismus der Nazis hin: Die Todgeweihten musste die Fahrt sogar selbst bezahlen.
Rhein-Erft: Kirchen, Initiativen und Geschichtsvereine riefen zum Gedenken auf
Wie in der Kolpingstadt hatten Kirchen, Initiativen und Geschichtsvereine zum Gedenken an die Novemberpogrome aufgerufen. Mehrere Hundert Menschen beteiligten sich an den Veranstaltungen. Von ihnen ging auch das Signal aus, rechtsextremen Entwicklungen in der Gesellschaft Einhalt zu gebieten, die Freiheit zu bewahren und die Demokratie zu schützen.
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Was geschehen kann, wenn eine Gesellschaft den falschen Ideologien folgt, erfuhren die Kerpener Gesamtschüler im Museum des KZ Auschwitz. Beeindruckt waren sie vor allem von der Sammlung von Alltagsgegenständen: Kleidung, Schuhe, Brillen erzählten Geschichten der Menschen, die ermordet wurden. An Koffern hingen Namensschilder mit Adresse – als ob eine Rückkehr möglich gewesen wäre. Das Buch mit den Namen der 4,8 Millionen ermordeten Juden hinterließ ebenfalls große Betroffenheit.

Schülerinnen und Schüler des Europagymnasiums Kerpen erinnerten an die Deportation von Kerpener Juden.
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Ein Schüler berichtete, dass der Fußweg von der Wohnbaracke zur Gaskammer in Auschwitz etwa 15 Minuten dauerte. „Das ist ungefähr so weit wie von meiner Wohnung an der Hauptstraße in Horrem bis zur Willy-Brandt-Gesamtschule.“ Eine polnische Zeitzeugin erzählte den Schülerinnen und Schülern, wie sie sich als Kind nicht auf die Straße getraut hatte, aus Angst, von den Nazis festgenommen zu werden. Man schlich durch Hinterhöfe, nur das letzte Stück zum Haus verlief über die Straße, man war schutzlos. Der Schüler heute: „Wer von uns hatte jemals Angst, auf die Straße zu gehen?“
Schüler erinnerten an Schicksal des Leiters des ersten jüdischen Gymnasiums des Rheinlandes in Köln
Schülerinnen und Schüler des Europagymnasiums Kerpen erinnerten an das Schicksal Erich Klibanskys. Er war Leiter der „Jawne“, des ersten jüdischen Gymnasiums des Rheinlandes in Köln. Er schaffte es, 130 Schülerinnen und Schülern bis zum Kriegsausbruch 1939 zur Flucht nach Großbritannien zu verhelfen, zehn davon stammten aus Kerpen. Er selbst wurde am 24. Juli 1942 in der Nähe von Minsk erschossen. Ein Schüler verlas einige Namen mit dem jeweiligen Zielort. „Kerpen verlor seine jüdische Gemeinde, Mitschüler, Freunde, Nachbarn, Kollegen.“
Ralph Paland arrangierte für ein Projekt-Ensemble mit Musikerinnen des Europagymnasiums und der Musikschule La Musica Stücke aus der jüdischen Musiktradition, darunter das populäre israelische Lied „Jerusalem aus Gold“: Der Text handelt von der mehrtausendjährigen Geschichte der Juden und ihrer Sehnsucht nach Jerusalem. Er wurde durch den Film „Schindlers Liste“ bekannt.
„Wir sind nicht schuld an der Vergangenheit, aber wir haben Verantwortung für das, was heute passiert!“, so das eindringliche Fazit eines Schülers bei der bewegenden Veranstaltung am Mahnmal für die Verbrechen der Nationalsozialisten.
Landrat Frank Rock (CDU) machte in einer Stellungnahme am Wochenende anlässlich der Gedenkveranstaltungen in fast allen der zehn Städte im Kreis deutlich: „Die Novemberpogrome zeigen: Wenn Menschen entwürdigt werden, zerbricht das Gemeinwesen. Unsere Antwort ist Schutz, Respekt und ein wehrhafter Rechtsstaat, damit Freiheit, Würde und Sicherheit für die Menschen hier im Rhein-Erft-Kreis selbstverständlich sind.“ Zu erinnern heiße Verantwortung zu übernehmen – auch heute, mehr denn je.
Gedenkbuch und Erinnerungen eines Opfers
Das Gedenkbuch zum Frechener Pogrom wird noch bis Freitag, 21. November, vor der restaurierten und als Erinnerungsstätte gestalteten Synagogentür im Stadtarchiv Frechen, Hauptstraße 110-112, ausgelegt. Besucher können auch, anstelle eines Eintrags in das Gedenkbuch, einem alten Brauch folgend symbolisch einen Kieselstein vor der Synagogentür auslegen.
Einen Auszug aus den Erinnerungen von Josef Levy, der mit drei weiteren jüdischen Männern in Frechen am 10. November 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet wurde, findet sich ab sofort auf dem Touchscreen neben der Synagogentür. Levy hatte seine schrecklichen Erlebnisse, die er und seine Familie in der Nacht erleiden mussten, 1989 mit dem Frechener Lokalhistoriker Egon Heeg geteilt, der sie dokumentierte. (aj)

