Es sei ihm „gleichgültig“ gewesen, was mit dem Schwerverletzten passiert, warf das Bonner Landgericht dem Angeklagten vor.
„Jetzt steht der nicht mehr auf“75-Jähriger aus Much muss wegen Schüssen auf Einbrecher in Haft

Ermittler der Polizei und der Spurensicherung auf dem Weg zum Tatort in einem Weiler bei Ruppichteroth.
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Äußerlich ungerührt nahm der Angeklagte das Urteil des Bonner Schwurgerichts entgegen, das ihn am Freitag (26. September) wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung sowie Verstößen gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt hat. Sollte es rechtskräftig werden und er die Strafe komplett absitzen müssen, wäre er über 80 Jahre alt, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der heute 75-Jährige am 20. Februar 2025 auf seinem Grundstück in einem Weiler der Gemeinde Ruppichteroth sechsmal auf einen Einbrecher geschossen und ihn schwer verletzt hat. Nach mehreren Einbrüchen in seinen Wohnwagen, der auf der Waldlichtung stand, habe der Rentner beschlossen, „das Recht selbst in die Hand zu nehmen“, sagte Richterin Alexandra Brüggemann, die den Vorsitz des Schwurgerichts führte, im Urteil. Dabei sei ihm „jedes Mittel recht gewesen, auch ein lebensgefährliches“.
Rentner brachte Selbstschussanlage auf dem Zaun und fünf Wildkameras an
Zwar erlaube es die Strafprozessordnung, einen Einbrecher festzunehmen, er dürfe dabei aber nicht verletzt werden. Der 24-Jährige, der den Wohnwagen aufgebrochen und daraus je eine Flasche Whiskey und Rum sowie eine Eiswürfelmaschine gestohlen hatte, wurde durch Schüsse und Schläge schwer verletzt.
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Zur Vorgeschichte: Der gelernte Elektroinstallateur und Spezialist für Einbruchssicherung hatte sich vor 20 Jahren zur Ruhe gesetzt und werkelte seither in Haus und Garten. Auf dem Areal in Ruppichteroth bauten er und seine Lebensgefährtin vor allem Tomaten an, die sie an Familie und Freunde verschenkten. Das Grundstück war sein Refugium. Deswegen war er regelrecht wütend, als er dort wiederholt ungebetene Gäste hatte, die er nicht erwischen konnte.

In diesen Wohnwagen war der 24-Jährige eingebrochen.
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Er brachte auf dem Zaun eine Selbstschussanlage mit Platzpatronen an und installierte fünf Wildkameras, die per App mit seinem Handy verbunden waren. Zwei- bis dreimal pro Woche gab es Alarm, meistens jedoch war ein Fuchs vor die Linse der Kameras geraten. Am frühen Nachmittag des 20. Februar aber entdeckte er auf dem Display einen vermummten Mann, der gerade die Tür des Caravans aufbrach. Der Eigentümer griff sich eine halbautomatische Pistole, für die er keine Erlaubnis hatte, aus dem Nachtschränkchen, setzte sich in sein Auto und fuhr zehn Minuten von seinem Wohnhaus in Much zu der Wiese, um den Eindringling zu stellen. Die Polizei rief er nicht, weil er ihr nicht zutraute, rechtzeitig am Tatort zu sein. „Dieser Einbrecher sollte ihm nicht entkommen“, sagte die Richterin.
Die Ärzte stellten beim Opfer einen Lungendurchschuss fest
Der Mucher stoppte sein Auto an der Einfahrt zur Lichtung, stieg aus, nahm die Waffe in die rechte Hand, rief dem Vermummten zu: „Bleib stehen!“ und schoss viermal in die Luft. Der Fremde rannte im Zickzack davon, suchte Deckung hinter Pflanzen und dem neben dem Wohnwagen errichteten Gewächshaus, der Verfolger schoss erneut, sechs 3-Millimeter-Patronen sausten aus dem Lauf, zwei trafen den in der Hocke laufenden 24-Jährigen in den Rücken, eine streifte ihn nur: Die Ärzte stellten später einen Lungendurchschuss und einen Treffer in der Schulter fest, der nur knapp Wirbelsäule und Halsschlagader verfehlt hatte.
Der junge Mann gab dennoch nicht auf, übersprang einen 1,20 Meter hohen Zaun, der Rentner fuhr ihm mit dem Auto nach, bekam ihn zu fassen, schlug ihn mit der Faust; wieder riss sich der Einbrecher los, rollte eine zwei Meter tiefe Böschung hinunter und landete auf der Kreisstraße 55. Der 75-Jährige setzte sich auf ihn und hämmerte dreimal den Knauf des Waffenmagazins auf den Kopf, sodass das Opfer mehrere Schädelfrakturen und einen offenen Schädelbasisbruch erlitt. Erst zwei zufällig vorbeikommende Autofahrer stoppten den Kampf.
Als der Angreifer von dem Unterlegenen abließ, habe er gewusst: „Jetzt steht der nicht mehr auf“, stellte die Richterin fest. Es sei ihm „gleichgültig“ gewesen, was mit dem Verletzten passiert, er habe sich nicht bemüht, dafür zu sorgen, dass er nicht stirbt. Im Gegenteil: „Ich bin kurz weg“, sagte er zu den Zeugen, kraxelte die Böschung hoch, ging zum Wohnwagen, versteckte die Pistole in einem Stoffbeutel und schob den unter mehrere Sitzkissen. Danach legte er einen Holzknüppel vor die Tür. Damit sei er von dem Anderen angegriffen worden, erklärte er später. Eine Schutzbehauptung, denn die Aktion war von den Wildkameras und auch von einer Videoüberwachungsanlage eines Nachbargeländes aufgezeichnet worden. Die Zeugen riefen unterdessen die Rettung.
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Muchers fand die Polizei ein Waffenarsenal
Bei der Beweisaufnahme stützte sich das Gericht vor allem auf das Geständnis des Angeklagten; das Opfer selbst habe wenig zur Aufklärung beigetragen, so die Kammer. Der Rentner wollte sich bei ihm entschuldigen und bot auch eine Entschädigung an; beides lehnte der 24-Jährige ab.
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Muchers fand die Polizei ein Waffenarsenal, darunter, versteckt in einem ausgehöhlten Baumstamm, der als Deko-Stück im Wohnzimmer stand, zwei Maschinenpistolen der Marke Uzi. Sie fallen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Die Staatsanwältin hatte für den Angeklagten sechseinhalb Jahre Haft gefordert, Verteidiger Carsten Rubarth hatte auf eine milde Strafe plädiert. Er prüft nun, ob er gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof einlegt.