Prozess am AmtsgerichtTroisdorfer Dachdecker würgt Frau in seiner Wohnung bis zur Bewusstlosigkeit

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Amtsgericht Siegburg

Rätselhafter Fall: Der Angeklagte sprach von Selbstmord, würgte aber eine junge Bäckereiverkäuferin, die ihm helfen wollte.

Ein rätselhafter Fall landete vor dem Siegburger Gericht. Aus heiterem Himmel würgte ein Dachdecker eine junge Frau, die ihm helfen wollte.

Bis zur Bewusstlosigkeit würgte ein Dachdecker eine Bäckereiverkäuferin. Danach stach er auf sie ein. „Es war ein Horrorszenario“, sagte die Anwältin des Opfers in der Hauptverhandlung vor dem Siegburger Schöffengericht. In dem Fall, der sich in einer Sommernacht  2022 in einer Troisdorfer Wohnung abspielte, blieb auch nach der Beweisaufnahme vieles im Dunkeln.

Täter und Opfer, zum Tatzeitpunkt 22 und 24 Jahre alt, kannten sich vom Sehen aus der Bäckerei, in der sie arbeitete. Dann trafen sie sich auf einer Party eines gemeinsamen Freundes, sie tauschten sich aus, waren sich sympathisch. Der Dachdecker galt nach der Feier als verschollen, besorgte Familienangehörige und Freunde meldeten ihn als vermisst.

Erst nach einer Woche meldete er sich per WhatsApp bei der Verkäuferin: Er liege im Krankenhaus, habe Todesangst wegen eines diagnostizierten Aneurysmas. Sie versprach ihm: Ich helfe dir. In Wirklichkeit gab es lediglich einen medizinischen Anfangsverdacht, in der Klinik lag er nur einen Tag lang – wegen einer Überdosis Kokain.

Nach der Umarmung würgte der Täter das Opfer in seiner Wohnung in Spich 

Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, besorgte er sich neuen Stoff, bot auch der jungen Frau in seiner Wohnung davon an. Er sprach von Selbstmordgedanken, sie hörte ihm zu, versuchte ihn zu beruhigen. Er habe panische Angst gehabt vor einer OP, bei der seine Überlebenschance 50:50 betrage, schilderte das Opfer im Zeugenstand.        

Als sie sich verabschiedete und nach einer freundschaftlichen Umarmung gehen wollte, habe er sie plötzlich von hinten in den Würgegriff genommen, mit seinem Arm so gegen ihre Kehle gedrückt, dass sie trotz Gegenwehr in Ohnmacht fiel. Dann muss er mit einem spitzen Gegenstand auf sie eingestochen haben. Nach einer halben Stunde etwa erwachte sie, er war weg, sie klingelte bei den Nachbarn, die Rettungsdienst und Polizei verständigten.

Erst im Siegburger Krankenhaus entdeckte das Opfer die Stichwunde

Erst im Siegburger Krankenhaus entdeckte sie die blutende Stichwunde in ihrer Brust, etwa zwei Zentimeter tief und nach Aussage der Ärzte knapp vor dem Herzen. 24 Würgemale hatte sie laut Attest am Hals, ein rotes Gesicht und etwa noch einen Monat knallrote Augen durch die geplatzten Äderchen. Dazu eine Lungenprellung.

Der Angeklagte war ins Auto gestiegen und mehrere Hundert Kilometer weit bis nach Sachsen gefahren, lieferte sich da eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, kam in die Psychiatrie. Im Prozess äußerte er, sich zwar an den Abend erinnern zu können, aber nicht an die Tat. Sein Motiv sei auch für ihn selbst ein Rätsel.

Laut Gutachten ist der Troisdorfer Dachdecker voll schuldfähig

Vor Gericht musste die Frage geklärt werden, ob der Angeklagte schuldfähig ist. Bei der Strafzumessung spielen neben der Zurechnungsfähigkeit auch mögliche psychische Krankheiten eine Rolle. Die Gutachterin, Fachärztin für Psychiatrie und Suchtexpertin, erkannte bei dem Angeklagten höchstens eine verminderte Steuerungsfähigkeit infolge des Konsums von Betäubungsmitteln und Tabletten.

Seine Flucht spreche für ein gezieltes Handeln. Auch habe er noch das Auto steuern können. Auf eine Psychose weise nichts hin. Eventuell sei der Gewaltexzess aus einem aggressiven Impuls heraus entstanden, der angebliche Filmriss könnte ein Verdrängen sein aus Reue und Scham.

Wir wissen nicht, was in seinem Kopf vorging
Medizinische Sachverständige fand kein Motiv für den Gewaltexzess des Angeklagten aus Troisdorf

Das sei nur eine Vermutung, „wir wissen nicht, was in seinem Kopf vorging“. Dass er sich gar nicht an die Gewalt erinnern könne, nehme sie ihm nicht ab, so die Sachverständige. Er habe in der Klinik in Sachsen „Angst vor den Folgen des Delikts“ geäußert.

Der Dachdecker zeige einen Hang zur Dramatik und Theatralik, wolle Aufmerksamkeit, sei emotional instabil. Im Beruf hingegen ist er etabliert und nicht ohne Ehrgeiz, er wolle seinen Meister machen. Offenbar habe er nun erkannt, dass er ein Problem habe. Doch auch in einer Therapie sei er nicht auf den Grund seiner Aggression gestoßen, hieß es im Gutachten.   

Troisdorfer muss 5400 Euro Schadenswiedergutmachung zahlen

Der bislang nicht vorbestrafte Angeklagte kommt mit einem blauen Auge davon: Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Herbert Prümper folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung.

Er muss zudem als Schadenswiedergutmachung 5400 Euro zahlen, drei Jahre lang 150 Euro im Monat an die Geschädigte. Kommt er dem nicht nach oder wird er erneut straffällig, muss er die Strafe absitzen. Das Geld sei kein Ersatz für ein Schmerzensgeld, betonte Prümper. Das allerdings müsse das Opfer im Zivilverfahren einklagen.

Der Urteilsspruch führte zu Unmut im Zuschauerraum. „Das war ein Tötungsdelikt“, ereiferte sich ein junger Mann. Die Anwältin, die das Opfer als Nebenklägerin vertrat, sagte, dass der Verkäuferin nicht daran gelegen sei, den Mann hinter Gittern zu wissen. Er solle nur bestraft werden.

Die junge Frau hat auch zwei Jahre danach mit den Folgen zu kämpfen. Mehr noch als unter der unschönen Narbe leide sie unter den psychischen Belastungen, habe Angst, mit Menschen allein zu sein, lasse sogar ungern Handwerker ins Haus. 20 Sitzungen in der Traumatherapie hat sie hinter sich. Weitere sollen folgen. 

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