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Interview

Christian Keller zum 1. FC Köln
„Da würden alle mit den Ohren schlackern“

Lesezeit 20 Minuten
Abgang: Christian Keller nach dem 1:1 im Heimspiel des 1. FC Köln gegen Jahn Regensburg. Einen Tag später wurde der Geschäftsführer freigestellt.

Abgang: Christian Keller nach dem 1:1 im Heimspiel des 1. FC Köln gegen Jahn Regensburg. Einen Tag später wurde der Geschäftsführer freigestellt. 

Das Arbeitsverhältnis zwischen Christian Keller und dem 1. FC Köln endet am 30. Juni. Der Geschäftsführer ist seit dem 4. Mai freigestellt. Der 46-Jährige sucht aktuell mit Familie, Freunden und Weggbegleitern auf Mallorca Abstand. Martin Sauerborn hat sich mit Keller über drei Jahre und drei Monate FC unterhalten.

Herr Keller, es sind einige Wochen seit Ihrem FC-Aus ins Land gegangen. Wie geht es Ihnen?

Christian Keller: Es geht mir gut. Ich bin in Bezug auf den FC nach wie vor mit mir im Reinen. Ich habe die ersten zwei Wochen fast ausschließlich Nachrichten und Telefonate beantwortet. Ich habe nach dem Regensburg-Spiel und der Entscheidung ungefähr 600 Nachrichten und 200 Anrufe erhalten. Aktuell bin ich auf Mallorca und verbringe Zeit mit Freunden und Familie. Danach möchte ich eine längere Wanderung machen. Es wird entweder eine Alpenüberquerung oder ich laufe einen Pilgerweg, auf dem ich überlege, was ich als nächstes beruflich machen möchte. Und ich muss im Sommer meine Trainerlizenz auffrischen. 20 Stunden alle drei Jahre sind Pflicht.

Sehen Sie Ihre Zukunft weiter im Fußball?

Keller: Ich werde im Spätsommer entscheiden, ob es weiter Fußball sein soll oder es zurück in die klassische Wirtschaft geht. Ein Job an einer Hochschule wird es Stand jetzt eher nicht nochmal. Im Fußball hängt es davon ab, wann es eine interessante Position gibt. Für mich war klar, dass ich nicht direkt den nächsten Verein übernehmen möchte. Ich kann nicht von heute auf morgen ein neues Wappen im Herzen tragen, das würde sich falsch und unglaubwürdig für mich anfühlen. Ich hatte zwar bereits eine interessante Anfrage vorliegen, aber in meiner Position sollte man schon Identifikation und Herzblut mit der Aufgabe vorleben.

Sie mussten beim FC gehen, weil Sie im Gegensatz zum Vorstand an Gerhard Struber festhalten wollten. Mit einigen Wochen Abstand: Würden Sie die Entscheidung nochmal so treffen?

Keller: Ich würde sie genau gleich treffen. Es war damals auch keine emotionale Entscheidung oder aus einem Affekt heraus, sondern eine mit voller Überzeugung. In dem Moment, als der Vorstand und der Gemeinsame Ausschuss mich aufgefordert haben, den Trainer freizustellen, wusste ich, ich kann das nicht machen. Zum einen, weil es meiner tiefen Überzeugung widersprochen hätte, wie man nachhaltig einen Klub entwickelt. Zum Zweiten hätte es auch meinem Ansatz von Mitarbeiterführung widersprochen. Ich habe immer den Ansatz, egal ob es der Cheftrainer ist oder auch jeder andere Mitarbeiter: Wenn eine Trennung ansteht, dann sage ich schon im Vorfeld, dass die Arbeitsleistung nicht passt und gebe die Chance zur Besserung. Gerhard stand bis dato im Klub jedoch nie zur Diskussion. Wir hatten zwar seit geraumer Zeit wenig Struktur im Spiel mit dem Ball, es gab aber keinerlei Vorankündigung gegenüber Gerhard, dass es eng für ihn werden könnte. Ein dritter Grund war, dass mir alle Beteiligten einhellig versichert haben, dass die Entscheidung so nicht gefallen wäre, hätten wir gegen Regensburg ein Tor mehr geschossen. Das war für mich dann vor allem aktionistisch-opportunistisch. Ich respektiere und akzeptiere das, aber es hat nichts mit meiner Überzeugung von Klubentwicklung und Mitarbeiterführung zu tun.

Haben Sie nach dem Abpfiff gegen Regensburg gespürt, dass es eng werden könnte?

Keller: Ja, ich wusste, worauf das hinausläuft. Es gab direkt mehrere Nachrichten, in denen ich aufgefordert wurde zu handeln. Ich habe denjenigen geschrieben, dass sie eine Nacht drüber schlafen sollen und wir uns am Sonntag in Ruhe unterhalten. Aber mir war klar, dass sich nichts mehr ändert. Die Nachrichten waren teilweise sehr emotional.

Haben Sie Verständnis für die Entscheidung?

Keller: Ich kann verstehen, dass die Angst nicht aufzusteigen, einen in diese Richtung treibt. Aber es passt nicht zu dem, was wir drei Jahre gemacht haben. Ich wurde geholt, damit Solidität und Konstanz einzieht. Dafür haben wir viele unangenehme Entscheidungen getroffen, für die wir teilweise richtig auf die Mütze bekommen haben. Es waren falsche dabei, das ist auch Teil der Wahrheit. Aber wir waren so kurz vor der Ziellinie, nicht nur die finanzwirtschaftliche Sanierung abzuschließen und wieder in der Bundesliga zu sein, sondern auch einen Kulturwandel hinzukriegen. Wir waren kurz davor, uns eine Standhaftigkeit erarbeitet zu haben, wenn ein Sturm aufzieht - und der zieht in Köln öfter mal auf. Ich habe gespürt, dass dieser Widerspruch kein Einmal-Anlass ist, sondern dass er eher wieder die Regel sein soll. Deshalb wusste ich, dass ich nicht weitermachen kann.

Stand der Trainer trotz der vielen dürftigen Leistungen nie zur Disposition?

Keller: Ich finde, vor dem Hintergrund der gezeigten Leistungen hätte man irgendwann im Frühjahr einen Trainerwechsel vornehmen können. Nach dem Karlsruhe-Spiel wäre ein möglicher Zeitpunkt gewesen, weil wir da eine Nichtleistung gezeigt haben. Andererseits hatte ich damals nicht den Gedanken, ich möchte den Trainer wechseln. Diese Mannschaft hatte drei unterschiedliche Trainertypen und alle verschlissen. Angefangen von einem emotionalen, impulsiven Steffen Baumgart, dann ein ruhiger, sachlicher, zielorientierter Timo Schulz und jetzt mit Gerhard Struber eine Mischung aus beiden. Aus meiner Sicht hätte ein Trainerwechsel zu einem früheren Zeitpunkt keinen gravierenden Leistungseffekt gezeigt. Der Hauptgrund für die stark schwankenden Leistungen war, dass es nie gelungen ist, eine leistungskonstante Spielerachse auf den Platz gekriegt haben. Das haben wir weder in der Bundesliga noch in der 2. Liga geschafft.

Woran ist Gerhard Struber gescheitert?

Keller: Wenn man Gerhard eines zur Last legen will, dann sicherlich, dass er es nicht oft geschafft hat, möglichst viele Spieler mitzunehmen. Nicht alle Kaderspieler hatten das Gefühl, dass sie wichtig sind. Das ist die größte und schwerste Herausforderung in der Mannschaftsführung.

Wie haben Sie die beiden entscheidenden Wochen vor dem Aufstieg erlebt?

Keller: Ich habe die beiden Spiele natürlich angeschaut, eines in Köln bei meinen Vermietern im Garten und das andere am Bodensee. Am Aufstiegstag wollte ich nicht in Köln sein, das hätte sich komisch angefühlt. Ich habe mich extrem gefreut, für die Mannschaft, für das Trainerteam, für alle Mitarbeiter und für die Fans. Für mich war es eigenartig, an diesem Tag nicht mehr Teil des Ganzen zu sein.

Hatten Sie nach Ihrem Aus noch mal Kontakt zu den Spielern? Gab es eine Verabschiedung?

Keller: Ja, aber bevor ich auf mich zu sprechen komme, würde ich gerne noch etwas in Sachen Gerhard Struber korrigieren. Es hieß, er hätte keine Möglichkeit gehabt, sich zu verabschieden. Dazu muss ich sagen: Die Freistellungen wurden am Sonntagabend mündlich mitgeteilt und dann war Montag trainingsfrei und am Dienstag war dann schon Training mit Friedhelm Funkel. Da war keine Zeit, außerdem sollten sich die Jungs voll auf den Aufstieg konzentrieren. Da brauchten Struber und Keller keine Plattform, und das war auch nicht die Zeit, um Abschiedstränen zu verdrücken. Es war nicht so, dass man Gerhard Struber oder mir eine Verabschiedung genommen hat. Ich habe mich im Laufe der Woche zwei Tage lang im Geißbockheim persönlich von den Mitarbeitern verabschiedet. Der Mannschaft habe ich eine Abschiedsnachricht in die Spielergruppe geschickt. Es waren etliche Spieler dabei – 85 Prozent der Mannschaft - die mit schönen Nachrichten geantwortet haben. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wie blicken Sie auf Ihre FC-Jahre zurück, was bleibt bei Ihnen hängen?

Keller: Dankbarkeit, dass ich drei Jahre bei einem coolen Klub mit coolen Fans und einer Wucht, die ich so zuvor noch nie erlebt habe, arbeiten durfte. Ich weiß dieses Privileg, Teil der Vereinsgeschichte sein zu dürfen, sehr zu schätzen. Und ich gehe mit dem Gefühl, die an mich gestellte Aufgabe erfüllt zu haben, wenn auch mit kleiner Delle. Der Abstieg war zwar nicht geplant, es war aber allen von vorneherein klar, dass das passieren kann. Ich habe im Innenverhältnis immer gesagt, dass das sportlich richtig weh tun kann, wenn wir diese Sanierung knallhart durchziehen. Und ich habe tolle Menschen kennengelernt, zu denen ich gerne auch in Zukunft Beziehungen und Bindungen aufrechterhalten möchte.

Was waren Ihre größten Fehler?

Keller: Ein großer Fehler war es, in der Sommertransferperiode 2023 nach den Abgängen von Skhiri und Hector keine leistungskonstante Achse auf den Platz zu bringen. Unsere Einschätzung, dass wir fünf Spieler haben, die leistungskonstant agieren und diese Achse bilden könnten, war falsch. Und natürlich haben auch einzelne Transfer-Personalien nicht funktioniert.

Sie sprechen es an: Wie fällt ihre persönliche Gesamtbilanz in Sachen Transfers aus?

Keller: Durchwachsen. Ich würde sagen, wir haben in meiner ersten Sommertransferperiode in 2022 aus Bundesliga-Perspektive fast ausschließlich No-Name-Spieler geholt, weil wir einfach nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten für mehr hatten. Wir haben den Etat massiv heruntergeschraubt, von 60 Millionen in 2021/22 auf nur noch 38 Millionen in 2023/24. Dann muss man in einem anderen Regal einkaufen. Wir hätten aber in diesem anderen Regal sicherlich auch bessere Spieler finden können. Dann kam die Transfersperre: Meine zweite Sommertransferperiode war davon schon betroffen. Wir hatten mehrere interessante, ablösefreie Spieler am Haken, die dann woanders eingeschlagen sind. Meine dritte Sommertransferperiode in 2024 hat wegen der Sperre gar nicht mehr stattgefunden. In Summe waren die Rahmenbedingungen der Kaderplanung ziemlich herausfordernd.

Womit sind Sie zufrieden?

Keller: Einige Spieler haben sich sehr gut entwickelt. Eric Martel etwa, der gerade die deutsche U21 als Kapitän ins Halbfinale geführt hat. Denis Huseinbasic war ein Regionalliga-Spieler, als wir ihn geholt haben, Linton Maina hat sich super entwickelt. Und man darf nicht vergessen, dass wir Spieler verpflichtet haben, die sich die nächsten Jahre sehr positiv auf den FC ausschlagen werden. Ich nehme mal Said El Mala: Da lege ich mich fest, dass er der teuerste Abgang der FC-Historie werden wird. Er ist ein Ausnahmespieler, den wir verpflichtet haben, als ihn kaum jemand gesehen hat.

Wieviel von Ihrer Vorarbeit steckt in der aktuellen Transferphase?

Keller: Grundsätzlich war keine Transferphase unter mir ein Alleingang des Sportgeschäftsführers. Das Scouting hatte jeweils unter Beachtung von Anforderungsprofilen und wirtschaftlichen Rahmendaten Rekrutierungsvorschläge vorbereitet. Dann kamen der Chef-Scout, der Chef-Trainer, Thomas Kessler (damals noch als Bereichsleiter Lizenz) und ich als Hauptverantwortlicher zusammen, um über die Spielervorschläge zu diskutieren. Jeder hatte eine Stimme und wenn einer gesagt hat, wir holen den Spieler nicht, dann haben wir den Spieler auch nicht geholt. Für den jetzigen Sommer hatten wir viele Dinge vorbereitet. Es gab einen Schattenkader, in dem zum Beispiel Ragnar Ache schon lange stand. Wir sind seine Personalie bereits zu Jahresbeginn angegangen. Dass die Verpflichtung dann so schnell nach Saisonende tatsächlich auch gelungen ist, hat etwas mit der Ausstiegsklausel des Spielers zu tun. Ich freue mich, dass Thomas die Verpflichtung final umzusetzen konnte.

Thomas Kessler hat auf dem Mitgliederstammtisch verraten, dass Sie bei Johannesson anderer Meinung waren. Trifft das zu?

Keller: Ja, er war kein Spieler, den das Scouting zunächst ganz vorne gesehen hat. Er ist ein guter Spieler, aber er wäre auch unter Beachtung der beträchtlichen Ablöse nicht meine erste Priorität auf der Achter-Position gewesen. Wir hatten einen anderen Spieler auserkoren, den ich unter meiner Verantwortung gerne finalisiert hätte. Warum diese Personalie letztlich dann nicht geklappt hat, weiß ich allerdings nicht.

Wie war es bei Jonjoe Kenny, mit dem Sie dem Vernehmen nach ebenfalls bereits seit Monaten in Kontakt standen?

Keller: Am Ende der Januar-Transferphase sind direkt die Gespräche für Sommer losgegangen. Kenny war ein für uns interessanter Spieler, der auch den FC interessant fand. Prämisse war für ihn, dass wir in die Bundesliga aufsteigen. Das war im Übrigen die Voraussetzung bei allen Spielern, mit denen wir gesprochen haben. Aus dieser Perspektive war es ärgerlich, dass wir den Aufstieg nicht schneller realisiert haben, sonst wären viele Entscheidungen sicherlich früher möglich gewesen. So hat Thomas jetzt einen anstrengenden Sommer vor sich.

Zur Kaderplanung gehört auch zu schauen, was in den eigenen Reihen los ist. Hätten Sie bei Youngstern wie Damion Downs oder Tim Lemperle früher Nägel mit Köpfen machen müssen?

Keller: Ich finde, da macht man es sich in Köln teilweise zu leicht. Es gibt ab und an den Irrglauben, dass man die Spieler einfach mit Geld zuschütten kann, und dann wird alles gut. Aber am Schluss hat jeder Spieler seinen eigenen Kopf und entscheidet mit. Nehmen wir das Beispiel Justin von der Hitz. Der Junge hat eine brutale Entwicklung hingelegt, die so nicht absehbar war und die erst dadurch zustande gekommen ist, dass wir ihn von rechts hinten nach vorne auf die offensive Außenbahn gestellt haben. Wenn sich Justin unseren Kader anschaut, sieht er da Linton Maina und Jan Thielmann, also zwei gestandene FC-Spieler. Dann weiß er, dass Said El Mala kommt, der nochmal eine andere Talentkategorie und auch nochmal ein Jahr jünger ist. Und dann weiß er - und diese Antwort kriegt er dann sehr offen und ehrlich - dass auf der Position nochmal ein Spieler geholt werden soll, der bestenfalls Bundesliga-Format hat. Da liegt es nahe, dass er zum Ergebnis kommt, dass es für ihn herausfordernd sein könnte, Spielzeit zu kriegen.

…und im Fall von Downs? Hätte man den Vertrag nicht schon vor der Saison verlängern können, um nicht wie jetzt in die Bredouille zu kommen?

Keller: Es muss doch aber auch der Weg sein, Spieler zum richtigen Zeitpunkt abzugeben. Damion Downs hat ein Verlängerungsangebot vorliegen, da würden alle mit den Ohren schlackern. Die Entscheidung liegt nun beim Spieler. Die FC-Gespräche mit seiner Agentur und ihm laufen bereits seit Spätherbst. Damion hatte damals schon den Anspruch, Bundesliga zu spielen und nur für den Erstligafall zu verlängern. Dann müssen gewünschte Rahmendaten wie beispielsweise Ausstiegsklauseln aber auch für den FC lohnenswert sein, ansonsten kann es unter Umständen attraktiver sein, einen Transfer zu realisieren und mit dem Transfererlös einen neuen Spieler mit ähnlichem oder bestenfalls besserem Leistungsniveau zu verpflichten.

Würden Sie also nicht sagen, dass Sie bei jungen Spielern zu zögerlich waren?

Keller: Der FC hat in seiner Historie genug Personalentscheidungen getroffen, bei denen sehr frühzeitig jungen Spielern horrende Verträge gegeben wurden und die Spieler das in ihrer Leistungsentwicklung anschließend nicht bestätigen konnten. Das ist unter anderem ein Grund, warum der Klub finanzwirtschaftlich in Schieflage geraten ist. Ich habe den Ansatz im Sinne langfristigen Managements, erst Leistungsentwicklung, dann vertraglich nachziehen und nicht andersrum. Da liege ich im Einzelfall auch mal falsch. Aber ich finde, dass wir gerade bei jungen Spielern viele gute Entscheidungen getroffen haben.

Wenn Sie persönlich Bilanz ziehen: Finden Sie, dass Sie in mancher Hinsicht zu dogmatisch oder zu prinzipientreu waren?

Keller: Einen Fußballclub kann man ausgerichtet am Tagesgeschäft sehr aktionistisch und opportunistisch führen. Wenn man einen Klub allerdings langfristig in eine stabile Richtung entwickeln will, dann kommt man nach meiner festen Überzeugung nicht um eine werte- und prinzipienorientierte Führung herum. Das ist mein Ansatz und es mag dem einen oder anderen als dogmatisch vorgekommen sein. Mir hat mal ein Spielerberater gesagt: ‚Keller, früher habe ich hier das Geld mit der Schubkarre rausgefahren, jetzt brauche ich nur noch einen Rucksack dafür.‘ Dass dieser Spielerberater und andere den eingeschlagenen Weg nicht gut fanden, das versteht sich von selbst. Aber mittel- bis langfristig helfen Prinzipien und ein werteorientiertes Vorgehen weiter. An dem Punkt kann man sich sich gerne an mir reiben. Als Manager interessieren mich primär nicht kurzfristige sportliche Ergebnisverläufe. Mich interessiert, wie wir ein Fundament bauen können, um die Klubentwicklung über zwei, drei, vier, fünf Jahre in die Richtung lenken, damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, regelmäßig sportlichen Erfolg zu haben. Wenn ich mir anschaue, was wir in den drei Jahren unter meiner Verantwortung vorangebracht haben, muss ich sagen, dass der FC heute weitaus besser dasteht als zuvor. Ich freue mich auch, wenn die Berater nicht mehr mit der Schubkarre voller Geld vom Geißbockheim wegfahren.

Weil Sie den Berater ansprechen. Ihr Ruf unter Beratern ist nicht der Beste…

Keller: Ich habe kein Problem, wenn ich anecke. Wenn es der Sache bzw. dem FC dient, dann gehe ich in die Konfrontation. Ich muss nicht mit Spielerberatern befreundet sein. Am Schluss reden wir über eine geschäftliche Beziehung bzw. wirtschaftliche Handlung. Es ist nicht meine Aufgabe, einem Berater mit einer schönen Provision das nächste Boot auf Mallorca zu finanzieren, um dann zur Bootstour eingeladen zu werden. Da haben wir viele bewährte Muster aufgebrochen. Wer Muster aufbricht, macht sich nicht nur Freunde.

Gibt es keine Zwischentöne?

Keller: Es gibt Fälle, in denen Prinzipien Spielräume bieten und wie Leitplanken sind, zwischen denen man sich bewegen kann. Ein gutes Beispiel war der neue Vertrag für Luca Kilian nach seinem zweiten Kreuzbandriss. Da geht es um den Menschen, die Bindung zum FC und die Wirkung auf die Mannschaft und nicht darum, dass Vergütung und sportliche Leistungsfähigkeit in Einklang stehen.

Wie sehen Sie den FC aktuell vom Kader her für die Bundesliga aufgestellt. Was braucht es noch, um in der Bundesliga zu bestehen?

Keller: Thomas Kessler hat es gesagt. Es darf da keine Denkbarrieren geben. Dem FC tut es in jedem Mannschaftsteil gut, wenn die Mannschaft verstärkt wird. Ein paar Spieler mit konstantem Leistungsvermögen auf Erstliganiveau sollten daher schon noch dazukommen. Johannessen und Ache müssen ihre Qualitäten erst einmal in der Bundesliga beweisen. Andererseits glaube ich, dass der eine oder andere junge Spieler nochmal einen Schritt gehen kann.

Wen haben Sie da im Auge?

Keller: Bei Said El Mala habe ich wie schon gesagt ganz viel Fantasie, dass er schnell auch in der Bundesliga funktioniert. Es gibt zudem auch ein paar Spieler, die durch den Aufstieg etwas weniger mentale Last mit sich rumtragen und sich deshalb weiterentwickeln sollten.

Beim Thema Leistungskonstanz und Achsenspieler fällt einem sofort der Name Eric Martel ein. Sie kennen ihn, seit er zwölf Jahre alt ist. Wie ist Ihr Gefühl, bleibt er beim FC?

Keller: Eric ist bodenständig, aber auch sehr ehrgeizig und ich kann mir vorstellen, dass er gerade nach einer guten U21-EM den nächsten Schritt gehen möchte. Ich würde ihm dennoch anraten, für seine weitere Entwicklung noch mindestens ein Jahr den Geißbock auf der Brust zu tragen.

Thomas Kessler führt die Verhandlungen. Finden Sie, dass er Ihr logischer Nachfolger ist?

Keller: Ja, Thomas zu befördern, war die einzige mögliche Maßnahme, damit der FC kurzfristig handlungsfähig bleibt. Wer hätte das denn sonst machen sollen? Thomas war in alles involviert, hat in der Vergangenheit jede sportliche Entscheidung mitgetroffen, war bei den Gesprächen mit Spielern und Trainern immer dabei. Die aktuelle Transferperiode hat er mitgeplant. Ein anderer Nachfolger hätte erst ausgesucht und dann eingearbeitet werden müssen. Da hätte der FC sehr viel wertvolle Zeit verloren, die es aktuell nicht gibt.

FC-Sportdirektor Thomas Kessler (l.) und sein Vorgänger, Geschäftsführer Christian Keller diskutieren beim Heimspiel gegen Preußen Münster.

FC-Sportdirektor Thomas Kessler (l.) und sein Vorgänger, Geschäftsführer Christian Keller diskutieren beim Heimspiel gegen Preußen Münster.

Hat er die Chance verdient, sich profilieren zu dürfen?

Keller: Thomas kennt den Klub, den Standort und beide sind nun einmal besonders. Er konnte mir sagen, wie sich Stimmungslagen entwickeln oder welche Stimmungslagen zu berücksichtigen sind. Er muss sich seine Sporen aber natürlich noch verdienen. Es ist etwas ganz anderes, ob man mitentscheidet oder ob man eine Entscheidung auch verantworten muss. Die Voraussetzungen für seinen Aufstieg in die erste Reihe sind aber exzellent. Es geht dem FC in vielerlei Hinsicht so gut wie seit langer Zeit nicht mehr. Thomas hat daher viele Gestaltungsmöglichkeiten.

Wie bewerten Sie, dass er sich Lukas Berg ins Boot geholt hat?

Keller: Das ist absolut richtig. Thomas besitzt eine gute Selbstreflexion. Er weiß, dass konzeptionelle, organisatorische und prozessuale Themen im Innenverhältnis nicht sein Steckenpferd sind. Lukas Berg ist da gut aufgestellt und die richtige Unterstützung für Thomas. Die beiden ergänzen sich gut.

Der neue FC-Trainer heißt Lukas Kwasniok. Wäre er unter Ihnen auch Trainer geworden?

Keller: Gerhard Struber wäre unter meiner Verantwortung als Trainer in die neue Saison gegangen und hätte die Chance bekommen, nach einer hoffentlich guten Transferphase, zu zeigen, dass er ein Trainer sein kann, der einer Mannschaft eine nachhaltige Handschrift gibt. Die Aufgabe für ihn war brutal schwer. Er hatte eine Abstiegsmannschaft, die wegen der Transfersperre ohne externe Neuzugänge auskommen musste und nur durch eigene Nachwuchsspieler angereichert wurde. Die Erwartungshaltung war trotzdem, dass wir aufsteigen. Gerhard hätte es verdient gehabt, weiter machen zu dürfen.

Was halten Sie von der Entscheidung Lukas Kwasniok?

Keller: Es ist eine nachvollziehbare Entscheidung. Lukas hat bei allen seinen Stationen gezeigt, dass er mit unterdurchschnittlicher Spielerqualität Überdurchschnittliches rausholen kann. Seine Mannschaften spielen einen strukturierten Fußball, der auch zur Spieleidee des FC passt. Vom Typ her passt er als emotionaler Trainer, der nicht um einen Spruch verlegen ist, ebenfalls. Trotzdem muss Lukas aufpassen und sich entwickeln, denn in Köln hallen Aussagen mehr nach als in Paderborn.

Stand er auch bei Ihnen auf der Liste?

Keller: Er stand immer auf unserer Liste und ist jetzt hoffentlich bereit für diesen großen Schritt. Am Ende ist es in Köln immer eine entscheidende Frage, wie man mit der Wucht des Standortes zurechtkommt.

Was hat diese Wucht mit Ihnen gemacht?

Keller: Im Showgeschäft Profifußball allgemein und am Standort Köln ganz besonders, ist es für Verantwortliche aus meiner Sicht sehr entscheidend, immer gleich groß zu bleiben, d.h. sich im Erfolg nicht größer und im Misserfolg nicht kleiner zu machen als man ist. Man muss eine innere Stabilität haben, wenn man dem FC gewachsen sein will. Sonst vereinnahmt er einen zu stark. Im Sommer 2024 hat ein Fan auf nette Weise zu mir gesagt, dass die Kölner böse auf mich sind und hat es so erklärt: Der FC ist Teil fast jeder Familie in Köln und sitzt mit am Essenstisch. An unserem Essenstisch kriegt jeder etwas zu essen und sie haben dem FC zu wenig gegeben. Gucken sie, dass das Essen wieder besser schmeckt. Diese tiefe Verbindung zwischen Standort und Klub beschreibt die Wucht des FC recht gut.

Wie haben Sie die teils heftige Kritik so lange ausgehalten?

Keller: Zu meiner Aufgabe als Geschäftsführer gehört, dass ich professionell auftreten und Resilienz vorleben muss. Aber die Kritik macht natürlich trotzdem was mit mir. Man muss mich allerdings sehr gut kennen, um mir das anzumerken. Sport machen hilft mir dann, um die innere Balance wiederherzustellen. Oder es bekommen diejenigen meinen Frust ab, die es nicht abbekommen sollten, also Familie und Freunde. Da habe ich mich über die Jahre aber zumindest verbessert.

Wie tief ist der FC in Ihnen verwurzelt?

Keller: Die drei Jahre haben mich geprägt. Ich bin Fan und seit meinem ersten Tag beim FC lebenslanges Mitglied. Meine FC-Liebe ist groß, aber nicht allumfänglich. Es hätte noch ein paar Gestaltungsmaßnahmen gebraucht, damit sich die Liebe lohnt und ich nicht permanent von ihr enttäuscht werde. Es gibt beim FC Strukturelemente, die einem das Messer ins Herz stoßen und die Liebe immer wieder brutal wehtun lassen.

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Keller: Die Sanierung ist abgeschlossen, der FC ist Bundesligist und die U19 ist Meister geworden. Konzeptionell, organisatorisch und infrastrukturell ist der Klub große Schritte nach vorne gegangen. Jetzt geht es um die Governance Strukturen. In den FC-Gremien wird die Liebe immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Da zerstört sich das System von innen heraus, weil zu viele Menschen involviert sind, ohne dabei einem einzelnen Akteur einen Vorwurf machen zu wollen. Das Problem sind zunächst einmal die Satzungs- und Gremienstrukturen, die es zu professionalisieren gilt.

Kommt bei Ihnen auch wegen des Zeitpunkts der Freistellung Wehmut auf?

Keller: Ja, denn bis dato war es bereinigen, aufräumen und ab jetzt ist es gestalten. Das Haus ist saniert und die Zimmer neu. Jetzt fängt es an, richtig Spaß zu machen. Das hätte ich gerne gemacht, aber nicht auf Kosten meiner eigenen Glaubwürdigkeit.

Wenn Sie könnten, würden Sie etwas anders machen?

Keller: Ich würde mich vor meiner Entscheidung für den FC mehr mit ihm beschäftigen, mir manche Inhalte wie etwa die Bilanzen genauer anschauen. Es war, und das ist atypisch für mich, damals eine primär emotionale Entscheidung, weil sich der FC seit 2019 über einen langen Zeit intensiv um mich bemüht hatte.

Zum 30. Juni endet Ihr Arbeitsverhältnis mit dem 1. FC Köln. Wie ist die Auflösung Ihres noch bis März 2026 gültigen Vertrages aus Ihrer Sicht gelaufen?

Keller: Ich hatte eine Abfindungsklausel im Vertrag. Der Betrag ist aber niedriger als der, den der Vorstand bei meiner Einstellung vorgeschlagen hat. Ich wollte nach meiner Zeit in Regensburg erst zum 1. April anfangen, was nicht so großartig für den FC war. Der Fußball dreht sich so schnell, da kann man nicht vier, fünf Monate warten. Ich habe gesagt, sie sollen jemand anderes nehmen, aber der Vorstand wollte das unbedingt machen. Ich bin deshalb bei der Abfindungsklausel entgegengekommen. Die Summe liegt unter dem Standard und ist aus FC-Sicht gut.

Sie werden vom 1. FC Köln ein Arbeitszeugnis erhalten. Welche Note würden Sie sich selbst geben?

Keller: Der Auftrag ist erfüllt. Der FC ist ein sanierter Erstligist und in vielen Bereichen massiv weiterentwickelt. Der zwischenzeitliche Schmerz des Abstiegs verschlechtert die Abschlussnote aber leider, auch wenn der Abstieg schnellstmöglich korrigiert wurde. Lassen Sie uns im Ergebnis daher auf eine 2 minus verständigen (lacht).