Natascha Kampusch 25 Jahre nach Entführung„Ich scheine zu polarisieren“

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Schaut optimistisch in die Zukunft: Natascha Kampusch.

Schaut optimistisch in die Zukunft: Natascha Kampusch.

Ihr Fall machte weltweit Schlagzeilen: 3096 Tage lang war Natascha Kampusch in den Händen eines Entführers. 25 Jahre nach dem Kidnapping auf dem Schulweg ist die Autorin selbstbewusst und optimistisch.

Die Gedanken an die Entführung kommen zwar immer wieder hoch, aber ihr Schicksal scheint Natascha Kampusch nicht mehr zu belasten. „Die Tat hat die Richtung meines Lebens bestimmt, aber sie war nicht lebensbestimmend“, sagt die 35-jährige Österreicherin. Heute vor 25 Jahren, am 2. März 1998, wurde sie auf dem Schulweg entführt und achteinhalb Jahre in einem Verlies bei Wien gefangen gehalten.

Heute ist sie Autorin. Nach drei Büchern rund um ihre 3096 Tage währende Gefangenschaft und deren Folgen will sie anderen Menschen in ihrem vierten Buch „Stärke zeigen“ Hinweise für ein gelingendes Lebens geben. „Mein Buch soll kein Ratgeber sein, sondern eher ein sanftes Hinweisen darauf, sich selbst kennenzulernen und so seine Stärken zu entdecken“, sagt Kampusch.

Natascha Kampusch wirkt sortiert und besonnen

Vielleicht fehle ihr manche Lebenserfahrung, aber „die Gefangenschaft hat mich nicht gehindert, Reife und Wissen zu entwickeln“, sagt die sehr sortiert und besonnen wirkende Frau. Ihr Fall hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Am 23. August 2006 nutzte Kampusch in Strasshof bei Wien einen günstigen Moment, um ihrem Peiniger zu entfliehen.

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Als Zehnjährige war sie gekidnappt und in ein fünf Quadratmeter kleines, fensterloses Verlies, das mit einer dicken Stahltür nach außen abgesichert war, gesteckt worden.

Die Gefangenschaft hat mich nicht gehindert, Reife und Wissen zu entwickeln.
Natascha Kampusch über ihre Zeit als Gefangene

Der Täter, der Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil, wollte sie zu einer Frau ganz nach seinen Vorstellungen formen. Als Kampusch die Flucht gelingt, bringt sich der 44-jährige Priklopil um.

Die wiedergewonnene Freiheit hatte für Kampusch nicht nur helle Seiten. Einerseits erfährt sie viel Anteilnahme und echtes Interesse an ihrem Schicksal, andererseits erlebt sie auch Angriffe und Neid.

Viele Anfeindungen im Internet

Speziell im Netz hätten ihr Menschen vorgeworfen, sie sei mediengeil und geldgierig, erinnert sich die 35-Jährige. „Ich scheine zu polarisieren.“ Sie schreibt Bücher und entwirft eine Schmuck-Kollektion – und hat den Anspruch, Gutes zu tun. „Ich wollte immer schon karitativ tätig sein.“ So habe sie in Sri Lanka den Bau eines Kinderkrankenhauses finanziert.

Ihre Geschichte gilt als der Fall der längsten Freiheitsberaubung eines Kindes ohne Todesfolge in Europa. Im Alter von zehn Jahren entführt – im Alter von 18 Jahren geflüchtet. Dazwischen muss Kampusch in ihrem Verlies hausen und immer hoffen, dass ihr Peiniger sie mit Essen und Trinken versorgt. Als Jugendliche kettet Priklopil sie mit Handschellen an sich und missbraucht sie sexuell. Später lässt er ihr mehr Freiraum. Das Mädchen übernimmt Putz- und Küchendienste, darf die anderen Stockwerke des Hauses betreten.

Kampusch erlebte viel Gewalt

Schlimm seien Priklopils gewalttätige Ausbrüche gewesen, schreibt Kampusch in ihrem Tagebuch: „Mehrmals auf mich eingeprügelt, schwarze Blutergüsse unterhalb der Schulterblätter und entlang des Rückgrats.“ Im Februar 2006 wird Kampusch 18 Jahre alt. In den folgenden Monaten darf sie in den Garten, zum Bäcker, in den Baumarkt. Priklopil hatte Kampusch ihrer Aussage nach mit der Drohung eingeschüchtert, sie umzubringen, falls sie flüchtet. Schließlich wagt sie es dennoch.

Nach dem glücklichen Ende zeichnet sich immer mehr ab, dass die Behörden wohl schlampig ermittelt haben. Laut späterer Analyse werden wichtige Hinweise übersehen, oder es wird nicht genau genug hingesehen. So sagen Zeugen, dass Natascha in einen weißen Kastenwagen gezerrt wurde. Kurz darauf wird der weiße Kastenwagen von Priklopil überprüft, aber nichts Verdächtiges gefunden. Am 14. April gibt ein Polizist, der Priklopil vage kennt, den Tipp, der Nachrichtentechniker sei ein „Eigenbrötler“ mit sexuell motiviertem „Hang zu Kindern“. Es ist ein Täter-Profil par excellence, geliefert von einem Polizisten – doch die Spur versandet.

Kampusch hätte möglicherweise schon sechs Wochen nach ihrer Entführung wieder frei sein können. Eine spätere Kommission unter Vorsitz des damaligen Chefs des deutschen Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, prangerte – wie andere Kommissionen auch – die Fehler der Ermittler an.

Die 35-Jährige, die in Wien lebt, schaut nach vorne. Sie habe ihren Energiespeicher wieder gefüllt. „Ich bin viel in der Natur und verbringe Zeit mit meinem Pferd.“ Sie wolle endlich mehr mit Menschen arbeiten und vielleicht ein Praktikum im sozialen Bereich machen, sagt sie. Auch in Sachen Sport will sie aktiver werden. „Ich bin positiv und hoffnungsvoll.“ (dpa)

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