Interview mit Nabu-Chef„Naturschutz und Klimawandel werden gegeneinander ausgespielt“

Lesezeit 4 Minuten
Die Rotoren von Windkraftanlagen drehen sich nach Sonnenuntergang.

Streitthema Windkraft: Der Nabu-Chef kritisiert, dass das Artensterben weniger im Fokus steht als der Klimawandel.

Naturschutzbund-Präsident Jörg-Andreas Krüger rechnet im Interview mit den Energiewende-Plänen der Bundesregierung ab. Besonders von zwei grünen Ministern ist er enttäuscht.

Herr Krüger, die Bundesregierung zündet den Windkraft-Turbo: Mehr Windenergie für Deutschland möglichst schnell. Was ist mit dem Naturschutz?

Unsere Sorge ist sehr groß, dass der Naturschutz unter die Räder kommt. Bei den ganzen Beschleunigungsgesetzen zum Ausbau der erneuerbaren Energie ist handwerklich schlecht gearbeitet worden. Es gibt zweifelsohne Gebiete, die gut für Windkraft geeignet sind, wo es auch keine Konflikte mit dem Artenschutz geben wird. Aber so etwas spielt plötzlich keine Rolle mehr. Es soll mit hohem Druck so viel Windkraft wie eben möglich im Land untergebracht werden. Selbst Landschaftsschutzgebiete sind inzwischen kein Tabu mehr. Da wird mit der Brechstange gearbeitet. Wer alles beschleunigt, beschleunigt auch das Artensterben.

Der Artenschutz gilt und galt als Bremsklotz in der Energiewende, der Rotmilan war dafür das Symboltier. Weil der Raubvogel vom Aussterben bedroht ist, konnte vielerorts kein Windrad gebaut werden oder wurden Genehmigungen vor Gericht gekippt. Geht es dem Milan nun an die Federn?

So einfach ist das nicht. Der Rotmilan gilt auch weiterhin als kollisionsgefährdet. Er ist also weiterhin schutzwürdig. Windräder dürfen nur mit großem räumlichen Abstand gebaut werden. Zumindest auf dem Papier. Aber: Es ist so viel gleichzeitig gemacht und geändert worden bei den rechtlichen Vorgaben, dass niemand in den Behörden weiß, was gerade eigentlich gültige Rechtslage ist. Im Zweifel werden da also Dinge durchgewinkt, die so nicht rechtens sind. Das ist es, was mich so besorgt. Bei anderen Vögeln ist es aber tatsächlich so, dass der Schutzstatus jedenfalls für den Ausbau der Windkraft an Land ausgesetzt ist. Ungeachtet des Artensterbens.

Zumindest für 18 Monate wird dem Ausbau der erneuerbaren Energien Vorrang vor dem Artenschutz eingeräumt. Danach soll wieder der strenge Schutz jedes einzelnen Individuums einer bedrohten Art gelten. Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten dafür grünes Licht gegeben.

Was hier passiert: Naturschutz und Klimawandel werden gegeneinander ausgespielt, Naturkrise und Energiekrise zum Gegensatz gemacht. Dabei ist unbestritten, dass das Artensterben für die Menschheit ebenso existenzbedrohend ist wie der Klimawandel. Es ist nicht der Rotmilan, der den Ausbau der Windkraft verzögert. Es ist der Genehmigungsstau in den Behörden, es sind die Lieferprobleme von Windrad-Herstellern. Das wird in 18 Monaten nicht viel besser sein. Realistischerweise wird der Ausbau erst danach an Fahrt aufnehmen.

Aber ist es nicht schon so, dass es mit dem Artenschutz in Deutschland in der Vergangenheit etwas übertrieben wurde?

Übertrieben würde ich nicht sagen, denn den Arten geht es ja immer noch schlecht. Die rote Liste ist immer noch lang. Was es aber gegeben hat: Dort, wo es bislang wenig Windkraft gegeben hat, wird intensiver auf den Artenschutz und mögliche Auswirkungen geschaut – etwa in Süddeutschland. Im Norden, in Ostfriesland etwa oder in Schleswig-Holstein entlang der Nordsee-Küste, gibt es schon sehr lange Windenergie. Da blickt man anders auf das Thema.

Dass ein Umweltschützer grünen Ministern vorhält, den Artenschutz zu gefährden, wäre vor einem Jahr, also vor dem Ukraine-Krieg, undenkbar gewesen…

Ich bin schwer enttäuscht von Robert Habeck und Steffi Lemke, sie tragen als Grüne die Schwächung des Artenschutzes mit. Aber natürlich muss man auch anerkennen, dass sie in einer Koalition mit SPD und FDP regieren. Und die haben derzeit überhaupt kein Interesse am Artenschutz, ihr Motto scheint stattdessen zu sein: Planungsbeschleunigung, koste es, was es wolle! Dabei wird die Akzeptanz der Energiewende vor Ort aufs Spiel gesetzt. Im Frühjahr 2022 standen viele Menschen angesichts des Krieges noch unter Schock. Da wurde vielleicht gar nicht so genau realisiert, was die Politik da vorantreibt: Versorgungssicherheit first, Klimaschutz second, Artenschutz unter „ferner liefen“.

Sie prognostizieren also mehr Widerstand?

Die Bundesregierung setzt die Akzeptanz aufs Spiel. So langsam scheint es aber vielerorts zu dämmern, was da passieren wird. Den Menschen ist das demokratische Mitspracherecht über die Ausgestaltung ihres Lebensraumes genommen worden. Aber ich bin der Überzeugung: Energiewende lässt sich nicht gegen die Menschen vor Ort machen.

Die Bundesregierung denkt schon weiter und zeigt sich offen für die Einspeicherung von CO2. Die Dänen preschen vor und planen dies in der Nordsee. Ist das okay?

Ich habe größte Zweifel, was diese Technologie angeht. Wofür und in welchem Umfang braucht es die überhaupt? Das muss die Bundesregierung erst einmal belegen. Ich sehe die Gefahr: Durch die CCS-Technologie wird die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft lediglich hinausgezögert, eher ein billiger Ausgang gesucht, und Klimaneutralität hinausgezögert. Keine Carte blanche für CCS!

Rundschau abonnieren