Kai Berthold betreibt mit anderen in Ehrenfeld eine genossenschaftlich geführte Kneipe. Bernd Imgrund sprach mit ihm über Demokratie, Mitbestimmung und Schaffensdrang
Genossenschafts-Kneipier„An der Theke sind in Köln alle gleich“

Kai Berthold in der Genossenschaftskneipe in Ehrenfeld
Copyright: Costa Belibasakis
Wir treffen uns morgens um 9.30 Uhr in einer Kneipe. Was verbinden Sie mit dem Wort Frühschoppen?
Kenne ich noch von meinem Opa. Das bedeutete, sonntags morgens in die Kneipe und ein paar Bierchen trinken. Der Deal mit meiner Oma sah, wenn ich es recht erinnere, vor, dass er pünktlich zum Mittagessen wieder zu Hause ist.
Gab es in Ihrer Kneipe mal Überlegungen dahingehend?
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Nur scherzhaft. Am Anfang stellte sich eher die Frage, zu welchen Zeiten wir die Bar vollkriegen.
Nicht erst der Fall Lemperle machte deutlich, dass die jüngere Generation dem Day-Drinking frönt.
Ja, damit habe ich auch Erfahrung. (lacht) Ist allerdings länger her, ich bin Vater geworden.
Was ist bei der Gründung einer Genossenschaft die größte Hürde?
Zuerst geht man durch eine Gründungsprüfung, man muss nachweisen, dass man ein tragfähiges Geschäftskonzept hat. Das kostet Zeit und normalerweise auch Geld, hat aber den Vorteil, dass man nicht mit ganz dummen Ideen auf die Straße geht und schon auf den ersten 100 Metern scheitert.
Wie viele Mitglieder haben Sie inzwischen? Und wie viele davon sind Männer?
Rund 280, etwa zwei Drittel sind männlich. In den arbeitsintensiven Bereichen sind wir allerdings ausgeglichen besetzt.
Kann man in Ihre Genossenschaft nur einen bestimmten Betrag einlegen?
Man kann bis zu 16 Anteile à 250 Euro erwerben, das sind dann 4000 Euro. Allerdings hat man unabhängig von seinen Anteilen nur eine Stimme.
Schütten Sie Dividenden aus?
Aus den Miesen sind wir raus, nachdem wir kurz nach der Gründung ins Coronaloch gefallen waren. Ich bin mir aber nicht sicher, ob unser Projekt jemals Dividenden ausschütten wird. Das ist hier halt eine kleine Kneipe mit einem sehr überschaubaren Umsatz und Gewinn. Wenn man den durch unsere insgesamt 420 Anteile teilt, bleibt nicht viel übrig. Uns geht es aber ohnehin weniger um Geld als um Gemeinschaft und Demokratie.
Wie entscheiden Sie bei Dissens, etwa im dreiköpfigen Vorstand?
Grundsätzlich liegt die Entscheidungsgewalt bei den Mitgliedern. Einmal im Monat tagt das Plenum, in dem Probleme und Vorschläge eingebracht werden können. Das Plenum entscheidet dann darüber, ob die Sache vor Ort entschieden, delegiert oder an die gesamte Genossenschaft weitergegeben werden soll.
Worum rankte sich Ihre bislang härteste Diskussion?
Um den Namen. Das Kneipenprojekt, das ich 2015 mit meinem Freund Jan begonnen habe, hieß einfach Trink–Genosse, mit einer gewissen Doppeldeutigkeit. Als es dann 2018 konkreter wurde, kam die Frage auf, warum nur die männliche Form? Bald gab es verschiedene Workshops, die das Thema verhandelt haben.
Was kam dabei heraus?
Letztlich haben wir uns dazu entschlossen, eine fluide Identität zu wählen. Unser Leuchtschild draußen sagt „Trinkgenoss“, und dann leuchtet am Ende abwechselnd ein -e, ein -in und ein -x auf.
Erinnert mich an das Reissdorfmännchen vom Rudolfplatz. Sehen Sie sich als Sozialist?
Schwierige Frage. Ich glaube, ich bin am ehesten Demokrat. Mein größtes Anliegen hier ist es, ein demokratisches Wertekonstrukt mit Solidarität und Gleichheit auf die Beine zu stellen.
Was unterscheidet Ihr Genossenschafts-Management von dem bei Mercedes-Benz?
Ich kenne die Verhältnisse bei Mercedes-Benz nicht. Aber ich vermute, dass wir als Unternehmen wesentlich transparenter auftreten, wesentlich mehr Mitbestimmung ermöglichen.
Zur Bar kommt bei Ihnen das Engagement für eine genossenschaftliche Kaffeerösterei. Sie interessieren sich für Stadtplanung, sind Designer, Künstler und halten Vorträge. Verheddern Sie sich manchmal in Ihrem Lebenslauf?
Es ist tatsächlich Freud und Leid meines Lebens, dass ich an sehr vielen unterschiedlichen Projekten arbeite. Finanziell ist das natürlich nicht immer so ganz safe, aber es ermöglicht mir auch, wilde Ideen umzusetzen. So betreibe ich zum Beispiel ein Krematorium für schlechte Erinnerungen, ein Performance-Akt quasi.
Eröffnen Sie mal eine eigene Kneipe?
Definitiv nicht, zumindest nicht als Wirt! Aber ich hätte schon Bock, in der Hinsicht noch mal richtig anzugreifen. Also Trink—Genosse als Blaupause so fertig zu machen, dass man das Projekt anderen Menschen in die Hand drücken kann.
Für Geld?
Ja klar, aber das muss nicht unbedingt von den Leuten kommen. Wir sind selbst weiter auf der Suche nach Fördermitteln, etwa an der Uni Köln, um unsere Demokratiearbeit zu pushen und vielleicht auch wissenschaftlich zu begleiten.
In Köln kennt man Genossenschaften vor allem aus dem Wohnungsbaubereich. Was kann diese Gesellschaftsform für eine Stadt bringen?
Im Bereich der Wohnungsgenossenschaften bringt sie der Stadt erst mal bezahlbaren Wohnraum. Grundsätzlich haben Genossenschaften das Potenzial der Bedürfnisbefriedigung und sie tragen dazu bei, dass Menschen sich demokratisch einbringen.
Im Studium haben Sie an einem Projekt zur Gentrifizierung in Kapstadt teilgenommen? Wie sieht es in Ehrenfeld aus?
Wenn es nicht ganz anders läuft als allgemein vermutet, dann wird sich Ehrenfeld immer weiter gentrifizieren. Die Mieten werden steigen und Menschen mit niedrigeren Einkommen sukzessive aus dem Viertel hinausbefördern. Ganz so einfach ist es mit der Gentrifizierung allerdings nicht, dabei entwickelt sich ja auch Schönes.
Wie meinen Sie das?
Dass wir zum Beispiel hier eine Kneipe gründen, belebt ja den Stadtteil. Davon profitiert die Nachbarschaft, das fördert die Kommunikation. Ich glaube, das Mittel gegen die Vertreibung der Altbewohner ist nicht, die Künstler fernzuhalten, sondern beispielsweise die Mietpreise effektiv zu deckeln.
Zum Thema „Kommunikation“ haben Sie einen Tisch entworfen, den Sie „Kleine Gesellschaft“ nennen.
An diesem sechseckigen Tisch kann man nur gemeinsam sitzen, weil er unten labil auf einer Halbkugel ruht. Das heißt, wenn man sich auf eine Seite setzt, dann kippt man einfach, wie bei einer Wippe. Zu zweit wird es schon einfacher, und dann mit jeder zusätzlichen Person. Aber es wird zugleich auch schwieriger, weil du miteinander kommunizieren musst. Wenn die eine Person schwerer ist als die anderen, musst du dieses Ungleichgewicht permanent ausgleichen.
Wer immer sein Bier anhebt, bringt alle anderen in Bewegung. Gibt es den Tisch noch?
Ja, ich vermiete den auch. „Kleine Gesellschaft“ meint, gesellschaftliche Prinzipien des Miteinanders im kleinen Kontext und auch körperlich erfahrbar zu machen. Der Tisch ist quasi der kleinste Lehrstuhl für Gesellschaftskunde. (lacht)
Sie reden auch von der Kneipe als „Demokratie-Lernort“. Was ist da gemeint?
Am Anfang steht die Behauptung, dass unsere Demokratie in einer großen Krise steckt, in Deutschland und weltweit. Ein Grund dafür ist, dass die Menschen in ihrem Alltagsleben sehr wenige Demokratieerfahrungen machen. Familie ist meist nicht demokratisch, Schule nicht und die Arbeit erst recht nicht. Wir leben also vor allem in hierarchisierten Zusammenhängen. Die Genossenschaft präsentiert da ein Gegenmodell. Um dem einen Ort zu geben, sind wir auf die Bar gekommen.
An der Theke sind alle gleich?
Genau, und man spricht auch mal ein bisschen gelöster. In die Genossenschaft kann sich jeder einbringen und mitgestalten. Wobei manche natürlich auch nur Mitglied werden, weil die Kneipe gleich nebenan liegt. Das ist völlig okay.
Was kostet hier ein Kölsch?
2,20 zur Zeit. Ich selbst trinke allerdings nur glutenfreies Bier, weil ich eine Unverträglichkeit habe.
Zahlen Mitglieder weniger?
Wir erlauben uns zwanzig Prozent Rabatt, aber das ist erstmal eine Testphase. Unsere Getränkedemokratie sieht auch vor, dass wir über die Auswahl gemeinsam entscheiden. Unser Helles zum Beispiel resultiert aus unserem ersten Getränke-Demokratie-Prozess, inklusive einer Blindverkostung. Es kommt auf Vorschlag einer Genossin von der Klosterbrauerei Reutberg – die im übrigen ebenfalls als Genossenschaft betrieben wird.
Sie arbeiten seit zehn Jahren an dem Projekt. Schleift sich die Freude an der Basisdemokratie nicht irgendwann ab?
Bei mir nicht. Aber natürlich gab es schon Frustrationsmomente. Demokratische Prozesse dauern immer ein bisschen länger als hierarchische. Es wird viel geredet, viel diskutiert. Aber bei uns setzt sich nicht der Lauteste durch, ich denke, dass wir sehr gut strukturiert sind.
In der Vorbereitung las ich, dass Sie Ihren Bestimmungsdrang zurückfahren mussten. Sind Sie gar nicht so nett, wie Sie tun?
Nett ist der, der Nettes tut und nicht nur Nettes denkt. Ich bin ja unter anderem Künstler und Designer, ich habe einen Schaffensdrang und konkrete Vorstellungen davon, wie Dinge aussehen sollen. Das kollidiert zuweilen mit Vorstellungen in der Genossenschaft, und wenn es nur um den Anstrich der Wände geht.
Da sind Sie sensibel?
Genau. Ich bin grundsätzlich immer demokratiebereit. Aber ich habe auch gerne recht. (lacht)
Was haben Sie durch die Genossenschaftskneipe fürs Leben gelernt?
Dass es sich lohnt, für Dinge zu kämpfen, die andere für bescheuert halten. Wenn man an seine Sache glaubt, ist man bereit, durch Schmerzen zu gehen. Insgesamt denke ich, dass ich durch dieses Projekt kompromissfähiger geworden bin und klarer sehe, wie man wertschätzend und strukturiert miteinander redet. Außerdem habe ich gelernt, dass es sich immer lohnt, die Hilfe anderer Menschen in Anspruch zu nehmen. Seit wir begonnen haben und insbesondere nach der Crowdfunding-Kampagne haben hier unglaublich viele Menschen mitgeholfen, diese Bar nach jahrelanger Vorbereitung an den Start zu bringen.