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Interview

Kölner Büchsenmacher
„Die Waffe ist ein Werkzeug des Jägers“

Lesezeit 7 Minuten
Imgrund - Buechsenmacher Jan Lambrecht

Büchse statt Flinte: Jan Lambrecht kennt sich mit Jagdwaffen aus.Costa Belibasakis

Jan Lambrecht spricht im Interview mit Bernd Imgrund über die Ästhetik von Kugelgewehren, Film-Schüsse am Set und illegale Waffen.

Sie haben Ihre Lehre beim einstigen Traditionsunternehmen Kettner gemacht.

Ab 1990, ja. Kettner war damals der größte Filialist. Wir hatten einen Versand und in unserer Zentralwerkstatt in Ossendorf einen 100-Meter-Schießstand.

Also in der Wendezeit. Haben seinerzeit alle Ossis Waffen gekauft?

Alles zum Thema Bernd Imgrund

Es gab tatsächlich einen Schub. In der DDR durfte man nur Schrotwaffen besitzen, also keine Kugelläufe. Die haben sich zum Teil improvisierte Zielvorrichtungen auf ihre Schrotflinten montiert, um auf größere Entfernungen mit Flintenlaufgeschossen zu jagen. Kettner hat sofort nach der Wiedervereinigung fünf Filialen dort eröffnet. Wir hatten Rollwagen, 20 Waffen pro Wagen, und haben in der ersten Zeit jeden Tag zwei, zweieinhalb Wagen voll Waffen für die ostdeutschen Filialen montiert.

Ihr Beruf lautet Büchsenmacher. Büchse klingt altertümlich, wie Flinte.

Flinte ist immer Schrot, Büchse hingegen ein Kugelgewehr. Das Berufsbild war früher weiter aufgegliedert, und auch heute gibt es neben dem Büchsenmacher weitere Spezialisten. Denken Sie nur an die Schäfte, ans Gravieren oder an die ganze Optik.

Haben Sie als Jugendlicher auf der Kirmes auf Blumen geschossen?

Habe ich. Und ich habe auch schon als Jugendlicher mit einem Luftgewehr im Sportschützenverein geschossen. Ich denke, ich war recht talentiert. Irgendwann kam mal eine Einladung zum Bundesjungschützentag.

Lag das in der Familie?

Ich habe eine Doppelflinte von meinem Opa geerbt. Das dürfte man heute gar nicht mehr sagen, aber: Die hing in meinem Kinderzimmer an der Wand, jederzeit greifbar.

Mal benutzt?

Auch, ja. Ich besitze sie heute noch. Sie schießt allerdings mit Schwarzpulver. Heute haben wir Nitrozellulosepatronen, das verträgt die alte Flinte nicht.

Welche Art Wehrdienst haben Sie geleistet?

Ein halbes Jahr war ich in Koblenz, in der Rheinkaserne bei den Fallschirmpionieren. Als Pionier habe ich noch eine dreimonatige Spezial-Grundausbildung für Spreng- und Minenkampf und einen Fallschirmspringerlehrgang drangehängt.

Warum sind Sie nicht direkt Scharfschütze geworden?

Wäre mir zu langweilig gewesen, ich wollte auch noch was drumherum erleben.

Ganz nebenbei: Sollte der Wehrdienst wieder eingeführt werden?

Sagen wir so: Mir hat er nicht geschadet. Ich meine, der Wehr- und Zivildienst haben damals durchaus schon zur Reife von vielen Leuten beigetragen.

Zu den ersten Waffen gehörten die Knüppel der Steinzeitmenschen.

Es gibt eine Traditionsfirma im Allgäu, deren Symbol ein Höhlenmensch mit Keule ist. In meiner Ausbildung begannen wir die Waffengeschichte mit den Feuerwaffen. Die Redewendung „Er hat Lunte gerochen“ kommt von den alten Schwarzpulver-Jagdwaffen mit Luntenschloss. Und heute reden wir von Carbonwaffen, von Schalldämpfern und Wärmebildtechnik. Aber ich liebe die alten Waffen und repariere sie hier auch noch häufig.

Gibt es eine Ästhetik der Schusswaffe?

Absolut! Wie bei einem schönen Auto geht es auch bei einer Waffe um die Proportionen, um die Materialien und Details. Es gibt Schäfte aus wunderschönen Wurzelhölzern. Und kunstvolle Bulino-Gravuren mit bis zu 8.000 Stichen pro Quadratmillimeter. Die werden unter der Lupe gestochen, da gehen hunderte von Stunden für drauf. Also, eine klassische Waffe mit Holzschäftung, die hat schon was!

Wie vereinbart sich diese ästhetische Empfindung mit der Tatsache, dass all diese Dinger gemacht sind, um zu töten.

Für mich war das nie ein Thema, weil ich in diese Arbeit reingewachsen bin. Die Waffe ist ein Werkzeug des Jägers, und soll Wild töten, ganz klar. Waffen gegen Menschen zu richten, überschreitet für mich eine Grenze, jedenfalls jenseits von militärischen Zusammenhängen.

Mit Ihren Waffen werden keine Menschen ermordet?

Statistisch betrachtet wird mit legalen, registrierten Waffen überaus selten ein Verbrechen verübt. Meistens handelt es sich um gestohlene Waffen. Wir haben Diebstahlauflagen ohne Ende. Das Schlüsselschloss reicht schon lange nicht mehr. Heute sind Elektronikschlösser Vorschrift, nicht mal der Partner oder die Partnerin darf den Code kennen.

Wurde hier schonmal eingebrochen?

Nein, aber wir haben auch zusätzlich eine Alarmanlage und Polycarbonat auf den Fenstern, also eine einbruchhemmende Isolierung. Die ist kerbschlagbiegefest bis weiß ich nicht. Legale Langwaffen sind registriert und nachverfolgbar. Bei einem Einbruch in Bergisch Gladbach vor geraumer Zeit wurde alles aus dem Tresor gestohlen, Geld, Wertgegenstände, Kurzwaffen. Aber die jagdliche Langwaffe blieb liegen, die wollten die Diebe nicht.

Wüssten Sie, wo man in Köln illegal eine Waffe bekommt?

Keine Ahnung, wirklich, da haben wir keine Kontakte. Früher beim Kettner kamen schonmal solche Anfragen. Da wollte einer ein Holster kaufen, wollte aber die entsprechende Waffe nicht vorzeigen. Heute freue ich mich regelrecht, dass wir mit so etwas nicht plump konfrontiert werden.

Sie haben im Vorgespräch gesagt, mit der Presse müsse man als Büchsenmacher vorsichtig sein. Was haben Sie damit gemeint?

Dass man uns einen Strick aus Ereignissen dreht, mit denen wir nichts zu tun haben. Nach jedem Amoklauf etwa wird reflexhaft über eine Verschärfung des Waffengesetzes gesprochen. Dabei ist das doch in sich bescheuert: über das Gesetz zu sprechen, wenn jemand es gerade massiv gebrochen hat. Bei Kettner hatten wir oft unseriöse Presseanfragen. Mit freien Waffen handele ich heute nicht einmal, um nicht die entsprechende Klientel anzuziehen.

Was sind „Freie Waffen“?

Alle, die ab 18 Jahren freigegeben sind, also Luftdruckwaffen, Gas- und Schreckschusswaffen, Elektroschocker. Wir verkaufen noch nicht mal Pfefferspray.

Sie haben einige Jahre lang auch nebenbei fürs Fernsehen gearbeitet.

Als Waffenmeister an Filmsets. In Wiesbaden am Rheinufer sollte jemand vom Motorrad aus im Vorbeifahren in eine Bar ballern. Wir haben dieses Set zweimal komplett aufgebaut, mit neuer Scheibe vorne und kleinen Sprengladungen. Letztendlich ist das Glas schön spektakulär zersplittert.

Haben Sie nette Stars kennengelernt?

Die Schauspieler bekommen eine kleine Schießausbildung, damit das vernünftig aussieht. Besonders nett fand ich Axel Prahl und Jan Josef Liefers vom Münster-Tatort. Die machen ihre Witzchen auch, wenn die Kamera nicht läuft. Und wenn nicht mehr gedreht wird, spielen sie einfach weiter und haben ihren Spaß. Aber es gibt auch Diven, die die Setarbeiter von oben herab behandeln und in ihren Wagen verschwinden, sobald die Kamera aus ist.

Hatten Sie im TV-Zusammenhang Spezialaufträge?

Da sollte mal ein Harpunenschuss vom Schiff aus durch einen Oberschenkel gehen. Dafür haben wir von der renommierten Firma Greener in London ein museales Harpunengewehr geordert. Ich musste es umbauen, durfte aber hinterher keine Spuren hinterlassen. Und den zweiteiligen Pfeil habe ich auch selbst gebastelt, damit der mittels einer Manschette schön vorne rein und hinten wieder rausreichte.

In Bonn-Wachtberg hatten Sie eine Werkstatt mit Schießkino. Was muss man sich darunter vorstellen?

Dahin kommen zum Beispiel Jäger und schießen auf eine richtige Leinwand, auf der Wildszenen laufen - mit scharfer Munition! Hinter der Leinwand befinden sich Infrarotkameras, und mit jedem Loch in der Leinwand erkennt die Kamera, ob das ein Treffer war. Die gleichen Techniken verwendet auch die Polizei.

Drei Entweder-oder-Fragen: Grüne, weiße oder blaue Bohnen?

Blaue, klar.

Brieftauben oder Tontauben?

Tontaubenschießen ist Teil der Jagdausbildung. Hier bei mir waren schon Mitglieder des Olympiakaders. In Bewegung zu schießen, macht sehr viel Spaß. Heutzutage existieren nur noch sehr wenige Schießstände dafür, da muss man schon bis nach Bad Neuenahr oder Leverkusen fahren.

Silberbüchse oder Henrystutzen?

Da nehme ich die Silberbüchse. Die Winnetou- und Old Shatterhand-Filme habe ich gern geguckt.

Früher rief die Jugend: Frieden schaffen ohne Waffen. Spüren Sie den Zeitenwandel angesichts der weltweiten Kriege?

Im Geschäft gar nicht. Aber jeder macht sich seine Gedanken. Inzwischen fordern ja sogar Grünenpolitiker mehr Waffen für die Bundeswehr.

Sie sind also kein Kriegsgewinnler?

Nee, da haben wir überhaupt nichts mit zu tun. Es könnte natürlich irgendwann Engpässe in der Munitionsfertigung geben. Aber im Prinzip haben wir hier Kriegswaffen betreffend klare Gesetze. Wir reparieren in unserer Werkstatt ausschließlich zivile Waffen, weit über 90 Prozent davon sind Jagdwaffen.

Sie montieren auch Zieloptiken. Was ist da der Knackpunkt?

Das ist ein wirtschaftlich durchaus interessanter Teil unserer Arbeit. Alles, was man im Verkauf verdienen kann, brauche ich nicht mehr an der Werkbank zu stricken. Ein Zielfernrohr kann gerne mal 3000 Euro kosten. In einigen Bundesländern sind Nachtsicht- oder Wärmebild-Vorsatzgeräte erlaubt, die wieder eine eigene Montage erfordern. Die muss sehr genau sein, eine superteure Waffe nützt nichts, wenn das Zielfernrohr klappert. Da geht es um Hundertstel-Millimeter. Ein Zehntelmillimeter Verschub in der Montage macht auf hundert Meter schon zehn Zentimeter aus.

Braucht ein guter Schütze überhaupt ein Zielfernrohr? John Wayne hat aus der Hüfte geschossen.

Zielfernrohre waren tatsächlich lange verpönt. Aber gut zu treffen, hat eben auch etwas mit der Waidgerechtigkeit zu tun. Dem Wild soll kein unnötiges Leid zugefügt werden.

Auf wie viel Meter treffen Sie ohne Zielfernrohr ein Wildschwein?

Hundert.

Blattschuss?

Ja. Zumindest, wenn das Wildschwein still steht. Auf bewegtes Wild würde man auf diese Distanz ohne Optik nicht schießen.