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Interview

„Aufgeben ist keine Option“
Kölnerin Linda Mai wird ukrainische Honorarkonsulin

5 min
Imgrund  - Interview mit Linda May

Linda Mai beim Verladen von Hilfsgütern in Köln.

Hohe Ehrung: Linda Mai, Vorsitzende des von ihr mitgegründeten Vereins Blau-Gelbes Kreuz in Köln, ist vom ukrainischen Außenministerium zur Honorarkonsulin in Deutschland ernannt worden. Was das bedeutet, hat sie der Rundschau erklärt.

Frau Mai, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung zur Honorarkonsulin der Ukraine. Wo erreiche ich Sie gerade?

Bei uns im Hilfsgüterlager des Blau-Gelben Kreuzes. Wir haben gerade eine Gruppe aus der Kölner Partnerstadt Dnipro hier, die zum Ehrenamtstag zu uns gekommen ist.

Was macht eigentlich eine Honorarkonsulin? Stellen Sie zum Beispiel auch Pässe und Visa aus?

Nein, ich stelle keine Urkunden aus. Honorarkonsulin bedeutet, dass ich ehrenamtlich arbeite, es hat also nichts mit Honorar im Sinne von Bezahlung zu tun. Meine Aufgabe ist es, ukrainische Bürger zu unterstützen, von denen ja viele nach NRW gekommen sind, gerade auch nach Köln. Und die Interessen der Ukraine zu vertreten. Über die Ukraine erzählen. Unser Land steht im Krieg, aber in unserem Land gibt es so viel mehr als diesen Krieg. Ich werde Kontakte aufzubauen, etwa im Bereich Kultur, Wissenschaft und Gesundheitswesen.

Wie schaffen Sie das neben Ihrer Tätigkeit für das Blau-Gelbe Kreuz? Sind unglaublich viel unterwegs, auch mit den Hilfstransporten in die Ukraine …

Das wird, glaube ich, gut zusammenpassen. Viel von dem, was ich als Honorarkonsulin tun soll, mache ich schon jetzt. Ich baue jetzt schon Brücken in die Ukraine. Denken Sie beispielsweise an unsere Fahrzeugkonvois in die Ukraine. Und wir unterstützen jetzt schon viele Menschen, die hier leben. Die Mutter mit zwei Kindern, die Kita-Plätze finden muss und selbst zum Deutschunterricht oder vielleicht schon zur Arbeit geht, da helfen wir. Und viele hier lebende Ukrainer helfen mit.

Wir alle müssen um unserer Freiheit willen aufstehen. Wir alle müssen sie verteidigen. Es geht um unsere gemeinsamen Werte.

Ihre Besucher kommen aus Dnipro, einer Stadt, auf die es immer wieder schwere russische Luftangriffe gibt. Sie selbst erleben die Situation regelmäßig vor Ort. Was macht das mit Ihnen?

Seit dreieinhalb Jahren bin ich damit konfrontiert, und man wächst mit den Aufgaben. Ich empfinde eine tiefe Ungerechtigkeit: Die Demokratie wird angegriffen – Russland will sie in der Ukraine beseitigen, aber die Demokratie gerät auch weltweit unter Druck. Wir alle müssen um unserer Freiheit willen aufstehen. Wir alle müssen sie verteidigen. Es geht um unsere gemeinsamen Werte. Die Ukrainer tun das unter Einsatz ihres Lebens. Viele meiner ukrainischen Mitbürger haben wohl selbst nie gedacht, dass sie fähig sind, so etwas zu tun. Diese Würde, dieser Stolz darauf, ein eigenes souveränes Land zu haben und es auch zu verteidigen! Ich sehe mit Bewunderung auf diese Menschen. Und wenn die Ukrainer vor Ort so viel schaffen, dann schaffe ich es erst recht.

Viele Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, werden hier mit der Debatte darüber konfrontiert, ob sie nicht zu viel Sozialleistungen erhalten. Und ob die ganze Unterstützung der Ukraine überhaupt einen Sinn hat, ja manche Leute glauben, dass der russische Präsident Wladimir Putin im Grunde sogar recht hat. Was löst das bei den Geflüchteten aus?

65 Prozent derer, die geflüchtet sind, sind Frauen mit Kindern, mindestens ein Kind, manchmal auch drei oder mehr. Die Kinder sprechen inzwischen durchgängig gutes Deutsch, einige Frauen arbeiten bereits. Diese Frauen bemühen sich sehr, auch wenn es sein kann, dass man wegen der Kinderbetreuung mal zu spät zum Deutschkurs oder zur Arbeit kommt. Die Leute sind auch nicht schlecht ausgebildet. Das deutsche Anerkennungsverfahren ist sehr bürokratisch, nicht alle kommen hier in den Beruf, den sie erlernt haben. Aber es sind fleißige Menschen. Und wenn Sie die russischen Narrative ansprechen: Wenn wir denken würden, dass die Verteidigung der Freiheit keinen Sinn hätte, dann hätten wir längst verloren. Was wird denn aus der Demokratie, wenn die Demokraten sich zurückziehen? Detlef Gysan, mein leider verstorbener Mann, war politischer Häftling in der DDR. Er hat mir immer gesagt, Freiheit sei ihm wichtiger als das Leben. Früher habe ich nicht richtig verstanden, was das heißt. Jetzt weiß ich es. Aufgeben ist keine Option. Und wir bekommen viel Unterstützung aus Deutschland. In der Ukraine höre ich immer, die Politik in Deutschland sei vielleicht etwas langsam. Aber die Menschen, die Zivilgesellschaft, die hilft uns! Allein unser Verein hat mehr als 400 Lkw mit humanitären Hilfsgütern hingebracht. 40-Tonnen Hilfsmittel pro Transport. Das kommt bei den Menschen an.

Die ukrainische Armee, das sind unsere Männer und Frauen, unsere Kinder, unsere Geschwister. Aber es sollte jeder seine eigene Familie anschauen: Sind alle so tapfer, dass sie kämpfen können?

Gibt es denn in der Ukraine nicht den Wunsch, dass Geflüchtete zurückkehren? Weil Arbeitskräfte gebraucht werden – und ja, auch Männer, die ihre Wehrpflicht erfüllen?

Arbeitskräfte werden gebraucht, nur haben wir das Problem, wo sollten die Zurückkehrenden hin? Allein in der NRW-Partnerregion Dnipropetrowsk gibt es 400.000 Binnenflüchtlinge, davon sind 160.000 in der Stadt Dnipro gemeldet. Landesweit sind es zwölf Millionen Menschen Binnenflüchtlinge. Wo sollen sie wohnen? Wenn Leute noch irgendwo ein Zuhause haben und eine Perspektive, dann werden sie zurückkehren. Andererseits: Je länger der Krieg dauert, desto länger leben die Menschen hier, sind hier integriert, haben Arbeit gefunden – ja, da werden etliche bleiben. Und natürlich brauchen wir Leute, die das Land verteidigen. Auch Frauen! Es gibt 60.000 bis 70.000 Soldatinnen an der Front. Die ukrainische Armee, das sind unsere Männer und Frauen, unsere Kinder, unsere Geschwister. Aber es sollte jeder seine eigene Familie anschauen: Sind alle so tapfer, dass sie kämpfen können? Nicht jeder kann das.

Aber für Sie ist das doch ein Zwiespalt. Da ist die Honorarkonsulin, die die Linie des Staates vertreten muss: Wehrpflichtige Männer sollen zurückkommen, ihre Pässe werden im Ausland nicht verlängert. Und auf der anderen Seite sind Sie Helferin – auch für solche Männer.

Ich schaue mir jeden einzelnen genau an. Ich erzähle mal ein Beispiel: Wir haben 5000 Krankenhausbetten in die Ukraine gebracht. Jedes wiegt 120 Kilo. Zum Verladen brauchen wir jeweils vier Männer. Ukrainische Männer, die hier leben, machen das. Es ist nicht jeder gleich.

Wenn es um die Hilfstransporte geht – was wird besonders dringend gebraucht?

Es geht ums Überleben und um die Resilienz. Wir brauchen Medizin und Medizinprodukte. Das kaufen wir aus Spendengeldern und können das jetzt auch direkt bei den Herstellern tun. Ganz wichtig sind zudem Stromgeneratoren. Denn Kälte kann töten. Russland vertreibt die Menschen, indem es die Kraftwerke zerbombt. Und Fenster. Bei den Bombenangriffen werden viele Fenster zerstört. Die Wohnungen sind dann nicht mehr vor Kälte geschützt und haben keinen Strom. Und dann gibt es die vielen Binnengeflüchteten. Sie haben nichts mehr. Sie brauchen etwas zum Anziehen. Sie bekommen vielleicht ein Zimmer zugewiesen, aber das ist kein Schlafzimmer. Da fehlt ein Bett. Da fehlt eine Bettdecke. Wenigstens eine Kiste für die persönliche Habe. Und alles das hilft auch gegen die Angst. Die Angst, wenn die Bomben fallen. Wenn man im Keller sitzt. Die Angst der Kinder. Wenn das Licht ausgeht. Dann ist es gut zu wissen: Es wird wieder Strom geben. Dann werden wir uns auch wieder etwas zu essen kochen können. Deshalb sind auch einfache, ganz banale Sachen wichtige Hilfsgüter.

Linda Mai, Vorsitzende des Blau-Gelben Kreuzes und Honorarkonsulin der Ukraine in Köln

Zur Person: Linda Mai (50) wurde in der Ukraine geboren und lebt seit über fünfundzwanzig Jahren in Köln. Die studierte Pharmazeutin leistete seit 2014 gemeinsam mit ihrem 2023 verstorbenen Ehemann Detlef Gysan, einem Kölner Kardiologen, humanitäre Hilfe in der Ukraine. 2017 gründeten sie den Verein Blau-Gelbes Kreuz, dessen Vorsitzende sie ist. 2023 erhielt sie den Verdienstorden des Landes NRW, 2025 zeichnete sie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew mit dem „Goldenen Herzen“ aus.