Gutachten veröffentlichtWie Köln klimaneutral werden will

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Köln mit Dom, Hohenzollernbrücke, Rhein und Hauptbahnhof bei strahlend blauem Himmel.

Köln will bis 2035 klimaneutral werden.

Ein aktuelles Gutachten bescheinigt, dass Köln bis 2035 klimaneutral werden kann. Ist das möglich? Eine Analyse.

Klimaneutralität bis 2035. Mit diesem Versprechen für Köln zog Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2020 in den Wahlkampf und gewann. Von Beginn an gab es Zweifel, ob dieses Ziel realistisch ist. Der von ihr im Frühjahr 2020 einberufene Klimarat – ein Gremium   aus Vertretern von Stadt, Wirtschaft und Wissenschaft – hatte dieses Ziel im April 2021 als nicht realisierbar bewertet. Nun liegt ein neues, 465 Seiten starkes Gutachten vor, wonach Klimaneutralität bis 2035 möglich sei. 

Wie kam das Gutachten zustande?

Im Juli 2019 rief der Stadtrat den Klimanotstand aus, im Juni 2021 beschloss er das Ziel „gesamtstädtische Klimaneutralität“ bis 2035. Um dafür eine Wissensgrundlage zu schaffen, beauftragte die Stadtverwaltung ein Gutachten, das von der Ingenieurgesellschaft Gertec GmbH und anderen erarbeitet wurde.

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Worum geht es in der Untersuchung?

Die Gutachter beschreiben, wie das Ziel erreicht werden kann sowie „Herausforderungen und Handlungsspielräume“. Es werden Wege aufgezeigt, was die Stadt samt ihren Unternehmen, aber auch die Bürger und die Kölner Wirtschaft in den nächsten 13 Jahren tun müssen, um Klimaneutralität erreichen zu können.

Wie wird Klimaneutralität definiert?

Gemeint ist damit eine Reduzierung der auf dem Gebiet der Stadt Köln ausgestoßenen Treibhausgase von derzeit etwa 9,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr auf weniger als eine Million Tonnen im Jahr 2035. Das entspricht einem Rückgang von rund sieben Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Von 1990 bis 2021 sanken die CO2-Emissionen laut Stadt durchschnittlich nur um 0,7 Prozent pro Jahr. Insgesamt sollen bis 2035 rund neun Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Wie soll das gelingen?

Der Energieverbrauch in Köln muss drastisch sinken, sagt Gutachter Andreas Hübner von Gertec. Außerdem müssten „überall, wo es Sinn macht“ Photovoltaikanlagen (PV) gebaut werden. Ansonsten sei das Ziel nicht zu schaffen. Und selbst wenn im Stadtgebiet das volle PV-Potenzial ausgeschöpft werde, müsse immer mehr klimaneutral erzeugter Strom von außerhalb bezogen werden – ab 2035 rund 49 Prozent des Verbrauchs.

Wo liegen die größten Einsparmöglichkeiten?

Mehr als ein Drittel des CO2-Sparpotenzials (38 Prozent, 3,6 Millionen Tonnen pro Jahr) sieht das Gutachten in der Energieversorgung und -erzeugung. Im Verkehr sollen 2,2 Millionen Tonnen eingespart werden, bei Industrie und Gewerbe 1,2 Millionen Tonnen. Durch klimaneutralen Neubau und Sanierung von Altbauten sollen weitere 0,9 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gespart werden, durch die Förderung eines klimaneutralen Lebensstils 0,4 Millionen Tonnen. „Es gibt dazu keine Alternative“, sagt Reker. Man brauche „eine breite Allianz, die konsequent und mutig handelt“.

Wie viele Milliarden Euro soll das kosten?

Genau könne man das nicht sagen, so Klimadezernent William Wolfgramm. Das Gutachten nennt nur an wenigen Stellen konkrete Zahlen. Hier heißt es etwa, die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED koste bis 2035 rund 78 Millionen Euro. Für Gebäude und Stadtquartiere sollen nächstes Jahr 301 Millionen Euro aufgewendet werden, ab 2025 dann 2,2 Milliarden Euro. In klimaneutrale Mobilität sollen ab 2025 rund 3,4 Milliarden Euro pro Jahr fließen. Wolfgramm erwähnte Pläne, ab 2030 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor in Köln zuzulassen. Später hieß es, dies beziehe sich auf Pläne der EU, die ein Verbrennerverbot ab 2035 anstrebt.

Wer soll das alles bezahlen?

„Wir können das allein nicht schaffen“, stellt Wolfgramm klar. Die Stadt setze bereits mit Fördermitteln für PV-Anlagen und energetischer Gebäudesanierung Anreize, doch ohne das Engagement privater Hauseigentümer und Unternehmen sowie ohne Fördergelder von Bund und Land gehe es nicht.

Was ist jetzt konkret geplant?

Am 8. Dezember befasst sich der Rat mit dem Gutachten. Ein konkreter Maßnahmenplan wird erst Mitte 2023 vorgelegt. Immerhin verzeichnet die Sanierungs- und Solaroffensive   Erfolge. Seit April 2022 wurden   3036 Förderanträge gestellt. Die 1264 geförderten PV-Anlagen seien doppelt so viele wie im Jahr 2020.

Wie realistisch ist es, dass das Ziel 2035 erreicht wird?

Das Gutachten zeigt die Theorie. In der Praxis fehlt es an Handwerkern und Material. Bürger und Firmen müssen überzeugt werden. Die Annahme, künftig pro Jahr vier statt ein Prozent der Altbauten zu sanieren, gilt als äußerst ambitioniert.


Kommentar: Mehr Tempo

Jens Meifert zum Klimaplan der Stadt

Bis Ende 2035 sind es noch etwas mehr als 13 Jahre. Oder konkreter gesagt: 157 Monate oder 4769 Tage. Gar nicht so lange. Gar nicht viel, um das utopisch anmutenden Ziel einer Klimaneutralität zu erreichen.

Die Oberbürgermeisterin hat Recht: Es gibt keine Alternative, als sich mit großem Einsatz für die Verbesserung des Klimas einzusetzen. Doch der Blick auf die dürftigen Erfolge der Vergangenheit zeigt, wie sehr die Ansprüche mit der Umsetzung im Konkreten kollidieren. Wo ist der flächendeckende Ausbau der E-Mobilität? Wo sind die Ladesäulen, an denen auf dem Weg zur Verkehrswende vollgetankt werden soll? Wo sind all die Photovoltaikanlagen auf den Dächern? Selbst bei öffentlichen Gebäuden schafft die Verwaltung kaum mehr als Achtungserfolge.

Dass in der Krisenlage private Eigentümer im großen Stil ihre Häuser energetisch sanieren, ist nicht zu erwarten, viele werden es schlicht nicht finanzieren können. Auch der von der Rheinenergie angekündigte Ausbau der Fernwärme wird nicht über Nacht möglich sein. Kein Windrad dürfte vom Himmel fallen.

Für eine Klimaverbesserung braucht es mehr Tempo auf allen Ebenen, weniger Bürokratie und Zwischenziele, die erreichbar sind. Die schönste Vision nutzt nur als Formulierung gar nichts.

koeln@kr-redaktion.de

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