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Dieses Zitat wurde Henriette Reker nicht mehr los

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Die erste Pressekonferenz zu den Silvestereignissen fand am 4. januar statt. Henriette Reker und Polizeipräsident Wolfgang Albers hielten sie.

Die Silvesternacht 2015 war Henriette Rekers erste Herausforderung als Oberbürgermeisterin.

Wann haben Sie davon erfahren, dass diese Silvesternacht wohl nicht so wie erwartet verlaufen war?

Durch einen Anruf des damaligen Polizeipräsidenten.

Schon in der Nacht?

Nein, erst am nächsten Tag, zu Neujahr. Er hat mir gesagt, dass es Übergriffe und Aggressivität gegeben habe. Genaues habe ich da noch nicht erfahren. Schon gar nicht, dass es auch zu Vergewaltigungen gekommen war.

Wann wurde Ihnen die Dimension klar?

Im Laufe der ersten Januarwoche wurde mir nach und nach deutlich, was sich alles in dieser Silvesternacht zugetragen hatte.

Die ehemalige Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Interview

Das heißt, selbst zu der ersten Pressekonferenz am 4. Januar, zu der Sie und der Polizeipräsident geladen hatten, stand Ihnen immer noch nicht der ganze Umfang der Ereignisse vor Augen?

Die wirkliche Dimension habe ich erst durch die Berichterstattung in den Medien erfahren, nicht durch den Polizeipräsidenten.

Sie waren zu Silvester 2015 erst seit wenigen Wochen Oberbürgermeisterin von Köln. Waren sie dennoch in die Vorbereitungen involviert? Wurden Ihnen die geplanten Sicherheitsmaßnahmen vorgelegt?

Nein, das war Aufgabe des damaligen Stadtdirektors Guido Kahlen. Es wurden ja auch keine außergewöhnlichen Vorkehrungen getroffen. Silvester galt bis dahin nicht als Großereignis wie beispielsweise Karneval.

Der Untersuchungsausschuss des Landtages NRW kam in seinem Abschlussbericht zu der Erkenntnis, dass die Ordnungskräfte an diesem Tag versagt hatten, weil die Absprachen und die Kommunikation untereinander mangelhaft war. Diese Kritik bezieht auch das städtische Ordnungsamt mit ein. Würden Sie im Nachhinein diese Kritik unterschreiben?

Es gab damals keine abgestimmte Kommunikation – so, wie sie seitdem bei allen Großereignissen durch einen Koordinierungsstab sichergestellt wird.

Sie sagten, der Stadtdirektor war für die Sicherheitsplanung verantwortlich. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen, wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte?

Selbstverständlich.

Und wie lautete seine Erklärungen?

Ich werde nicht aus internen Gesprächen berichten. Für die Sicherheit und für kriminelle Handlungen ist letztendlich die Polizei zuständig. Und in dieser Nacht war zu wenig Polizei im Einsatz.

Haben Sie sich als Oberbürgermeisterin nicht verantwortlich gefühlt?

Das, was in dieser Nacht passiert ist, hat mich sehr belastet. Ich war ja selbst gerade erst Opfer eines Gewaltverbrechens geworden. In gewisser Weise konnte ich nachempfinden, was den Frauen angetan wurde. Auch sie wurden Opfer von Gewalt. Ich habe damals mit einigen der betroffenen Frauen gesprochen. Sie haben mir berichtet, dass es im Schatten des beleuchteten Doms einen rechtsfreien Raum gegeben hat, und wie schwer es für sie war, eine Anzeige aufzugeben. Da sind viele Tränen geflossen.

Sind Sie auf die Frauen zugegangen?

Auch, aber das war keine Einbahnstraße. Viele sind auch auf mich zugekommen.

Hat diese Nacht Köln schlagartig verändert?

Ich glaube, so kann man das nicht sagen. Bundesweit haben die Ereignisse in Köln den Blick auf den Zuzug von Geflüchteten sicherlich verändert. Bei den Kölnerinnen und Kölnern ist es so gewesen, dass die, die wegen der Zuwanderung Bedenken hatten, diese danach offener geäußert haben. Aber letztlich ist es in der Stadtgesellschaft bei einer grundsätzlich humanen Haltung, bei einer Willkommenspolitik geblieben. Das mache ich auch an den vielen Initiativen fest, die sich nach der Silvesternacht weiter dafür eingesetzt haben, Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten zu helfen.

Haben die Ereignisse denn Ihren Blick auf die Flüchtlingspolitik verändert?

Die Täter waren keine Geflüchteten aus Einrichtungen in Köln. Deshalb hat das für mich nichts mit der Flüchtlingspolitik, wie wir sie in Köln verfolgen, zu tun.

Und dennoch gab es Veränderungen in Köln. Nach Silvester 2015 wurde erstmals ein Koordinierungsstab für Weiberfastnacht zusammengerufen, weil die Angst bestand, die Ereignisse könnten sich wiederholen. Seit 2015 ist das Domumfeld zu Silvester abgesichert.

Wir haben daraus gelernt und alles dafür unternommen, dass sich die Ereignisse nicht wiederholen können. Großereignisse werden seitdem besser und umfangreicher vorbereitet. Diese Vorfälle haben die Sicherheitspolitik verändert.

Aber auch Ihr Bild in der Öffentlichkeit wurde von der Silvesternacht geprägt. Ihre damalige Empfehlung, Frauen sollten „eine Armlänge Abstand halten“ haftet ihnen bis heute an.

Unsere Gleichstellungsbeauftragte hatte eine Broschüre herausgebracht. „Partysicherheit für Mädchen und junge Frauen“. Darin wurde empfohlen: in der Gruppe bleiben, Getränke im Blick behalten, damit keine KO-Tropfen unbemerkt hineingekippt werden können und möglichst eine Armlänge Abstand halten. Daraus habe ich zitiert. Das war fehl am Platz. Das habe ich gemerkt, als ich mit den Betroffenen aus der Silvesternacht gesprochen habe. Weil die Täter sie bedrängten, konnten sie keine Armlänge Abstand halten. Aber das hatte ich ja auch nicht gemeint. Ich habe auf eine Broschüre verwiesen, die Empfehlungen gibt, wie junge Frauen sich in Partyzonen verhalten sollen. Ich habe nicht gesagt: Hätten die Frauen in der Silvesternacht im Domumfeld eine Armlänge Abstand gehalten, wäre ihnen das nicht passiert.

Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Ich habe einige Male etwas gesagt, was juristisch korrekt war, aber falsch verstanden wurde. Mit der Zeit habe ich gelernt: Ich muss mich so ausdrücken, dass ich richtig verstanden werde.

Aber Ihre Aussage mit der Armlänge wurde doch nicht nur einfach falsch verstanden, sie war auch falsch im Zusammenhang mit der Silvesternacht.

Die war in diesem Zusammenhang völlig unpassend. Ich hätte sagen sollen, wir haben diese Broschüre mit Empfehlungen, aber alles, was da drin steht, war in dieser Nacht unerheblich.