Interview mit Kölns Integrationsamts-Leiter„Gerade Corona hat die Gräben vertieft“
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Hans-Jürgen Oster
Copyright: Thomas Banneyer
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Neuland zu beschreiten gehört zum Selbstverständnis von Hans-Jürgen Oster (64).
Unter seiner Leitung nahm 2018 das neu geschaffene Amt für Integration und Vielfalt die Arbeit auf.
Bevor er zum Oktober in den Ruhestand geht, zieht Oster im Gespräch mit Diana Haß Bilanz.
Köln – Sie sind in rund vier Jahrzehnten durch eine Reihe von Ämtern gegangen. Sind Sie zufrieden mit dem, wo Sie gelandet sind?
Das ist für mich die Krönung. Im Amt für Integration und Vielfalt läuft vieles zusammen, was mir sehr wichtig ist. Uns geht es darum, allen Menschen die faire Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Das gilt für geflüchtete Menschen und Menschen mit internationaler Geschichte ebenso wie für LSBTIQ oder Menschen mit Behinderung. Wir verstehen uns als deren Lobby.
Irgendwo mittendrin, würde ich sagen. Gerade Corona hat die Gräben vertieft und gezeigt, dass Abgehängte noch mehr abgehängt worden sind.
Ihr Amt hat den Gender-Leitfaden für die Stadtverwaltung erarbeitet. Ein großer Wurf?
Dahinter steckt immerhin eine intensive gesellschaftliche Diskussion. Wichtig finde ich, dass wir als Kommunalverwaltung sensibel damit umgehen, wie sich Menschen angesprochen fühlen. Es geht um einen Perspektivwechsel. Das fängt schon damit an, zu einer Person im Rollstuhl zu sagen: Gehen Sie mal zum Ausgang. Das kann die Person nicht. Da denkt der Sprecher oder die Sprecherin nicht in der richtigen Perspektive.
Sie verwenden nicht den Ausdruck ,Menschen mit Migrationshintergrund’..
Hintergrund ist ein eigenartiger Begriff. ,Menschen mit internationaler Geschichte’ trifft es viel besser und der Ausdruck lässt mehr Raum. Menschen mit internationaler Geschichte gehören zu Köln. Über Jahrhunderte haben sie die Stadtgeschichte mitgestaltet. Diese Stadt hat seit Jahrhunderten von Vielfalt profitiert. Sie ist ihre Stärke. Und längst nicht alle Menschen mit internationaler Geschichte brauchen Unterstützung, aber auf jeden Fall eine faire Chance. Das sehe ich ja auch bei uns in der Familie. Der Partner meiner Tochter hat Eltern, die aus dem Iran geflohen sind.
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„Wir waren arm, daraus hat sich meine Haltung entwickelt“
Als Sohn „kleiner Leute“ wurde Hans-Jürgen Oster im November 1956 in der Kölner Innenstadt geboren. Nicht mit „dem goldenen Löffel im Mund“ geboren worden zu sein, sorgte nach seiner eigenen Auskunft dafür, dass sich „eine bestimmte Haltung“ entwickelte. Er trat in die SPD ein.
Der Verwaltungswirt war gut vier Jahrzehnte in der Stadtverwaltung tätig. Er leitete unter anderem stellvertretend das Sozialamt. 2013 übernahm er die Leitung des Bürgeramts in Mülheim, 2016 berief ihn Oberbürgermeisterin Henriette Reker als Flüchtlingskoordinator. Seit 2018 leitet Oster das Amt für Integration und Vielfalt, das in jenem Jahr gegründet wurde.
Im Amt für Integration und Vielfalt sind rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Das Amt übernimmt Querschnittsaufgaben innerhalb der Verwaltung. Die Nachfolge Osters ist noch offen. (dha)
Kundgebung
Die Forderung, Flüchtendende sofort aufzunehmen, soll bei einer Kundgebung auf der Deutzer Werft untermauert werden. Sie findet am Sonntag, 12. September, ab 14 Uhr statt. Viele Bands haben sind bereit, dort ohne Gage aufzutreten.
Organisator ist das Bündnis „Köln zeigt Haltung“, das vorab um Spenden an den Flüchtlingsrat bittet. Obwohl sich Köln im Februar 2019 als „sicherer Hafen“ zur Aufnahme bereiterklärt hat, blockiere das Bundesinnenministerium die Aufnahme. (dha)
Apropos geflohen. Die Oberbürgermeisterin hat Sie 2016 als Flüchtlingskoordinator bestellt. Was waren Ihre Aufgaben?
Zu der Zeit hatten wir bis zu 14.500 geflohene Menschen unterzubringen. Zeitweise mussten 27 Turnhallen für die Unterbringung genutzt werden. Es ging erstmal um operative Fragen: ein Dach über dem Kopf, Spracherwerb, Beschulung. Wir haben eine Taskforce eingerichtet und viele Strukturen für das Ehrenamt geschaffen. Wir haben in Form von verbindlichen Mindeststandards für die Unterbringung Geflüchteter eine rote Linie entwickelt, unter die wir auf keinen Fall rutschen wollen. Inzwischen haben die Ehrenamtlichen eine Qualität entwickelt, die echt gut ist. Ich finde, wir haben das gut hinbekommen.
Dennoch gibt es noch Sammelunterkünfte wie in der Herkulesstraße.
Die Herkulesstraße ist die Erst- und Notaufnahme. Da verbleiben die Menschen nicht Monate, sondern von da aus geht es dann in andere Einrichtungen. Aber da haben wir den Ratsauftrag, innerhalb von vier Jahren diese Einrichtungen aufzulösen.
Kritiker halten Ihr Amt für ein Feigenblatt…
Wir können in zweieinhalb Jahren unseres Bestehens dokumentieren, wo wir Wirkung erzielt haben. An vielem, was die Verwaltung an Vorlagen oder Projekten einbringt, sind wir beteiligt. Wir stehen nicht unbedingt als federführend drauf. Das ist halt die Rolle dieses Amtes. Wir behandeln Querschnittsthemen und die Fachlichkeit liegt in anderen Ämtern. Wenn wir uns da wiederfinden mit unseren Zielen, dann haben wir unsere Arbeit gemacht.
Die Debatte um Postkolonialismus wird in Ihrem Amt behandelt.
Wir haben gesagt: Wir müssen das Thema gesamtgesellschaftlich diskutieren. Wie gehen wir damit um? Reißen wir alles nieder und ist der Fall damit erledigt? Oder nutzen wir die Denkmäler und Namen als Punkte der Auseinandersetzung? Viele Dienststellen beschäftigen sich damit. Wir haben den Auftrag nach unserem Konzept dieses Thema zu bearbeiten, hatten die ersten verwaltungsinternen Abstimmungen dazu und wollen im Herbst in eine große öffentliche Diskussion eintreten. Ziel ist es, in der Stadt einen mehrheitlichen Konsens zu erzielen.