Zwischen Krieg und KonfettiWie Köln am Wochenende Karneval feierte

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Karnevalisten während des traditionellen Funken-Biwaks des Karnevals Traditionscorps Rote Funken auf dem Neumarkt.

Köln – Lange war ungewiss, ob und wie Karneval gefeiert werden kann. Schließlich beherrscht die Corona-Pandemie seit zwei Jahren das Brauchtumsfest. Und nun ist auch noch Krieg. Kann man da unbeschwert feiern? Am Karnevalssamstag haben wir in der Stadt nach Antworten gesucht.

Zülpicher Viertel

Schon vormittags versammeln sich die ersten Feiernden auf dem nördlichen Teil der Uniwiese. Noch ist es vergleichsweise ruhig, der Kater des Vorabends ist bei vielen noch nicht auskuriert. Auf der anderen Seite der Zülpicher Straße ist es dagegen leer. Ein paar umgekippte Dixi-Klos zeugen von der Party, die hier am Donnerstag über die Bühne ging.

Rettungsstationen für das Zülpicher Viertel

Zwei Rettungsstationen hat die Feuerwehr am Sonntag im Zülpicher Viertel aufgebaut. Hier können Hilfesuchende sofort behandelt werden, mehrere mobile Rettungsteams sollen von dort aus Einsätze abarbeiten. Der Aufbau ist laut Feuerwehr eine Reaktion auf den großen Andrang meist junger Menschen, die hier am Wochenende gefeiert hatten. Die Zugänge zum Viertel waren am Freitag und Samstag wieder abgeriegelt worden, um den Impfstatus der Besucher zu kontrollieren. Denn im gesamten Gebiet gilt die 2G-Plus-Regelung, eine große Zahl an Ordnungskräften ist im Einsatz.

Zahlreiche Einsätze musste die Polizei rund um die Zülpicher Straße absolvieren. Es sei „hoch hergegangen“, hieß es im Präsidium, die genauen Einsatzzahlen lagen am Sonntag noch nicht vor. Bereits an Weiberfastnacht war die Polizei mit einer Einsatzhundertschaft vertreten. Probleme bereiten Polizei und Rettungsdienst stark alkoholisierte Besucher. Das Publikum sei deutlich jünger als in den vergangenen Jahren, vor allem viele Jugendliche feiern nicht in den Kneipen, sondern auf den Straßen oder im Bereich der Uniwiesen. Vor den Supermärkten im Viertel bildeten sich am Samstag lange Schlangen Kostümierter, die vor allem alkoholischen Nachschub auf dem Einkaufszettel stehen hatten.

Großen Zulauf erwarten die Verantwortlichen auch am heutigen Rosenmontag im Zülpicher Viertel. Polizei und Feuerwehr gehen davon aus, dass nach Ende des Friedensmarschs durch die Innenstadt zahlreiche junge Menschen den Tag im Bereich der Uniwiesen ausklingen lassen werden. Die Meteorologen erwarten erneut viele Sonnenstunden bei Temperaturen um zwölf Grad. (tho)

Mittags füllt sich bei bestem Feierwetter auch die Zülpicher Straße. Auf Höhe der Roonstraße klettert ein junger Mann in Superman-Kostüm auf eine Ampelanlage – die Menge feiert ihn. Kurz darauf sind auch die anderen drei Ampeln besetzt. Die Stimmung ist unbeschwert – was nicht heißt, dass der Krieg in der Ukraine nicht auch hier in den Köpfen ist. Mal mehr, mal weniger. „Es ändert nichts an der Situation, wenn wir nicht feiern“, sagen hier viele.

Um sich die Stimmung dabei nicht zu vermiesen, gibt es ganz unterschiedliche Vorgehensweise. Zum Beispiel: jeden Morgen eine halbe Stunde informieren und dann die Nachrichten ignorieren. Oder noch radikaler: „Ich versuche, möglichst doof und uninformiert zu sein“, sagt ein Bär, Mitte 20, auf der Heinsbergstraße. „Ein ungutes Gefühl ist immer mit dabei“, findet dagegen sein Nebenmann, der Kapitän. Als es dunkel wird, ist die Straße voll. Ein ganz normaler Karnevalssamstag, könnte man meinen.

Sülz

Viele Jecken sind in den Veedeln nicht unterwegs. Einige wenige Kneipen sind gut besucht, in vielen herrscht Normalbetrieb, andere haben gar nicht erst aufgemacht. In Sülz haben sich ein paar Gastronomen zusammengetan und eine Karnevalswanderroute entworfen – überall ein Kölsch und eine Kleinigkeit zu Essen. Berliner im Deli Sülz, Kalbseintopf im Bisú oder Tapas in der kleinen Markthalle Sülz. Eigentlich ein Plan, der coronabedingt entstanden ist.

Südstadt-Demo

Auch der Südstadt-Zug soll nun zu einer Friedensdemonstration werden. Wie andere Brauchtumsfest war der Dienstagszug, der von der Merowingerstraße zum Platz an der Eiche zieht, abgesagt worden. „Wir können nicht stillhalten“, teilte Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter bei Facebook mit. Es sei bei der Polizei ein Friedensdemonstrationszug angemeldet. Ensemble-Mitglieder der Stunksitzung werden ebenso dabei sein wie der Shanty-Chor „Die Brausen“. Start ist um 13:30 Uhr an der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz/Wormser Straße. Der Zug soll sich wie gewohnt am Platz an der Eiche auflösen. Auch eine Nubbelverbrennung ist am Dienstagabend in der Merowingerstraße geplant. (mft)

„Wir gehen davon aus, dass hier eher die Leute mitmachen, die zu Karneval zwar etwas machen wollen, nur eben etwas ruhiger“, sagt eine Mitarbeiterin des Impact Cafés auf der Luxemburger Straße. Der Andrang hält sich noch in Grenzen. Ans Fenster hat sich eine kostümierte Vierergruppe gesetzt. Es gibt vegane Mettstullen für 4,90 Euro. „Es ist ein guter Kompromiss“, sagt die Matrosin. „Lust zu feiern, hätten wir schon gehabt. Aber allein durch Corona wollten wir uns eher zurückhalten. Und jetzt kommt der Krieg dazu. Das spielt natürlich auch eine Rolle.“ Gar nichts zu machen, sei auch keine Option gewesen, meint der Pharao. „Und wer weiß, was auf dem Weg passiert. Vielleicht ziehen wir ja doch noch weiter.“

Alter Markt

Agrippinas Töchter hatten sich am Freitag noch dazu entschieden, ihr Bühnenprogramm in der „Jeck-Arena“ am Alter Markt abzusagen. Am Samstag findet die Kombi-Veranstaltung der Willi-Ostermann-Gesellschaft, der Nippeser Bürgerwehr und der Bürgergarde Blau-Gold dagegen statt. Um die Entscheidung zu begründen, brauchte es nicht viele Worte: „Make Fastelovend, Not War“, hatten die drei Gesellschaften im Laufe des Tages kurz und knapp über ihre sozialen Medien mitgeteilt. Wenige Plätze sind leer geblieben. Die, die da sind, singen und schunkeln gut gelaunt mit. Mit angezogener Handbremse feiert hier niemand. Die Ukraine ist dennoch präsent. Die Farben des Landes sind durch die blau-goldenen Bürgergardisten stark vertreten.

Die Bands haben ihr Programm jeweils leicht angepasst. Jede Zeile, die nicht zur aktuellen Lage passt, könnte schließlich missverstanden werden. JP Weber schließt seinen Auftritt und den „Kölsche Jung“ von Willy-Millowitsch mit den Worten: „Ming Lieblingswöötsche, heiss: ,Putin, leck mich am Arsch.’“

Gürzenich

Der schwarze Bandbus von Brings fährt gegen 21 Uhr am Gürzenich vor. Gleich fünf Auftritte stehen an diesem Samstag auf dem Plan. „In der ganzen Session sind es zehn Gigs“, erzählt Gitarrist Stephan Brings. In Düsseldorf und Opladen haben sie bereits gespielt. Auch dort wird trotz des Kriegs in Osteuropa Karneval gefeiert. „Die Stimmung in den Sälen war recht normal. Unsere musikalische Antwort auf den Krieg heißt: Liebe gewinnt. Wenn die Leute feiern, hat das mit Gleichgültigkeit nichts zu tun“, sagt der Musiker. Zur Eröffnung des „Garde Danz“ der Prinzen-Garde zitiert Moderator Marcus Gottschalk aus kölschen Liedern, in denen es um friedliches Miteinander geht. „Levve un levve lossse“, ist solch eine Zeile. Der Applaus im Saal ist groß.

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Ein Mann im schrill-gestreiften Karnevalsanzug steht vor der Tür und raucht, in der anderen Hand hält er sein Handy. „Viele Leute im Saal schauen oft aufs Handy, um die aktuelle Entwicklung nicht zu verpassen. Ich bin mit mulmigem Gefühl hier, denn letztlich ist es eine normale Karnevalsveranstaltung. Am Ende muss jeder entscheiden, was er für sich verantworten kann“, sagt er und geht zurück in den Saal.

Im Pub um die Ecke steht eine Traube gut gelaunter und sichtlich angeheiterter Kostümierter auf der Straße. „Schön ist das Leben“ schallt es aus dem Laden. Ob der DJ auch Nachrichten liest, bleibt unbeantwortet.

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