30 Jahre Reiterferien für krebskranke Kinder„Ich habe mit sechs Jahren mein Testament geschrieben“

Lesezeit 5 Minuten
Sara Ropertz-Neumann (l.) und Romina Wichterich sitzen in Liegestühlen vor dem Elternhaus.

Sara Ropertz-Neumann (l.) und Romina Wichterich lernten sich 1989 auf der Kinderonkologie in der Uniklinik Köln kennen. Heute sind sie selbst Mütter.

Seit 30 Jahren finden die Reiterferien für an Krebs erkrankte Kinder und ihre Geschwister aus Köln und Bonn statt. Zwei Freundinnen erinnern sich an ihre Zeit auf der Kinderonkologie der Uniklinik Köln und ihre gemeinsame Woche auf dem Pferdehof.

Den ganzen Tag Ponys striegeln, füttern und Ausritte machen - von Reiterferien träumen viele Kinder. Für Sara Ropertz-Neumann und Romina Wichterich erfüllte sich im Sommer 1993 viel mehr als ein Traum. Eines der schönsten Gefühle, an das sie sich erinnern: Sich komplett dreckig machen und nirgendwo der Geruch von Desinfektionsmittel. Der einwöchige Urlaub auf dem Reiterhof war ein Stück Freiheit für die zehn und elf Jahre alten Mädchen. Sie hatten gerade eine Krebserkrankung überlebt.

Die Reiterferien für krebskranke Kinder aus Köln und Bonn feiern in diesem Jahr ein Jubiläum. Und auch die Freundschaft der beiden Frauen hat bis heute gehalten. 30 Jahre später sitzen Sara Ropertz-Neumann und Romina Wichterich im Elternhaus des Fördervereins für krebskranke Kinder und schauen alte Fotos von ihrer Reitwoche an. „Mein Pferd hieß Sahara und deins Zottel. Wie wir damals aussahen“, lacht Ropertz-Neumann. Die Kölnerin ist heute 40 Jahre alt, Romina Wichterich ist 41. Kennengelernt haben sie sich dort, wo eigentlich niemand sein möchte: auf der kinderonkologischen Station der Uniklinik Köln.

Sara Ropertz-Neumann und Romina Wichterich führen ein Pferd an der Trense

Nach ihrer Krebserkrankung 1993 nahmen Sara Ropertz-Neumann (l.) und Romina Wichterich an den Reiterferien teil.

Sara Ropertz-Neumann war sechs Jahre alt, als sie an einer Leukämie erkrankte. Neun Monate verbrachte sie mit kurzen Pausen durchgehend auf der Kinderstation. „Für die Einschulungsfeier durfte ich das Krankenhaus für einen Tag verlassen“, erinnert sie sich. Das erste Schuljahr verbrachte sie in der Klinik. „Ich kam im zweiten Schuljahr dann zurück in eine Klasse, die ich gar nicht kannte.“ 

Das Krankenhaus, so erzählen es die Frauen heute, war damals für viele Monate ihr Alltag. Kinder, Pfleger und Ärzte wurden für sie zur zweiten Familie. Romina Wichterich hatte mit sieben Jahren Knochenkrebs und etliche Operationen. „Wir waren gerne zusammen, zwei gleichalterige Mädchen, die gerne Wendy gelesen haben“, sagt Wichterich. Damals sei noch alles sehr beengt auf der Station gewesen, ein Bad gab es für alle, Eltern schliefen im Gang oder im Auto. „Wir haben das damals sicher positiver erlebt als unsere Eltern. Wir haben uns mit unserer Situation arrangiert und das Beste draus gemacht, was unter den Umständen möglich war, weil wir wussten, dass sie alternativlos ist“, sagt Sara Ropertz-Neumann. Heute sind beide selbst Mütter. „Wenn ich mir selbst vorstelle, wie es ist, ein so krankes Kind zu haben, daran möchte ich nicht mal denken“, sagt Romina Wichterich.

Mir war schon bewusst, dass das kein Armbruch ist. Man bekommt die Ängste der Eltern und die Sorgen des Umfeldes mit. Und man bekommt mit, dass andere Kinder sterben, und dass es ihnen schlecht geht.
Sara Ropertz-Neumann erkrankte als Sechsjährige an Leukämie

Dass der Krebs damals ihr Leben bedroht habe, sei ihnen trotz schöner gemeinsamer Momente immer klar gewesen. „Ich habe mit sechs Jahren mein Testament geschrieben“, sagt die 40-Jährige. „Mir war schon bewusst, dass das kein Armbruch ist. Man bekommt die Ängste der Eltern und die Sorgen des Umfeldes mit. Und man bekommt mit, dass andere Kinder sterben, und dass es ihnen schlecht geht. Ich kann mich noch gut an meine Schmerzen erinnern. Und ich kann mich gut an Rominas Schmerzen erinnern, wenn die Schrauben an ihrem Fixateur weitergedreht wurden.“ 

An die Freiheit auf dem Reiterhof und das Unbeobachtet sein, erinnern sie sich heute noch gerne. Den anderen Kindern habe man sich nicht erklären müssen, Chemo und Bestrahlung, das kannten dort alle. Der abgelegene Hof im nordhessischen Großalmerode ist nach wie vor Ziel der jährlichen Fahrten, seit 30 Jahren finanziert von dem Aachener Pharmakonzern Grünenthal. Mit dabei sind Fachkräfte aus Krankenpflege und Sozialarbeit, die die Kinder schon aus der Klinik kennen. Dirk Zurmühlen, stellvertretender Leiter des Elternhauses, fährt seit 16 Jahren mit.

Voltigieren gibt den Kindern Selbstbewusstsein

„Den Hof fegen, Betten beziehen, die Ställe ausmisten - das alles gehört auch dazu“, so Zurmühlen. „Es ist auch wichtig für die Kinder, sich wieder in einer Gruppe zurechtzufinden.“ Selbstbewusstsein gebe den Kindern vor allem das Voltigieren, also kleine Turnübungen auf dem Pferd. „Kinder, die einen Hirntumor hatten, haben oft Gleichgewichtsprobleme“, sagt Zurmühlen. „Das ist für alle ein besonderes Gefühl, wenn die sich dann trauen, ein Stück rückwärts zu reiten.“

Porträt von Dirk Zurmühlen

Dirk Zurmühlen, stellvertretender Leiter des Elternhauses, fährt seit 16 Jahren auf die Reiterferien mit.

Die Freizeitaktivitäten bei der Reitwoche sind noch dieselben wie vor 30 Jahren. Lagerfeuer, ein Discoabend, der Besuch in einem nahen Vergnügungspark. Sogar ein eigenes Liederheft ist in den Jahren entstanden, das Lied vom Klopapier ist nach 30 Jahren noch dabei. Lachen hilft nämlich auch. „Und auch den Eltern helfen die Tage, nach einer schweren Zeit loszulassen und selbst ein paar Tage abzuschalten“, sagt Zurmühlen.

Bei Sara Ropertz-Neumann und Romina Wichterich hat sich schon in der Kindheit der Blick auf Leben verändert. „Älterwerden ist ein Privileg“, sagt Ropertz-Neumann. Die Freundinnen gehen heute gemeinsam auf „Survivor“-Treffen, bei denen sich als Kinder an Krebs erkrankte Erwachsene austauschen. Denn die Spätfolgen sind noch kaum erforscht. Auch auf den Reiterhof würden sie gerne noch mal zusammen fahren - denn der bietet inzwischen auch Reiterwochen für Erwachsene an.


25 Jahre Elternhaus

Das Elternhaus wurde 1998 eröffnet und steht auf dem Geländer der Kölner Uniklinik, fußläufig zur kinderonkologischen Station. Heute hat es 15 Appartements. Als Zuhause auf Zeit für Familien erkrankter Kinder ist es auch ein Ort der Begegnung, etwa in der großen Gemeinschaftsküche oder im Spielzimmer. Fahrräder, Kinderwagen, Rollstühle, Bobbycars oder Roller können hier ausgeliehen werden.

Gegründet wurde das Elternhaus vom Förderverein für krebskranke Kinder. Die Initiative, die sich 1990 aus Eltern zusammengeschlossen hat, finanziert sich komplett aus Spenden. Das Vereinsziel: Das Leben von krebskranken Kindern und ihren Familien leichter, bunter und hoffnungsvoller zu machen.

Aus Spenden werden auch die beiden Nachsorgefreizeiten finanziert: die Reiterferien für Kinder und ihre Geschwister zwischen sechs und 12 Jahren in Kooperation mit der Uniklinik Bonn, sowie eine Segelfreizeit auf dem IJsselmeer für Jugendliche.

Rundschau abonnieren